Frei laufende Löwin bei Berlin: „Man weiß nicht, wie viele Wildtiere in Wohnzimmern gehalten werden“
© dpa/Jan Woitas Frei laufende Löwin bei Berlin: „Man weiß nicht, wie viele Wildtiere in Wohnzimmern gehalten werden“
Ob die Raubkatze illegal gehalten wurde, hängt davon ab, ob sie aus Berlin oder Brandenburg kommt. Hier spricht Expertin Nadine Ronco Alarcón über das Problem der exotischen Heimtiere.
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Die entlaufene Löwin bei Berlin ist kein Einzelfall, sagen Tierschützer. Im Interview erklärt Nadine Ronco Alarcón, Expertin für Wildtierhandel bei „Vier Pfoten“, warum die Politik dringend eingreifen muss.
Frau Ronco Alarcón, im Süden Berlins läuft mutmaßlich eine Löwin frei herum. Wie gefährlich ist die?
Wildtiere wie Großkatzen sind sehr gefährlich und unberechenbar. Hoffentlich kann die Löwin lebend eingefangen und artgerecht untergebracht werden. Es wäre Wahnsinn, würde sie danach an ihren Halter zurückgegeben werden.
War die Haltung der Löwin denn illegal?
Das hängt davon ab, in welchem Bundesland der Halter wohnt. In Berlin wäre es laut Verordnung verboten, in Brandenburg erlaubt.
Wie bitte?
Leider gibt es bis heute keine bundesweit einheitliche Regelung. Deshalb sind einzelne Bundesländer selbst aktiv geworden und haben eigene Verordnungen zu sogenannten Gefahr- und Gifttieren erlassen. Inzwischen sind es neun von 16. Brandenburg gehört nicht dazu.
Wie viele Löwen werden in Brandenburg gehalten?
Es gibt keine Datenbanken. Man weiß schlicht nicht, wie viele Wildtiere in deutschen Wohnzimmern gehalten werden. Und wer sich zum Beispiel in Tschechien eine Löwin kauft, kann hier züchten, ohne dass es irgendwer mitbekommt. Die Dimension des Problems ist uns also unbekannt, aber Schätzungen gehen davon aus, dass Deutschland zu den größten Umschlag- und Absatzmärkten für exotische Heimtiere gehört.
Sie bekommen nur die Fälle mit, in denen Wildtiere ausbrechen oder ausgesetzt werden…
Kürzlich wurde uns eine Boa constrictor gemeldet, die in einer zugetackerten Aldi-Tüte gefunden wurde. Dazu muss man wissen: Durch die Inflation sind ja die Energiekosten hochgeschnellt. Manche Halter, die eine ganze Reihe von Terrarien beleuchten und beheizen mussten, konnten sich das nicht mehr leisten. Das ist ein sehr kostspieliges Hobby. Gerade für Menschen mit einer ganzen Sammlung an Wildtieren zuhause, und davon gibt es einige.
Sind die Halter naiv oder ist denen alles egal?
Das ist unterschiedlich. Eine Privatperson aus Baden-Württemberg hatte sich im Ausland einen Puma gekauft, dieser lebte dann bei ihm zu Hause in der Badewanne. Der Halter führte den Puma im Park Gassi, mit Halsband und Leine. In diesem Fall hat der Halter bald eingesehen, dass es keine gute Idee war, und war bereit, sein Tier an den Tierschutz abzugeben.
Wir haben den Puma dann zu unserer Auffangstation TIERART in Rheinland-Pfalz gebracht, mussten ihm erstmal ein kostspieliges Gehege bauen. Insgesamt sind Auffangstationen und Tierheime stark belastet und finanziell überfordert. Sie schlagen seit langem Alarm und haben sich wiederholt an die Öffentlichkeit und die Politik gewandt, um sich Gehör zu verschaffen
Andere Halter sind weniger einsichtig. Da war zum Beispiel Mojo, ein großer weißer Löwe aus Sachsen-Anhalt, der eigentlich beschlagnahmt werden sollte. Der ist bis heute verschwunden, man weiß nicht, wo er jetzt ist. Sein Besitzer behauptet, er habe das Tier weiterverkauft. Aber Beweise dafür hat er nicht vorgelegt.
Welchen politischen Handlungsbedarf sehen Sie konkret?
Das aktuelle Problem kann nur durch eine Positivliste gelöst werden. Also eine Liste, die aufführt, welche Tiere für die Privathaltung und den Handel geeignet sind. Alle anderen sind es nicht. Dabei sind Aspekte des Tier-, Arten- und Naturschutzes zu berücksichtigen, aber auch der menschlichen Gesundheit und der öffentlichen Sicherheit. Viele andere europäische Länder haben bereits reagiert und nationale Positivlisten für bestimmte Tiergruppen beschlossen.
Denken Sie, dass die bundesweite Positivliste bald kommen wird?
Wir haben große Sorge, dass eine solche Liste nicht Teil des neuen Tierschutzgesetzes sein wird. Aber der Referentenentwurf ist ja bislang nicht draußen. Das Landwirtschaftsministerium hat jetzt noch die Möglichkeit, die Positivliste in den Referentenentwurf des Tierschutzgesetzes einzuarbeiten. Wir hoffen sehr, dass dieser Fall jetzt noch einmal aufrüttelt und dies endlich geschieht.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de