Ärzte und Patienten in Not : „Krankenhäuser dürfen nicht zum Ziel werden“

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Ärzte und Patienten in Not : „Krankenhäuser dürfen nicht zum Ziel werden“

© AFP/Said Khatib Ärzte und Patienten in Not : „Krankenhäuser dürfen nicht zum Ziel werden“

Zerstörte Gebäude, keine Medikamente, Cholera-Gefahr: Der Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen Deutschland, Christian Katzer, spricht im Interview über die katastrophalen Bedingungen für Helfer in Gaza.

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Die Explosion vor dem Al-Ahli-Arab-Krankenhaus am Dienstagabend hat ein weiteres Mal vor Augen geführt, dass in der aktuellen Lage im Gazastreifen auch Kliniken keine sicheren Orte sind.

Noch ist unklar, was in diesem Fall genau passiert ist. Ersten Angaben vom Mittwochmorgen zufolge waren am Abend zuvor in Gaza-Stadt durch den Einschlag einer Rakete hunderte Menschen getötet und verletzt wurden. Das gaben die lokalen Hamas-Behörden bekannt.

Israel und die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas machen sich gegenseitig verantwortlich. Im Tagesverlauf gab es zunehmend Zweifel daran, worauf die Explosion zurückzuführen war und wie hoch die Zahl der Opfer ist.

Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen ist seit rund 30 Jahren in Gaza im Einsatz. Im Interview mit dem Tagesspiegel berichtet der Geschäftsführer des deutschen Ablegers, Christian Katzer, wie er die Nachricht aufgenommen hat, wie es um seine Kolleg:innen vor Ort steht und wieso reguläre medizinische Versorgung kaum noch möglich ist.

Herr Katzer, Dienstagnacht soll ersten Berichten zufolge bei einem Raketeneinschlag in Gaza ein Krankenhaus getroffen worden sein. Es soll hunderte Tote geben, Israel und die Hamas beschuldigen sich gegenseitig. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?
Wir sind entsetzt über die Berichte über den Angriff auf das Al-Ahli-Arab-Krankenhaus in Gaza-Stadt, in dem zu der Zeit Patienten behandelt wurden. Nichts rechtfertigt einen Angriff auf ein Krankenhaus und seine vielen Patient:innen und medizinischen Mitarbeiter:innen sowie die Menschen, die dort Schutz gesucht haben.

Krankenhäuser müssen in bewaffneten Auseinandersetzungen respektiert werden, dürfen nicht für militärische Zwecke genutzt werden und nicht zum Ziel werden.

Wurden auch Menschen getötet oder verletzt, die für Ärzte ohne Grenzen arbeiteten oder von Ihren Mitarbeiter:innen versorgt wurden?
Dazu fehlen mir im Moment die Informationen.

Wieweit waren in den vergangenen Tagen auch Kliniken von den Bombardierungen betroffen, in denen Ärzte ohne Grenzen aktiv ist oder war?
Von uns unterstützte Krankenhäuser wurden beschädigt, weil Explosionen in der Nähe stattfanden, es gab aber bisher keine direkten Bombardierungen.

Mit wie vielen Mitarbeiter:innen ist Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen im Einsatz?
Wir haben mehr als 300 palästinensische Mitarbeitende. Dazu kommen ungefähr 20 internationale Mitarbeitende, die bis zu der Eskalation am vorletzten Wochenende im Gazastreifen für uns tätig waren.

Haben die jetzt wegen der Eskalation den Gazastreifen verlassen?
Nein, sie sind weiterhin dort. Wir haben aber alle internationalen Mitarbeitenden aus Sicherheitsgründen an einem Ort im Süden der Region zusammengezogen, weil der Gazastreifen ja komplett abgeriegelt ist, sodass wir Menschen und Material weder in die eine noch in die andere Richtung bewegen können. 

Und Ihre palästinensischen Kolleg:innen?
Wir sind im Moment nicht in der Lage, humanitäre Hilfe zu koordinieren, und mussten mehr oder weniger unser Programm einstellen. Daher ist es für uns aktuell sehr schwierig zu sagen, wo sich die palästinensischen Mitarbeitenden derzeit befinden. Einige haben sich zusammen mit ihren Familien ebenfalls in den Süden zurückgezogen, wie es die israelische Regierung angeordnet hat. Dabei haben wir Unterstützung angeboten, auch bei der Suche nach Unterkünften.

Und einige Kolleg:innen haben sich entschieden, in Nord-Gaza zu bleiben. Die arbeiten weiterhin in den von uns vormals unterstützten Krankenhäusern, um den Patient:innen weiterhin so weit wie möglich medizinische Hilfe zukommen zu lassen und zu versuchen, neue Verletzte zu behandeln. Das wird allerdings immer schwerer.

