Scholz-Rede setzt auf Optimismus: Der Kanzler, der die Roten einen will

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Scholz-Rede setzt auf Optimismus: Der Kanzler, der die Roten einen will

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Scholz-Rede setzt auf Optimismus: Der Kanzler, der die Roten einen will

In der Krise für Partei und Regierung legt Olaf Scholz eine gute Rede hin. Der eher kühle Hanseate setzt für einmal auf Gefühle – und überzeugt damit viele Genossen.

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Zuversicht. Das Wort beschreibt den festen Glauben an eine positive Entwicklung in der Zukunft, ein Urvertrauen in den Lauf der Dinge. Die Zuversicht kann einem in diesen Tagen leicht abhandenkommen: steigende Kosten überall, steigende Asyl-Zahlen, Krieg und Krisen, wohin man schaut. Sinkendes Vertrauen in die Demokratie, eine Regierung ohne gemeinsame Idee vom Staat.

Als der Kanzler sie in seiner Rede auf dem SPD-Bundesparteitag beschwört, diese Zuversicht, beklatscht das der Saal, bevor Scholz den Satz überhaupt beenden kann. Die SPD also müsse sich gegen all jene wehren, die als beste Antwort auf die Krisen der Zeit rechtsradikale Ideen gut finden, sagt der Kanzler am Samstagmorgen. Mit Zuversicht. Es wirkt wie ein Erlösungsmoment. Endlich.

Keine Rede des Jahres, aber eine Ansprache mit Idee

Olaf Scholz, der Sozialdemokrat, dem die große Rede so schwerfällt, trifft an diesem Tag den Ton. Das Sakko hat er anbehalten, Kanzler ist er schließlich auch noch. Aber er redet frei, ohne Schlips. Darauf hatten sie in der Partei gehofft. Der Regierungstechniker formuliert an diesem Tag Ideen, sehr sozialdemokratische auch noch, für dieses Land. Und sein Text gibt den Sozialdemokraten, wonach sie sich in harter Zeit so sehr sehnen: Hoffnung.

Der Abgeordnete Axel Schäfer, 71, 50 Parteitage hinter sich, läuft nach der Rede beschwingt zu Journalisten: „Endlich, das war es doch!“, sagt Schäfer. Der ehemalige Fraktionsvize der SPD im Bundestag hatte seit Wochen öffentlich eine „richtige Ansprache vom Olaf“ gefordert.

Dessen 50-minütiger Auftritt wird womöglich nicht zur Rede des Jahres gewählt werden, aber es war doch mehr als der nur für Kenner aufschlussreiche Rechenschaftsbericht, den er kürzlich in der Rolle des Bundeskanzlers im Parlament hielt.

Der Auftritt des Kanzlers wirkt wohlkalkuliert, jeder Redeteil hat seine Adressaten. So gelingt Scholz an diesem Morgen der Balanceakt zwischen Parteitagsrede und Kanzlererklärung: Er ist ja noch immer ohne Ergebnis in der Haushaltskrise zu seinen Genossen gekommen. In den nächsten Tagen, raunt es, könnte sie wohl gelöst werden.

Wir stehen nicht vor einer unlösbaren Aufgabe.

Bundeskanzler Olaf Scholz blickt zuversichtlich auf die Haushaltsgespräche

Und Scholz, er wurde in dieser Sache so deutlich wie möglich: Eine rote Linie zog er bei der Förderung der Chipindustrie, selbst das hatte die FDP zuletzt infrage gestellt. Man dürfe auch nicht den Eindruck in Russland zulassen, sagte Scholz, dass die Hilfe für die Ukraine nicht mehr durchhaltbar sei.

Viele Minuten wandte Scholz für den Ukraine-Krieg auf. An den Bedürfnissen mancher Delegierte ging das vorbei, an denen vieler Deutscher ohnehin. Aber dieser Teil der Rede war nicht an Nation oder Genossen gerichtet, sondern an den liberalen Mann im Finanzministerium: Christian Lindner.

Scholz spricht das sozialdemokratischer Herz an

Scholz erhöht so den Druck, doch noch die Notlage für 2024 zu erklären. Das würde den Haushalt zumindest bei den Kosten des Ukraine-Krieges entlasten. Die Sozialdemokraten drängen seit Wochen darauf, intensivieren das in diesen Tagen. Wer gegen die Notlage ist, stellt die Hilfe für die Ukraine infrage. So zumindest die SPD-Sicht. Lindner reagiert wenig später über den Nachrichtendienst X: Er stehe natürlich zur Ukraine.

„Wir stehen nicht vor einer unlösbaren Aufgabe“, sagt Scholz auf dem Parteitag mit Blick auf den Haushalt. Das ist sie wieder: die Zuversicht. Auch wenn der Kanzler vielfach vage blieb, was die konkreten politischen Maßnahmen angeht.

Ansonsten bringt Scholz viel fürs sozialdemokratische Herz mit. Er verteidigt deutlich die Errungenschaft des Sozialstaates, dieser gehöre zur DNA des Landes. Einen Abbau werde es mit ihm nicht geben. Jubel. Er wirft sich vor das sozialdemokratische Bürgergeld, kritisiert zu niedrige Mindestlöhne, fordert einen entschlossenen Kampf für höhere Tarifabschlüsse. Jubel, Jubel.

Juso-Chef dämpft die gute Stimmung

„Wir machen Politik für die Leute, die es schwer haben“, sagt er zum Ende. „Wir machen Politik für die Leute, denen es gut geht, aber die trotzdem jeden Tag stolz zur Arbeit gehen.“ Minutenlanger Applaus der Genossen. In ihrer Mitte steht ein Kanzler, er ist Sozialdemokrat, auch wenn die Menschen draußen ihn gerade nicht besonders mögen.

Scholz-Rede setzt auf Optimismus: Der Kanzler, der die Roten einen will

Juso-Chef Philipp Türmer an die Adresse des Kanzlers: „Olaf, verändere Deinen Kurs!“

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Das Bedürfnis nach Einheit, das auch Scholz beschwört, hält nicht lange: Der Juso-Chef Philipp Türmer
bricht die heimelige rote Parteitagswelt auf. „Olaf, Du hast mal gesagt: Wer Führung bestellt, bekommt sie auch. Hiermit bestelle ich sie!“, ruft Türmer. „Verändere Deinen Kurs: vom Moderator zum Kämpfer für soziale Gerechtigkeit.“ Es sind die Jusos, die ihm den Kanzler danach seinen Abschiebekurs vorhalten, seine Zurückhaltung in der Öffentlichkeit. „Du bist der Chef der Regierung, nicht der Paartherapie von Robert und Christian“, ruft der Juso-Chef.

Olaf, Du hast mal gesagt: Wer Führung bestellt, bekommt sie auch. Hiermit bestelle ich sie!

Philipp Türmer, Juso-Chef

Mancher beschreibt die Stimmung auf dem Parteitag, wie einst das Orchester auf der Titanic: Es spielt bis zum Untergang fröhlich weiter.

Die Mehrheit der Delegierten aber steht zum Kanzler: Wer sich bei 14-Prozent-Zustimmung auch noch parteiintern zerlegt, der geht noch schneller unter als einst die Titanic. So scheint eine Mehrheit auf dem Parteitag zu denken. Der Kanzler hatte den Passagieren auf dem 160 Jahre alten Dampfer SPD ja auch etwas mitgebracht: die Zuversicht, dass Olaf Scholz auch anders kann.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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