Kompromiss zum Heizungsgesetz in letzter Minute: „Heute hat es sich zu Ende geruckelt“
© dpa/Michael Kappeler Kompromiss zum Heizungsgesetz in letzter Minute: „Heute hat es sich zu Ende geruckelt“
Die Koalition streitet erbittert, noch in der Nacht zu Dienstag scheint das Heizungsgesetz vor dem Scheitern zu stehen. Dann gibt es überraschend eine Einigung. So kam sie zustande.
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Grünen-Vertreter feiern es als „Meilenstein“, Politiker der FDP loben es als „großen Schritt nach vorne“, in der SPD begrüßt man den „Paradigmenwechsel“. Vertreter der drei Ampel-Partner haben die überraschende Einigung im Streit um das Heizungsgesetz am Dienstagabend als „sehr sehr guten Kompromiss“ gelobt.
Monatelang hat die Koalition um das Heizungsgesetz gerungen. Das Gebäudeenergiegesetz, wie es offiziell heißt, wurde zum alles überschattenden, wichtigsten innenpolitischen Thema.
„Habecks Heizungshammer“ – eine Wortschöpfung der „Bild“ – avancierte zum Schreckgespenst. Die Kritik daran wurde so scharf, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) schließlich einlenkte und weitgehende Zugeständnisse ankündigte.
Doch noch bis Dienstagnachmittag sah es so aus, als würde es nicht gelingen, das Heizungsgesetz in dieser Sitzungswoche in den Bundestag einzubringen. Damit wäre das Ziel der Ampel, das Gesetz vor der Sommerpause zu verabschieden, in einem geregelten Verfahren nicht mehr zu erreichen gewesen.
Hauseigentümer bekommen mehr Zeit
Dann am späten Dienstagnachmittag die überraschende Meldung: Die Ampel-Spitzen haben sich geeinigt, das Gesetz kann doch noch diese Woche in den Bundestag.
Kern der Einigung: Hauseigentümer in Deutschland sollen mehr Zeit für den Umstieg auf klimafreundliche Heizungen bekommen und nicht überfordert werden. Mieter sollen nicht über die Maßen belastet werden.
Gelten soll das Gesetz zum 1. Januar 2024, es sind aber viele Übergangsfristen geplant. Demnach kann es je nach Wärmeplanung in der Kommune bis 2028 dauern, bis schärfere Regeln bei einem Heizungsaustausch gelten. Am Donnerstag soll der Gesetzentwurf zum ersten Mal im Parlament beraten werden.
Was ist in den Tagen und Stunden vor dem Kompromiss hinter den Kulissen passiert? Versuch einer Rekonstruktion.
Der erste Versuch scheitert krachend
Die Einigung auf das neue Heizungsgesetz, das nicht mehr viel zu tun hat mit der alten Version aus dem Bundeskabinett, hat eine mehrwöchige Vorgeschichte.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) stand wegen des umstrittenen Gesetzes besonders in der Kritik. © dpa/Bernd von Jutrczenka
Die Verhandlungen der Vize-Fraktionschefs beginnen rund drei Wochen vor dem Bundestags-Showdown im Hintergrund. Im Mai war ein erster Versuch, das Heizungsgesetz in den Bundestag zu bringen, krachend gescheitert.
Wirtschaftsminister Habeck bezichtigt die FDP damals des Wortbruchs, die Grünen-Abgeordneten fallen verbal über die Liberalen her. Als dann auch noch bekannt wird, dass die 101 Fragen, die die FDP angeblich an den Wirtschaftsminister hat, ein PR-Stunt sind, ist die Stimmung innerhalb der Ampel am Tiefpunkt.
Es war ein Kampf.
Ein Mitglied der Verhandlungsgruppe
Doch im Hintergrund formiert sich ein Verhandlungsteam, das die inhaltliche Arbeit wieder aufnehmen soll. Für die SPD sind Mathias Miersch und Verena Hubertz dabei, die Grünen schicken Julia Verlinden und Andreas Audretsch und die Liberalen sind mit Carina Konrad und Lukas Köhler vertreten.
Die ersten Treffen im Bundestag verlaufen überraschend harmonisch. Anders als in den Tagen zuvor dringen keine Inhalte mehr nach draußen. Die Stimmung beruhigt sich, inhaltlich kommen die Vize-Fraktionschefs voran.
Die Zeit wird knapp, der Druck steigt
Doch immer wieder haben Grüne und SPD Zweifel, wie ernst es die FDP meint. „Es fehlt die Prokura“, sagt ein SPD-Abgeordneter bereits vor zehn Tagen. Immer wieder kommen die Verhandlungen an einen Punkt, an dem die FDP getroffene Vereinbarungen wieder öffnen will.
Langsam wird die Zeit knapp, der Druck steigt. Am vergangenen Wochenende treffen sich die Verhandler an beiden Tagen jeweils zwölf Stunden lang, doch der Durchbruch gelingt nicht. „Es war ein Kampf“, sagt ein Verhandler.
Erstmals geht die ernsthafte Sorge um, dass das Vorhaben tatsächlich noch scheitern könnte. FDP-Generalsekretär Bjian Djir-Sarai betont, das Gesetz könne auch noch im Herbst beschlossen werden.