Ärzte und Patienten in Not : „Krankenhäuser dürfen nicht zum Ziel werden“

Eine trauernde Frau vor der Ahli-Arab-Klinik in Gaza-Stadt. © AFP/Mahmud Hams

Wie ist die Lage der Mitarbeiter:innen, die trotz der israelischen Angriffe im Norden des Gazastreifens geblieben sind?
Das kann ich kaum einschätzen. Die Kommunikation ist sehr schwierig, die Menschen können ihre Telefone nicht mehr aufladen, daher haben wir nicht mehr mit allen Mitarbeitenden Kontakt.

Wir haben ihnen gesagt: Priorität ist, dass ihr Euch um Euch und Eure Familien kümmert, ihr habt uns gegenüber keine Verpflichtungen.

Es fehlt an allem, an Schmerzmitteln, an ganz banalen Dingen, die eigentlich in jedem Krankenhaus Standard sind.

Christian Katzer, Ärzte ohne Grenzen

Wie viele Krankenhäuser haben Sie in Gaza betrieben und unterstützt?
Wir haben drei Krankenhäuser unterstützt und eine Klinik selbst betrieben. Die drei Krankenhäuser arbeiten zum Großteil noch. Aber die Lage wird immer schwieriger. Es gibt keinen Strom mehr, kein Wasser, die Vorräte gehen zu Ende, auch an medizinischem Material und Medikamenten. Es ist extrem schwierig, da noch eine Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten. Es fehlt an allem, an Schmerzmitteln, an ganz banalen Dingen, die eigentlich in jedem Krankenhaus Standard sind. 

Laut palästinensischen Angaben wurden durch israelische Angriffe als Reaktion auf den Hamas-Angriff am 7. Oktober inzwischen mehr als 3000 Palästinenser im Gazastreifen getötet, Tausende wurden verletzt. Was sind die hauptsächlichen Verletzungen, die Ihre Kolleg:innen vor Ort sehen?
Vor allem Stichverletzungen aufgrund von Schrapnell – also Granatsplittern –, dazu Knochenbrüche, Brandverletzungen und in den Körper eingedrungene Schrapnelle. Und wir sehen, dass Menschen von herumfliegenden Teilen von Häusern und Wohnungseinrichtungen getroffen werden.

Israel begründet seine Angriffe mit dem Kampf gegen die Hamas. Wie hoch ist nach Ihrer Einschätzung der Anteil der zivilen Opfer in Gaza im Verhältnis zu Hamas-Kämpfern?
Wir sind in unserer Charta darauf verpflichtet, allen Menschen medizinische Versorgung anzubieten, die in die von uns betriebenen oder unterstützten Krankenhäuser kommen, solange die unbewaffnet sind. Wir machen da keine Unterschiede, wer von uns behandelt wird. Zu Beginn des Beschusses des Gazastreifens nach dem 7. Oktober haben wir aber eine große Zahl von verletzten Frauen und Kindern gesehen. Die waren oft diejenigen, die zum Zeitpunkt des Beschusses zu Hause waren.

Ärzte ohne Grenzen ist seit mehr als 30 Jahren in den Palästinensergebieten aktiv. Worin bestand Ihre Arbeit bis zum 7. Oktober?
Wir waren erstmals 1989 in den palästinensischen Gebieten aktiv und haben medizinische Hilfe angeboten. Wir haben Verwundete behandelt, Materialspenden verteilt, Unterstützung bei Operationen und anderen Behandlungen gegeben. Unser Fokus lag auf Gaza, da wir dort medizinische Hilfe anbieten, wo Menschen sonst kaum Zugang zu derartiger Versorgung haben. Angesichts der Eskalation und der kompletten Blockade durch die israelische Regierung machen wir uns sehr große Sorgen um die Zivilbevölkerung. 

Was sorgt Sie am meisten?
Gerade Menschen, die chronische Krankheiten haben und permanent auf Gesundheitsversorgung angewiesen sind, bricht jetzt alles weg. Dazu kommen alle akuten Fälle wie die durch den Beschuss Verletzten. Die haben kaum noch Zugang zu medizinischer Versorgung. Zum einen, weil der Transport extrem gefährlich ist, zum anderen, weil es kaum noch Kraftstoff gibt, um Krankentransporte zu bewegen oder Operationssäle zu betreiben.

Dazu kommt die Aufforderung der israelischen Behörden, die Krankenhäuser im Norden des Gazastreifens zu evakuieren. Das löst bei uns große Sorgen aus, denn nach internationalem Völkerrecht genießen Krankenhäuser eigentlich besonderen Schutz und dürften nicht für militärische Zwecke genutzt oder angegriffen werden.

Das Abwassersystem funktioniert nicht mehr, weil Brennstoffe fehlen. Es drohen durch unsauberes Wasser übertragene Krankheiten wie Cholera.

