„Wir müssen Zivilcourage wieder sexy machen“ : Der Aktivist Baffolo Meus über queerfeindliche Gewalt

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„Wir müssen Zivilcourage wieder sexy machen“ : Der Aktivist Baffolo Meus über queerfeindliche Gewalt - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Getty Images/iStockphoto „Wir müssen Zivilcourage wieder sexy machen“ : Der Aktivist Baffolo Meus über queerfeindliche Gewalt

Queere Lebensweisen sind gruselig für die Mehrheitsgesellschaft, sagt er. Ein Gespräch über Selbstverteidigungskurse, Toleranz und das Gefühl des Bedrückt-Seins.

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Baffolo Meus, die Zahl queerfeindlicher Gewalt steigt. Woran liegt das?
Ich denke, das geht Hand in Hand mit LGBT-Sichtbarkeit. Nur wer sichtbar ist, kann angegriffen werden. Natürlich werden wir Queers nicht persönlich attackiert, sondern weil wir Marker für gesellschaftlichen Wandel sind. Das beißt sich mit dem deutschen Selbstbild, ein vermeintlich offenes und freies Land zu sein.

Was meinen Sie damit?
Queere Lebensweisen sind gruselig für die Mehrheitsgesellschaft. Solange wir uns unauffällig verhalten, in unseren kleinen Bubbles und Safe Spaces bleiben, solange werden wir toleriert, also geduldet. Toleranz ist aber nur ein anderes Wort für: in eine andere Richtung gucken. Sobald wir rausgehen und etwas einfordern, sind wir unangenehm. Nur weil wir jetzt mehr Rechte haben, werden andere Rechte natürlich nicht beschnitten. Aber Menschen, die sich ständig benachteiligt fühlen, sehen das so. Die LGBT-Bewegung betrachte ich als große Erfolgsgeschichte, aber wir haben in den vergangenen 50 Jahren oft unser Maul gehalten, uns angepasst und klein gemacht. Und das muss endlich aufhören.

Wir hoffen, dass uns die Gesellschaft akzeptiert, weil wir doch irgendwie ganz süß sind. Aber das passiert nicht.

Baffolo Meus

War das auch Ihre persönliche Motivation, Selbstverteidigungskurse für Queers zu starten?
Ich lebe in Neukölln in der Nähe des Clubs „Schwuz“ und da ist queerfeindliche Gewalt Alltag. Ich lese in der Zeitung, dass wieder ein Schwuler verprügelt und vor ein fahrendes Auto geschmissen wurde und muss erst mal prüfen, ob es einer meiner Freunde war. Was mich dabei umgetrieben hat, ist die Tatsache, dass sich an der Situation nichts ändert. Wir hoffen, dass uns die Gesellschaft akzeptiert, weil wir doch irgendwie ganz süß sind. Aber das passiert nicht.

Und dann gab es dieses Jahr diese schweren Attacken: Malte, der trans Mann, der auf dem Christopher Street Day (CSD) in Münster geschlagen wurde und starb. Wie kann es sein, dass einfach jemand auf einen CSD kommt, also auf unsere Veranstaltung, und dort um sich schlägt und einen Menschen tötet? Und niemand der vielen tausend Teilnehmenden einschreitet? Das war der Tropfen, der für mich das Fass zum Überlaufen brachte. Ich dachte, ich muss jetzt etwas machen. Und so bin ich auf die Idee mit dem Self-Empowerment-Kurs gekommen.

Weil sich die Gesellschaft nicht ändert, müssen Queere lernen, zu kämpfen?
Wir werden keinen Bürgerkrieg beginnen, sondern einfach auf Augenhöhe bestehen. Es geht auch nicht darum, Kung Fu zu lernen. Tatsächlich geht es viel mehr darum, unseren Selbstwert zu stärken. Wie gering muss der sein, dass wir diese Situation so lange akzeptiert und damit gelebt haben?

In anderen Bewegungen wie beispielsweise der Frauen- und Lesbenbewegung spielte Selbstverteidigung schon immer eine Rolle. Warum nicht in der queeren Community?
Ich denke, der Frauen- und Lesbenbewegung war in den vergangenen 50 Jahren sehr bewusst, wer der Aggressor ist. Sie haben sich in Selbsterfahrungskursen organisiert und sich gegenseitig erzählt, wie es ihnen ergeht. Und aus diesem Bewusstsein, sich verteidigen zu müssen, ist eine Bewegung entstanden.