Ein Spaltpilz für die Koalition
Die Koalitionsspitzen sind ebenfalls involviert, das Thema hatte sich schließlich zum größten Spaltpilz entwickelt. Kanzler Olaf Scholz (SPD), sein Vize Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) tauschen sich nach Angaben aus Regierungskreisen ebenfalls am Sonntag dazu aus – ohne in die Details zu gehen.
Rolf Mützenich (SPD), Katharina Dröge (Grüne) und Christian Dürr (FDP) spielten bei der Einigung eine besondere Rolle. © dpa/Bernd von Jutrczenka
Das ist dann Aufgabe der Fraktionschefs Rolf Mützenich (SPD), Katharina Dröge (Grüne) und Christian Dürr (FDP), die am Sonntagabend erstmals für eine lange Sitzung zu ihren Vizes stoßen. In derselben Konstellation tritt die Runde am Montagabend erneut zusammen – bis tief in die Nacht.
Doch SPD und Grüne laufen gegen Mauern, wie Beteiligte berichten. Deadlines werden gerissen, es wird bis weit nach Mitternacht weiterverhandelt. Eine Einigung bleibt aus. Fast ohne Schlaf, wie Dürr später sagt, geht es in die Beratungen des entscheidenden Tages.
Der entscheidende Tag
Am Dienstag einer jeden Sitzungswoche findet traditionell das sogenannte Koalitionsfrühstück statt – zu den Fraktionschefs und den Vizes gesellen sich noch die drei parlamentarischen Geschäftsführer.
Deren eigene Sitzung um 11 Uhr ist an diesem 13. Juni der Termin, auf den zu diesem Zeitpunkt noch alle starren. Dort wird normalerweise erst im Ampelkreis, danach mit den Vertreterinnen und Vertretern aller Fraktionen die abschließende Tagesordnung für die stets am Mittwoch beginnenden Bundestagssitzungen festgelegt.
Das Kind ist noch nicht auf der Welt.
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge
Intern ist da längst klar, dass es sehr weitreichende Veränderungen am bisher bekannten Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes geben wird. Trotzdem gehen sie der FDP noch nicht weit genug, die Liberalen stimmen der Aufnahme auf die parlamentarische Agenda der Woche immer noch nicht zu.
Kenner der Geschäftsordnung wissen allerdings, dass mit Mehrheit noch bis 18 Uhr die Tagessordnung verändert und das Wärmewenden-Gesetz aufgenommen werden kann.
Die letzte Chance
Es ist quasi der letztmögliche Zeitpunkt für die erste Lesung und um das gemeinsame Versprechen der Ampel einzulösen, es in dritter Lesung noch vor der parlamentarischen Sommerpause zu verabschieden.
Hauseigentümer sollen jetzt mehr Zeit für den Umstieg auf klimafreundliche Heizungen bekommen und nicht überfordert werden. Mieter sollen nicht über die Maßen belastet werden. Das ist der Kern der Einigung vom Dienstag. © dpa/Hannes P Albert
Plötzlich ist die Aufregung groß. Im Hintergrund wird pausenlos telefoniert. Das geplante Pressestatements von Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge verzögert sich um mehr als eine Stunde. Doch als Dröge dann vor die Kameras tritt, sind die Töne viel harmonischer als drei Wochen zuvor. „Das Kind ist noch nicht auf der Welt“, sagt sie. Man wolle aber weiterverhandeln
Direkt im Anschluss kommt dann in einer weiteren Runde aller Beteiligten aus den Fraktionen so viel Bewegung ins Spiel, dass eine Einigung möglich erscheint. Nun wollen sie aber noch einmal das Okay von Scholz, Habeck und Lindner.
Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister geben ihren Segen
„Wenn ein Regierungsentwurf so deutlich verändert wird, ist es wichtig, dass noch einmal miteinander zu besprechen“, heißt es später in Koalitionskreisen. In einem Besprechungsraum auf der Fraktionsebene des Reichstagsgebäudes geben dann auch Kanzler, Vizekanzler und Finanzminister ihren Segen.
In den stets um 15 Uhr beginnenden Fraktionssitzungen erntet der Kompromiss Zustimmung, „einstimmig“, wie der erfreute FDP-Mann Dürr berichtet. Eine aus den Reihen der Grünen, die sich wohl bewusst ist, wie groß die Abstriche von ihren ursprünglichen Überlegungen sind, sagt fast schon ein wenig trotzig, dass „allein schon die Debatte die Wärmewende eingeleitet“ hat.
Frei übersetzt heiß das: Viele Menschen wissen jetzt, dass sich auch ganz konkret bei ihnen im Heizungskeller etwas tun muss, unabhängig davon, was im Gesetz steht.
Und Olaf Scholz, der am Dienstagabend auf der traditionellen Spargelfahrt des konservativen Seeheimer Kreises seiner SPD-Fraktion über den Wannsee schippert, reduziert die stürmischen Ampelgewässer der vergangenen Wochen und Monate in seiner kurzen Ansprache auf einen leichten Wellengang: „Es ruckelte ein bisschen, aber ich glaube, heute hat es sich zu Ende geruckelt.“ (mit dpa)
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de