Christian Katzer, Ärzte ohne Grenzen

Wie steht es generell um die Versorgung der Verletzten?
Meine Kolleg:innen vor Ort berichten, dass den Kliniken die Schmerzmittel ausgehen. Das heißt, den Patient:innen können ihre Schmerzen nicht mehr gelindert werden, was eigentlich ein normales Prozedere im Krankenhaus ist. Generell gehen alle Vorräte an Medikamenten und medizinischem Material gerade zu Ende. Dazu kommt, dass es kaum noch Wasser gibt, um Patient:innen und Personal damit zu versorgen.

Wenn die totale Blockade des Gazastreifens weiter anhält, wird eine Gesundheitsversorgung in Kürze nicht mehr möglich sein. Parallel dazu sehen wir mit großer Sorge, dass das Abwassersystem nicht mehr funktioniert, weil Brennstoffe fehlen, um Pumpen zu betreiben und Chemikalien für die Filterung aufgebraucht sind. Daher drohen durch unsauberes Wasser übertragene Krankheiten wie Cholera. Das wäre verheerend, weil es dann dafür keine medizinische Versorgung mehr gäbe.

Ließe sich die Lage durch die Öffnung eines Korridors für Hilfslieferungen an den derzeit gesperrten Grenzen des Gazastreifens entspannen?
Ja, wir fordern zum einen, dass die Kampfhandlungen auf beiden Seiten eingestellt werden. Wir brauchen ausreichende Garantien der Konfliktparteien, um unser Personal nicht zu gefährden.

Zum anderen müssen beide Seiten das humanitäre Völkerrecht einhalten und ihren Verpflichtungen nachkommen. Dazu gehört, dass Zivilist:innen und zivile Infrastruktur geschützt werden und Menschen Zugang zu humanitärer Hilfe und medizinischer Versorgung durch Akteure wie Ärzte ohne Grenzen haben müssen. Das ist im Moment nicht gegeben, wir bekommen weder Menschen noch Material in den Gazastreifen.

Ärzte und Patienten in Not : „Krankenhäuser dürfen nicht zum Ziel werden“

Die Sperranlage um den Gazastreifen hat drei – derzeit geschlossene – Übergänge: Erez im Norden, Kerem Schalom im Süden und Rafah in Richtung Ägypten. © Grafik: Tsp/Bartel / Quelle: UN Ocha

Kanzler Olaf Scholz hat am Dienstag angekündigt, Deutschland werde seine Hilfe fortsetzen, und dabei neben der Versorgung mit Wasser und Nahrung auch auf die Lieferung von Medikamenten verwiesen. Stecken die Lieferungen, auf die er sich bezieht, an den geschlossenen Grenzen fest?
Das kann ich nicht einschätzen, wo die feststecken. Aber sobald zum Beispiel der Grenzübergang nach Ägypten passierbar sein sollte, haben wir dort Materialien bereitstehen, die sehr kurzfristig in den Gazastreifen gebracht werden können. 

Hamas ist nicht nur eine Terrororganisation, sie stellt im Gazastreifen auch die zivile Regierung und herrscht autoritär. Wie muss man sich die Zusammenarbeit von Ärzte ohne Grenzen mit Hamas-Vertretern vorstellen?
Im Gazastreifen ist es in der Hinsicht nicht anders als in anderen Konfliktregionen. Wir stehen immer mit allen am Konflikt Beteiligten in direktem Kontakt, um zu garantieren, dass unser Personal arbeiten kann und Patient:innen sicher sind. Darauf beschränkt es sich.

Die EU und andere Organisationen hatten nach dem Hamas-Terrorangriff vorübergehend ihre finanzielle Hilfe für Gaza eingestellt. Nun wollen EU-Länder ihre Hilfe für die Region wegen der Verschärfung der humanitären Lage aufstocken. In welchem Umfang kommt internationale Hilfe nach Ihrer Einschätzung direkt den Menschen zugute, wieweit stützt sie die Hamas?
Ärzte ohne Grenzen nimmt keine Gelder von der EU oder ihren Mitgliedsstaaten an und finanziert sich über private Spenden. Die Arbeit, die wir leisten, kommt immer den Patient:innen vor Ort direkt zugute. Wir schauen uns unsere Arbeit regelmäßig an, um sicherzustellen, dass die Menschen, die wir unterstützen wollen, unsere Hilfe auch bekommen. Und das sind in der Regel immer die am stärksten von Konflikten Betroffenen.

Wieweit ist Ihre Organisation auch in Israel im Einsatz?
Wir sind in Israel präsent, unsere Koordinationsteams für die Arbeit in den palästinensischen Gebieten arbeiten in Israel, wir sind seit Jahrzehnten dort. Allerdings ist das israelische Gesundheitssystem sehr gut – und auch sehr gut auf den Konflikt eingestellt. Nach so brutalen Angriffen auf Zivilist:innen wie am 7. Oktober haben wir natürlich unsere Hilfe angeboten, die dann aber nicht gebraucht wurde.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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