Von Hamas entführt: Israelisches Musikerpaar in Berlin bangt um Verwandten
© privat Von Hamas entführt: Israelisches Musikerpaar in Berlin bangt um Verwandten
Beim Angriff der Hamas in Israel vor einer Woche ist der 15-jährige Amit Shani entführt worden. Seine Familie in Israel und Berlin ist in größter Sorge.
Von Christoph Zempel
Wäre es ein normaler Samstag gewesen, dann wäre Amit Shani wohl skaten gegangen. Vielleicht hätte er Freunde getroffen. Mit Sicherheit hätte der 15-Jährige seiner Lieblingsfußballmannschaft Juventus Turin die Daumen gedrückt, die an dem Tag im Stadtderby gegen den FC Turin 2:0 gewann.
Doch der 7. Oktober war kein normaler Samstag im Kibbuz Be’eri an der Grenze zum Gaza-Streifen, wo Amit Shani lebt. Mehr als 200 der 1300 Menschen, die die Hamas bei ihrem Massaker in Israel brutal ermordete, kamen dort und im Kibbuz Kfar Aza ums Leben.
Amit Shani wurde an diesem Tag einer von den mindestens 150 Geiseln, die die Hamas in ihre Gewalt gebracht hat. Seither bangt seine Familie um ihn – in Israel wie in Berlin. Denn Amit Shani ist verwandt mit Amihai Grosz, Solo-Bratschist bei der Berliner Philharmonie, und dessen Ehefrau Alma Sadé, die als Solistin dem Ensemble der Komischen Oper Berlin angehört.
© Marco Borggreve
Enge Beziehungen zu Verwandten
„Wir befinden uns in der Hölle“, sagt die 41-Jährige dem Tagesspiegel. Die Beziehungen zu Amit Shani und seinen Eltern ist eng. Alma Sadés Mann und Amit Shanis Mutter Tal wuchsen zusammen auf. Zwei- bis dreimal im Jahr fahren die Musiker, die beide aus Israel stammen und seit mehr als zehn Jahren in Berlin leben, in ihre Heimat, um ihre Verwandten zu besuchen.
Das sind ganz normale, tolle Menschen, die sich plötzlich in der Hölle wiederfinden.
Alma Sadé, Solistin im Ensemble der Komischen Oper Berlin, über ihre Verwandten
Eigentlich wollten sie jetzt in Israel sein. „Wir hatten schon ein Flugticket, weil mein Bruder und dessen Frau ein Baby bekommen“, sagt Alma Sadé. Nun müssen sie in der Ferne und in großer Sorge um Amit Shani und ihre Verwandten verharren. „Das sind ganz normale, tolle Menschen, die sich plötzlich in der Hölle wiederfinden“, sagt Alma Sadé.
Die Hölle beginnt um 6.30 Uhr
Die Hölle begann für Amit Shani, seine Schwestern Emma und Rani sowie seine Mutter Tal an jenem Samstag gegen 6.30 Uhr. „Wir hörten die Sirenen und gingen sofort alle in unseren Saferoom – Amits Zimmer“, erzählt dessen Mutter Tal. „Die Kinder schliefen wieder ein.“ Derartiger Alarm ist nicht ungewöhnlich an der Grenze zu Gaza. Tal Shani ließ sie schlafen. Sie wollte nicht, dass sie Angst bekommen.