Dass es das bei queeren Menschen in dieser Form nicht gab, liegt auch daran, dass es dieses Gefühl der Einheit nicht gibt. Und es hat auch etwas mit dem Selbstbild von Männern zu tun. Ein 45-jähriger Schwuler fühlt sich in einer Situation, in der er zum Opfer gemacht wird, anders angegriffen, weil das nie zu seinem Alltag gehörte, wie es das für Frauen oft tut. Nicht zuletzt gab es aber auch immer viele praktische Hürden.

Zum Beispiel?
Viele queere Menschen sind vom Schulsport so traumatisiert, dass sie keine Lust mehr auf Sport in der Gruppe haben. Oder sie können es sich nicht leisten, an einem Selbstverteidigungskurs für 60 Euro teilzunehmen. Oder der Kurs findet in einer Turnhalle außerhalb vom S-Bahn-Ring statt. Unser Team von „Queerschutz Now“ hat all diese Gründe in Betracht gezogen, deshalb organisieren wir kostenlose Selbstverteidigungskurse im „Schwuz“. Mit dem Bildungs- und Sozialwerk des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD) haben wir ebenfalls eine großartige Kooperationspartnerin gefunden. Kostenlos anbieten können wir die Doppelkurse dank der Unterstützung des Bezirksamts Neukölln und der Landesstelle Berlin gegen Gewalt. Dieses Konzept hat es so in Berlin noch nicht gegeben.

Selbstverteidigung ist in erster Linie: Situationen klug einzuschätzen und dann auch klug zu handeln.

Baffolo Meus

Ist es nicht bedrückend, dass sich queere Menschen selbst zur Wehr setzen müssen, weil die Politik es nicht schafft, sie zu schützen?
All meine politische Arbeit beginnt immer mit dem Gefühl des Bedrückt-Seins. Ich wollte diese finsteren Gedanken in etwas Positives wandeln. Und ich weiß nicht, ob Politiker etwas ändern können. Sie können Gesetze erlassen, aber das wird die Situation nicht ändern, die können nur wir verändern.

Und was genau passiert im Kurs?
Es geht einerseits darum, Gewalt abzuwehren, indem wir lernen, die eigenen Antennen zu schärfen und zu lernen, wie wir möglichst unbeschadet aus Situationen kommen. Zum anderen geht es auch darum, diesen Selbstschutz-Radar für andere Menschen zu nutzen, ihnen zur Seite zu stehen und so tatsächlich eine Community zu bilden. Wir müssen Zivilcourage endlich wieder sexy machen. Denn wahrscheinlich werden wir eher Zeugen von Gewalt statt Opfer zu sein.

Auch Malte hat Zivilcourage gezeigt und dafür mit seinem Leben bezahlt…
Ich glaube, Malte hat eigentlich alles richtig gemacht. Er war nicht aggressiv, sondern hat ruhig gefragt, was los ist und sich zwischen den Angreifer und die Angegriffenen gestellt. Was wir in unserem Kurs vermitteln, ist aber auch, sich in so einer Situation noch zwei, drei Leute dazu zu holen und eine Art Schutzwall zu bilden. Nicht alles allein auf die eigenen Schultern zu laden, denn damit bringt man sich in Gefahr. Selbstverteidigung ist in erster Linie: Situationen klug einzuschätzen und dann auch klug zu handeln.

Wie lange dauert der Kurs?
Normalerweise mehrere Wochen. Wir bieten ihn an zwei Abenden an. Unsere Trainerinnen Nadine Wothe und Valerie Banik machen das seit vielen Jahren, auch in der queeren Szene. Der Kurs findet in kleinen Gruppen mit maximal zwanzig Menschen statt und richtet sich vor allem an junge Leute bis Ende 20, die viel nachts unterwegs sind.

Und wie handelt man nun klug, wenn man queerfeindlich beleidigt wird?
Wie ich mich in einer Situation am besten verteidige, ist anders, als du das tun würdest. Es geht darum, die eigenen Grenzen wahrzunehmen und die eigene Methode zu finden. Es geht nicht darum, dass wir alle Superhelden werden. Aber wir können uns selbst besser kennenlernen, mit unserer Körperhaltung, Lautstärke und überraschenden Momenten arbeiten und uns so aus dieser Opfer-Situation befreien, in die wir durch Geschichte und gesellschaftliche Tradition reingeboren wurden. Self-Empowerment ist auch deshalb so wichtig, weil unser Selbstwertgefühl unser Handeln bestimmt.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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