Berliner Polizeipräsidentin zu Ausschreitungen: „Vieles auf den Straßen setzt mir persönlich zu“
© dpa/Christoph Soeder Berliner Polizeipräsidentin zu Ausschreitungen: „Vieles auf den Straßen setzt mir persönlich zu“
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel ist auch die Berliner Polizei im Ausnahmezustand. Ihre Präsidentin Barbara Slowik über die aktuelle Sicherheitslage und wie sie nachts noch ruhig schlafen kann.
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Frau Slowik, Sie haben mal gesagt, dass Sie eigentlich immer gut schlafen können. Gerade auch?
Ich schlafe nach wie vor sehr gut, weil ich ein sehr, sehr gutes Team habe.
Geht Ihnen die aktuelle Situation persönlich nahe?
Natürlich. Der 7. Oktober war ein großer Schock. Aber auch vieles auf den Straßen Berlins setzt mir in der Tat persönlich zu.
Als Sie die ersten Meldungen zum Terrorangriff der Hamas gelesen haben: War Ihnen da gleich klar, dass das Auswirkungen auf Berlin haben würde?
Wir sind als Hauptstadt-Polizei gewöhnt, dass viele Vorkommnisse auf der Welt in Berlin sofort einen Rückschlag haben. Nach dem Angriff haben wir den Schutz sofort hochgefahren, ohne abzuwarten. Das ist fast ein Automatismus.
Sie sagten in diesen Tagen, es sei die schwierigste Zeit Ihrer Amtszeit. Gilt das nach wie vor?
Mit Sicherheit für die letzten zwei Wochen, das war sehr intensiv. Es kamen sehr viele Menschen auf uns zu, baten um Schutz und Unterstützung. Ich habe sehr viele persönliche Gespräche geführt. Gleichzeitig müssen Sie sich als Präsidentin mit der Polizeiführung ständig verständigen: Wie gewährleisten wir den Schutz?
Können Sie mit gutem Gewissen sagen, dass Jüdinnen und Juden in dieser Stadt sicher sind?
Wir schützen die Einrichtungen und Gebäude, die besonders schützenswert sind. Das sind im Moment 150 in der Stadt. Die schützen wir durch 500 Kräfte. Da sind wir weit über dem, was viele andere Städte leisten. Wir haben eine hohe Polizeipräsenz. Auch bei der Synagoge in der Brunnenstraße konnten wir den Versuch eines Brandanschlags vereiteln, weil dort ein Wachschutz stand.
Neuköllns Integrationsbeauftragte Güner Balci hat Jüdinnen und Juden kürzlich davor gewarnt, ihren Glauben in Neukölln sichtbar zu machen.
Ich würde nicht No-Go-Areas für Jüdinnen und Juden ausrufen wollen. Ich glaube, das ist jetzt nicht zwingend erforderlich.
Ich würde nicht No-Go-Areas für Jüdinnen und Juden ausrufen wollen.
Barbara Slowik
Das heißt, man muss als Jude oder Jüdin nicht darauf achten, ob man Erkennungszeichen trägt?
Wenn man sich dessen bewusst ist, ist das in Ordnung. In bestimmten Bereichen der Stadt muss man vielleicht wachsamer sein und sich überlegen, wie man reagiert. Aber wir haben im Moment im Stadtgebiet zumindest in Zahlen nicht mehr Angriffe auf Jüdinnen und Juden.
Haben Sie die Lage insbesondere bei pro-palästinensischen Versammlungen im Griff?
Wir waren mit starker Präsenz vor Ort. In der Tat, es gab am Potsdamer Platz …
… wo 50 Menschen angemeldet waren, um friedlich zu gedenken und rund 1000 kamen. Es wurden fast drei Stunden Israel-Hassparolen gerufen.
Aber das möchte ich auch an der Stelle sagen: Es ist schwierig, wenn man die Polizei so darstellt, als wenn sie sich einfach überrumpeln lässt. Das trifft einfach nicht zu.
Wie würden Sie es denn ausdrücken?
Wir haben das Bestreben, jede einzelne Versammlung zu prüfen. Wir versuchen zu klären: Gibt es Hinweise, dass diese Versammlung gegen die öffentliche Sicherheit verstoßen könnte? Aus ihr heraus Straftat entstehen können?
Wie genau prüft man das?
