Toxisches Erbgut: Genetiker fühlen Kobras auf den Zahn

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Toxisches Erbgut: Genetiker fühlen Kobras auf den Zahn - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Rahul Alvares, Allison Bruce, Somasekar Seshagiri Toxisches Erbgut: Genetiker fühlen Kobras auf den Zahn

100.000 Menschen sterben jährlich an Schlangenbissen. Im Erbgut der Giftdrüsenzellen erhoffen sich Forscher den Schlüssel für ein universelles Gegengift.

Übelkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Lähmungen: Millionen Menschen werden jedes Jahr von Giftschlangen gebissen – mit gravierenden Folgen: Mehr als 100 000 Bissopfer sterben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich an dem Gift, bis zu 500 000 weitere erleiden bleibende Schäden wie etwa Sehverlust oder Amputationen von Gliedmaßen. Das liegt vor allem daran, dass Gegenmittel oft nicht verfügbar sind, aber auch daran, dass die Zusammensetzung der Schlangengifte nicht genau bekannt ist.

Nun hat ein internationales Forscherteam die Toxine der Südasiatischen (auch „Indischen“ genannt) Kobra (Naja naja) anhand ihres Erbguts bis ins Detail analysiert. Die Resultate könnten nicht nur die Entwicklung synthetischer Antikörper gegen Schlangengifte ermöglichen, sondern auch die von Medikamenten gegen diverse Erkrankungen.

Pferde als Gegengiftfabriken

Von den mehr als 3000 Schlangenarten seien über 600 giftig, schreibt das Team um den Molekularbiologen Somasekar Seshagiri vom kalifornischen Biotechnologie-Unternehmen Genentech im Fachblatt „Nature Genetics“. Die weitaus meisten Todesfälle durch Schlangenbisse gibt es in Asien. Allein in Indien sterben demnach mehr als 46.000 Menschen pro Jahr an Schlangenbissen, vor allem durch vier hochgiftige Arten: die Kettenviper (Daboia russelii), die Gemeine Sandrasselotter (Echis carinatus), der Gewöhnliche Krait (Bungarus caeruleus) und die – auch Brillenschlange genannte – Südasiatische Kobra.

Ein Problem ist, dass Gegengifte sehr teuer und vor allem in ländlichen Regionen, wo die meisten Menschen gebissen werden, kaum verfügbar sind. Solche „Antivenome“ werden derzeit hergestellt, indem man etwa Pferden Schlangengift verabreicht und dann aus dem Blutserum dieser Tiere Antikörper isoliert. Ein zweites Problem ist, dass die genaue Zusammensetzung der Gifte, die selbst innerhalb einer Art variieren kann, wenig bekannt ist.

Um dies zu ändern, entschlüsselten die Forscher nun das Erbgut der Südasiatischen Kobra, wobei sie sich auf jene Gene konzentrierten, die mit den Giftdrüsen in Zusammenhang stehen. Der dort gebildete Giftcocktail schädigt unter anderem Nervenzellen, aber auch andere Gewebe, Herz und Blutkörperchen. Bislang analysierte man Schlangengifte per Massenspektrometrie auf Proteine. Mit ihrer Studie streben die Forscher um Seshagiri nun ein neues Konzept an. Sie wollen die einzelnen Giftstoffe der Arten anhand des Erbguts präzise charakterisieren und in Datenbanken zusammenfassen. Damit könnte man in Zukunft Gegengifte synthetisch herstellen und möglicherweise sogar ein Breitband-Antivenom produzieren, betonen sie.

Die Dosis macht das Gift

Zudem könnten die Erkenntnisse zu neuen Medikamenten wie etwa Schmerzmitteln oder Blutdrucksenkern führen. Denn ein Gift, das in hoher Dosis Nervenzellen tötet, kann sie oft in geringerer nur betäuben. Und eines, das den Kreislauf angreift, kann diesen in anderer Dosis möglicherweise medizinisch sinnvoll regulieren. „Qualitativ hochwertige Genome von Giftschlangen werden die Schaffung eines umfassenden Katalogs von giftdrüsenspezifischen Toxingenen ermöglichen, die zur Entwicklung synthetischer Gegengifte oder bestimmter Kombinationen genutzt werden können“, schreiben sie.

In Verbindung mit den Giftdrüsen stießen die Forscher im Kobra-Genom auf 139 Gene, die für Substanzen aus 33 Giftstoff-Familien kodieren. 96 haben Entsprechungen bei der Königskobra (Ophiophagus hannah), die übrigen 43 nicht. 19 Toxine, die von den Giftdrüsen produziert werden, stehen demnach im Zentrum des Giftcocktails. Auffällig sind darunter die insgesamt neun nach ihrer dreigliedrigen Form benannten 3-Finger-Toxine (3FTxs), die unter anderem teils auf Nerven, teils auf Herz und teils auf andere Zellen und Gewebe wirken. Diese 3FTxs sind vor allem in der Familie der Giftnattern (Elapidae) verbreitet, zu denen neben Kobras auch Mambas, Seeschlangen und die extrem giftigen Taipane zählen.

Wahrscheinlich seien die gefundenen 139 Toxin-Gene verantwortlich für „ein breites Spektrum von Symptomen, darunter Störungen des Herz-Kreislauf-Systems, Muskellähmung, Übelkeit, Sehstörungen und systemische Wirkungen wie etwa Blutungen“.

Die Neutralisierung dieser Hauptauslöser durch Antikörper könnte eine wirksame therapeutische Strategie sein, schreiben die Autoren. Ein Katalog, der die Toxin-Variationen sowohl innerhalb einer Art als auch artenübergreifend enthalte, sei wichtig für die Herstellung eines breit wirksamen Gegengiftes. Zudem seien synthetische humanisierte Antikörper deutlich wirksamer und wesentlich verträglicher als die von Pferden produzierten.

"Unbeachtetes Gesundheitsproblem"

Guido Westhoff, Vorsitzender des Vereins Serum-Depot Deutschland, ist von der Arbeit beeindruckt. „Den ganzen Giftcocktail, der aus vielen Toxinen besteht, umfassend aufzuführen, ist bahnbrechend“, sagt er. Der Zoologe ist überzeugt, dass synthetisch hergestellte Gegengifte weitaus wirksamer und gleichzeitig verträglicher wären als die derzeitigen, von anderen Säugetieren entnommenen Antikörper. Diese wirkten mitunter nicht sehr zielgerichtet und könnten Nebenwirkungen wie etwa allergische Reaktionen hervorrufen.

Martin Metz, Hautarzt an der Charité, spricht von einer umfassenden Analyse, die viele Möglichkeiten bieten könne. Es sei „ wichtig, dass sich jemand mit dem Thema beschäftigt“. Schlangenbisse seien „ein riesiges weltweites Gesundheitsproblem, das unbeachtet ist“. Zwar seien humanisierte synthetische Antikörper besser und verträglicher als die derzeit üblichen Antivenome. Ob deren Herstellung aber – wie von den Autoren behauptet – auch günstiger sei, müsse sich erst zeigen. Interessant sei zudem die von den Forschern geplante Giftstoff-Datenbank. „Wenn man einen Katalog der Schlangengifte hat und viele Toxine bei mehreren Arten vorkommen, dann wäre das eine Möglichkeit für ein Breitband-Antivenom.“ Walter Willems, dpa

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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