„Von der Sahra fühle ich mich nicht veralbert“: Was macht Wagenknecht bei so vielen beliebt?
© imago/IPON/imago „Von der Sahra fühle ich mich nicht veralbert“: Was macht Wagenknecht bei so vielen beliebt?
Die Veranstaltungen von Sahra Wagenknecht sind fast immer ausverkauft. Seit Monaten zündelt sie damit, eine neue Partei zu gründen. Ein Besuch bei ihrer künftigen Basis.
Von Lea Schulze
Großröhrsdorf, eine Kleinstadt in Sachsen im Landkreis Bautzen. Vor einem Handwerksbetrieb steht ein Schild mit einer „Geschäftsordnung“. Grüne hätten hier nichts zu suchen, „nichts“ ist dick unterstrichen. Gendersprache sei verboten. „Hier wird Zigeunerschnitzel gegessen und Mohrenkopf gegessen, gelesen werden auch Indianerbücher. Diese Gasheizung bleibt.“
An diesem Ort tritt an diesem Abend Sahra Wagenknecht auf, sie liest aus ihrem Buch „Die Selbstgerechten“. 537 Eintrittskarten waren innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. Beim Gysi seien es auch so viele gewesen, sagt eine Frau zu ihrer Freundin vor der Veranstaltung. Das seien eben Magneten, und –„welche von uns“.
Sahra Wagenknecht ist Reizfigur, eine Populistin schimpfen viele. Für ihre Anhänger aber ist sie eine Hoffnungsträgerin. Seit Monaten zündelt sie damit, eine neue Partei zu gründen, bei der Linken fühle sie sich nicht mehr heimisch.
Im Februar mobilisierte sie gemeinsam mit der Feministin Alice Schwarzer zu einer Kundgebung „für den Frieden“ am Brandenburger Tor. Mehr als 10.000 Menschen kamen.
Schild vor einem Handwerksbetrieb im Großröhrsdorf. © Tagesspiegel/Lea Schulze
Seitdem ist sie viel unterwegs, tourt durchs ganze Land. Es wirkt, als würde sie die Lage sondieren. Funktionieren ihre Thesen? Wie viele Leute zieht sie an? Für die schwer angeschlagene Linke wäre eine Wagenknecht-Partei ein heftiger Schlag. Was hat die Politikerin vor?
Zum Interview treffen will sie sich nicht, ihr Terminkalender sei so voll, heißt es aus ihrem Büro. Nur so viel: Sie habe sich eine Deadline bis Ende des Jahres gesetzt. Wie die Entscheidung ausfalle, ob sie gründe oder nicht, hänge nicht nur von ihr ab, lässt sie ausrichten.
„Wenn die Linke sich völlig neu aufstellen würde, mit attraktiven Köpfen an der Parteispitze und einem vernünftigen Kurs, würde ich alle Überlegungen zu einer Neugründung sofort einstellen“, sagte sie der Tageszeitung „Welt“. Es klingt wie ein Ultimatum.
Demoskopen sehen bei einer neuen Wagenknecht-Partei ein unglaubliches Potenzial von bis zu 24 Prozent. Für den Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke ist die Gründung der Partei daher inzwischen ausgemachte Sache.
24Prozent der Deutschen könnten eine Wagenknecht-Partei wählen.
Dass eine solche Partei in den Bundestag einziehen könnte, hält er für mehr als wahrscheinlich. „Wagenknecht kann sich der Nachfrage doch kaum erwehren, der unerbittliche Wille nach Frieden auf Kosten der Ukraine ist groß und auch sonst hat sie einen enorm großen Raum, in dem sie wildern kann.“
Von Lucke macht folgende Rechnung auf: „Kommen von der AfD nur fünf Prozent und von der Linkspartei drei, wäre die Partei schon klar im Bundestag. Damit ist das Potenzial aber noch nicht ausgeschöpft.
Wagenknecht kann sich der Nachfrage doch kaum erwehren, der unerbittliche Wille nach Frieden auf Kosten der Ukraine ist groß und auch sonst hat sie einen enorm großen Raum, in dem sie wildern kann.
Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler.
Der Zeitpunkt für den finalen Schritt Wagenknechts sei perfekt, sagt von Lucke. „Einen besseren Gegner als die desaströs agierende Ampel gibt es doch gar nicht.“
Das finden auch die Zuschauer in Sachsen. „Ich wollte sie halt mal sehen“, sagt eine Frau auf die Frage, was sie heute, bei strahlendem Sonnenschein, zu der Veranstaltung gezogen hat. Sahra Wagenknecht sei die Einzige, die die Wahrheit sage, Tacheles spreche.
Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer bei ihrer Kundgebung für Verhandlungen mit Russland am Brandenburger Tor. © dpa/Christophe Gateau
Sie nimmt einen tiefen Zug an ihrer Zigarette. „Die anderen verbreiten nur Hass und Hetze gegen das Volk. Von der Sahra fühle ich mich nicht veralbert.“ An der jetzigen Regierung kritisiert sie besonders die Asylpolitik.
„Es kommen einfach zu viele, die nicht ins System einzahlen“, sagt sie. „Und wen trifft es dann? Doch den kleinen Deutschen, uns.“ An diesem Ort allerdings kommen die Menschen, von denen sie spricht, offenbar nicht an. Zumindest sieht man hier nirgendwo jemanden mit sichtbarer Migrationsgeschichte.