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Denn sie selbst verfolgte in der Zeit über eine Whatsapp-Gruppe der Kibbuz-Bewohner, was passierte, sagt sie. Sie habe gewusst, dass Terroristen in der Siedlung waren und die Armee nicht da sei. „Einige Bewohner versuchten, mit Waffen das Kibbuz zu beschützen. Doch bald wusste ich, dass sie das nicht überlebt haben.“
Gegen 12.30 Uhr hätten sie Glas zersplittern gehört. „Sie brachen die Tür auf“, sagt sie. „Sie befahlen uns, nach draußen zu gehen. Überall war Rauch.“ Sie habe ihren Kindern gesagt, sie sollen sich auf keinen Fall wehren. „Tut, was sie euch sagen. Habt keine Angst, alles wird gut.“
Stundenlang mussten sie draußen ausharren, gemeinsam mit Nachbarn. „Sie fesselten die Männer aneinander. Auch Amit.“ Sie habe nichts zu ihm sagen können. „Wir alle standen unter Schock.“
Mutter und Schwestern müssen Entführung mit ansehen
Zwischendurch mussten sie mehrmals den Ort wechseln. Die Terroristen seien auf der Suche nach einem Auto gewesen. „Sie wollten auch von mir ein Auto haben. Immer wieder sagte ich ihnen, dass ich keins habe“, erzählt Tal Shani. Schließlich seien einige von ihnen mit einem schwarzen Auto aufgetaucht. „Sie griffen sich alle Männer und nahmen sie mit.“
Sie habe die Hamas-Terroristen angefleht, Amits Leben zu verschonen. „Er sagte immer wieder zu mir: ,Mir gehts gut. Nimm meine Schwestern für mich in den Arm.’“
Sie und ihre Töchter blieben zurück. Inmitten von brennenden Häusern und Schüssen suchten sie in einem fremden Haus Schutz. Erst abends wurden sie von der israelischen Armee gefunden. Weil die Terroristen ihre Handys mitgenommen hätten, habe sie niemandem sagen können, dass sie am Leben sind. „Alle dachten, wir sind tot.“
Amits Vater kämpft in brennendem Haus um sein Leben
Auch ihr Ex-Ehemann, Amits Vater Nir Shani, wusste lange nicht, was passiert war. Er selbst musste sich im Saferoom seines Hauses verstecken, als er in der Nähe Schüsse hörte, erzählt er. Mehrere Terroristen seien in sein Haus eingedrungen, sie hätten versucht, die Tür zum Saferoom aufzubrechen. Bis mittags habe er ständig mit seiner Ex-Frau geschrieben. Dann brach der Kontakt ab.
Der Grund, warum ich die ganze Zeit weitergekämpft habe, war, dass ich nicht wollte, dass meine Kinder zu Waisen werden.
Nir Shani, Vater des entführten Amit
Die Terroristen steckten sein Haus in Brand. „Überall war Rauch. Ich habe mir Kissenbezüge von meiner Tochter gegriffen und sie mir vor den Mund gehalten“, sagt er. Elf Stunden habe er im Saferoom festgesessen. Barfuß, ohne Wasser und in absoluter Dunkelheit. Er habe viel Rauch eingeatmet, sei vollkommen geschwächt gewesen.
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Nur die spezielle Sicherung des Zimmers rettete ihn. Am späten Nachmittag konnte die israelische Armee ihn befreien und ihn aus dem brennenden Haus ziehen. „Der Grund, warum ich die ganze Zeit weitergekämpft habe, war, dass ich nicht wollte, dass meine Kinder zu Waisen werden“, sagt er.
Mittlerweile sind die Shanis in einem Hotel untergebracht – zusammen mit den anderen Überlebenden aus dem Kibbuz Be’eri.
Armee glaubt, dass Amit am Leben ist
Alma Sadé ist fassungslos angesichts der Gewalt. Sie fühle einen „unfassbaren Schmerz“, wenn sie an die Entführung von Amit denke. Sie hoffe nun auf einen Deal. „Die Hamas hat einen Grund, die Geiseln am Leben zu lassen“, sagt Alma Sadé. „Hoffnung ist alles, was uns bleibt.“
Zugleich sei es ihr wichtig zu betonen, dass ihre Gedanken auch bei den Kindern in Gaza seien. „Die Menschen, die unter der Hamas leben müssen, haben keine Schuld.“
Und immerhin: Am Donnerstag bestätigte die Armee den Shanis nicht nur, dass Amit unter den Geiseln in Gaza ist. Sie seien sich auch sicher, dass er am Leben ist. Mehr wollten sie nicht sagen, erzählt Alma Sadé.
„Er war so mutig“, sagt Tal Shani. „Ich weiß, dass alles gut wird. Ich schicke ihm Liebe und Kraft. Ständig stelle ich mir unser Wiedersehen vor.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de