Neben dem Anmelder oder der Organisation selbst ist eine Frage: Können wir einen Zustrom von Menschen erkennen, die Straftaten verüben wollen? Die sozusagen die Versammlung kapern? Das ist am Potsdamer Platz passiert. Über Social Media wurden bestimmte Gruppierungen sehr schnell mobilisiert. Das ist ein neues Phänomen, das wir aus Querdenken-Zeiten kennen.
Wie groß ist der Einfluss von Social Media auf die Eskalation? Wird das irgendwie von außen gesteuert?
Dazu habe ich aktuell keine Erkenntnisse. Natürlich recherchieren und monitoren wir Social Media, auch auf Gewaltaufrufe hin. Und versuchen dann präsent zu sein, bevor solche Aufrufe realisiert werden.
Wie lässt es sich überhaupt gewährleisten, dass auch Palästinenser ihr Versammlungsrecht ausüben können?
Wir haben seit dem 7. Oktober 60 Versammlungen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt gesehen, davon 35 pro-palästinensisch. Und davon haben wir 17 untersagt. Wir haben also knapp mehr als die Hälfte zugelassen. Die friedlichen Versammlungen werden von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. Aber es war die größere Zahl.
Jede Eskalation im Nahen Osten wird Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Berlin haben.
Barbara Slowik
Wenn Sie die Bilder sehen, die aktuell aus Berlin gesendet werden, haben Sie da mitunter Bauchschmerzen?
Bilder sind immer wichtig. Wir achten sehr darauf, dass unser Symbol Brandenburger Tor nicht missbraucht wird für Hass, Hetze, Antisemitismus. Aber Meinungsfreiheit dort zum Ausdruck zu bringen, dafür stehen wir auch.
Es gab in den vergangenen Tagen diverse Bombendrohungen. Gehen Sie im Moment von einer erhöhten Terrorgefahr in der Stadt aus?
Diese Serie von Bombendrohungen verunsichert Bürgerinnen und Bürger. Aber wir haben für Berlin im Moment keinerlei konkrete Anhaltspunkte für gewalttätige Aktionen oder gar Terrorangriffe. Wir haben schon seit vielen Jahren eine abstrakte Gefahr für Anschläge islamistischer Art in Deutschland. Und die besteht natürlich weiterhin.
Kann sich die Gefahrenlage beispielsweise mit der Bodenoffensive Israels verschärfen?
Jede Eskalation im Nahen Osten wird Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Berlin haben. Wir können davon ausgehen, dass dann auch wieder Ansammlungen auf der Sonnenallee und am Hermannplatz zu sehen sind. Aber auch da bitte ich zu berücksichtigen: Das sind oft große Ansammlungen von Menschen, die im allermeisten Teil nicht gewaltbereit sind.
Am 9. November jährt sich die Reichspogromnacht zum 85. Mal. Bereitet Ihnen der Tag Sorgen?
Ich mache mir keine Sorgen, weil wir auch auf diesen Tag bereits vorbereitet sind. Wir werden mit deutlicher Präsenz unterwegs sein.
Gibt es Erkenntnisse, dass an diesem Tag eine höhere Gefahr droht?
Das liegt mir aktuell nicht vor.
Wenn Sie aktuell Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in die Augen gucken: Wie müde sind die eigentlich?
Die Kräftelage ist angespannt. Ich habe mich deswegen diese Woche noch mal mit einem Brief bei allen bedankt. Gleichzeitig höre ich von den Polizeiführern, dass die Kolleginnen und Kollegen hoch motiviert sind. Es ist eine Ausnahmesituation. Wir halten sie noch aus, weil wir deutlich unterstützt worden sind, wofür ich sehr dankbar bin. Sollten wir Eskalationen im Nahen Osten sehen, die sich wieder auf Berlins Straßen auswirken, dann spannt das die Kräftelage unfassbar an.
Was kann jeder einzelne gerade für Jüdinnen und Juden in dieser Stadt tun?
Laut seine Stimme erheben, Haltung zeigen, wenn er Hass, Hetze, Beleidigungen erlebt. Es gab neulich ein schönes Zeichen, wo sich viele Menschen um eine Synagoge versammelt haben, um Schutz zu gewährleisten. Das sind extrem gute Zeichen, die von der jüdischen Community sehr wahrgenommen werden.
Mitarbeit: Sönke Matschurek
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de