Viele Geschäfte im Ort sind seit Corona geschlossen. © Tagesspiegel/Lea Schulze
Im Fernsehen lasse man Wagenknecht ja nicht ausreden, sagt eine Rentnerin. Wagenknechts Reden schaue sie auf Youtube. „Von den anderen Parteien wird sie ausgelacht, das ist unverschämt.“
Die Geldverteilung sei falsch, findet sie. „Wir müssten mehr für unsere Kinder tun, die Schulen, unsere Alten. Eben mehr fürs Land, und nicht für Hinz und Kunz.“ Früher habe sie die Linke gewählt, aber die seien inzwischen abgehoben. Jetzt wähle sie die Anderen. Heißt das die AfD? „Ja. Aber ich würde die Sahra wählen.“
Die Schlange vor dem Saal. © Tagesspiegel/Lea Schulze
Die meisten, die gekommen sind, wirken wie Wagenknecht-Fans. Dass Wagenknecht mit der Parteigründung bislang nur zündelt, könnte weniger an fehlendem Zulauf liegen, sondern vielmehr an ihrem mangelnden Organisationstalent.
Sie könne gerade mal allein in ein Auto einsteigen, heißt es hinter vorgehaltener Hand in der Linkspartei, sei gar nicht in der Lage, etwas allein auf die Beine zu stellen. Die Genoss:innen, die mitgehen würden, wären eher aus der Ü60+-Riege wird in der Partei gelästert. Nicht unbedingt die Revolution.
Das Problem sieht auch Albrecht von Lucke. „Sahra Wagenknecht ist für viele eine linke Ikone, aber sie ist beileibe keine Parteistrategin. Ob sie das organisatorisch hinkriegen würde, ist die große Frage. Es wäre jedenfalls ein ganz neues Phänomen: Die Parteigründung durch eine Person, die dafür gänzlich ungeeignet ist.“
Die Linke aber ist tief zerstritten, ideale Voraussetzungen für eine Neugründung durch eine ihrer prominentesten Mitglieder. In Umfragen liegt sie bei vier Prozent. Der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch besteht im Gespräch mit dem Tagesspiegel dennoch darauf: Er habe keine Angst vor einer Wagenknecht Partei.
Wer sollte denn mit dieser eventuellen Partei zusammenarbeiten?
Dietmar Bartsch, Fraktion-Vorsitzender der Linken im Bundestag.
Er habe schon viele schwierigere Zeiten mit der Linken erlebt. „Wenn sie es macht, dann macht sie es halt, auch wenn ich das völlig falsch finde. Sahra und ich haben einen soliden Draht, sie weiß, wie ich zu der Sache stehe. Ich prophezeie maximal ein Strohfeuer, wenn auch ein intensives.“
Seine Genoss:innen versucht er zu beruhigen. „Wer sollte denn mit dieser eventuellen Partei zusammenarbeiten? Und sie wird keinen Europaparlamentarier oder Landtagsabgeordneten der Linken gewinnen, uns kostet das keine Regierungsbeteiligung.“ Wie nervös die Linke aber sein muss, merkt man daran, wie unbeliebt Fragen zu Wagenknecht in der Partei sind.
Sahra Wagenknecht gemeinsam mit dem Linken-Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch. © imago images/Christian Spicker
Wenn Wagenknecht mal wieder gegen die Partei wettere, bekomme sie selbst mehr Anfragen zu Sahra Wagenknecht als zu ihren eigenen Themen, ärgert sich die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Nicole Gohlke.
„Dabei machen wir wirklich gute Politik, die wegen dem ganzen Zirkus kaum draußen ankommen.“ Das ewige Gerede darum sei letztlich genauso verheerend, wie es die Gründung der Partei selbst wäre. Alarmiert sei aber auch sie nicht. „Ich kenne die Rechnungen. Aber ich glaube nicht, dass sich dieses Potenzial wirklich abbilden lässt.“
Wie auch immer Wagenknecht sich entscheide, sie solle es jetzt tun, wünscht sich Caren Lay, Sprecherin der Linken-Fraktion für Mieten-, Bau- und Wohnungspolitik. „Es ist unverschämt, die eigene Partei ein halbes Jahr lang auf die Folter zu spannen.“ Ihren Sitz im Bundestag habe sie der Partei zu verdanken. Da könne man erwarten, dass sie sich auch in die parlamentarische Arbeit einbringe, zum Beispiel als Finanzpolitikerin.
Ich kenne die Rechnungen. Aber ich glaube nicht, dass sich dieses Potenzial wirklich abbilden lässt.
Nicole Gohlke, stellvetretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag und Sprecherin für Bildung.
Zurück in Ostdeutschland. Sahra Wagenknecht verspätet sich, sie steht im Stau. „Haben sie das Buch denn gelesen?“, fragt eine Frau. „Tun Sie es, dringend! Darin werden alle politischen Zusammenhänge erklärt, wie viel die Wirtschaft bestimmt zum Beispiel. Und dass Wissenschaftler von großen Firmen bezahlt werden.“
Sie holt das Hörbuch aus ihrer Tasche, sie hofft, dass Sahra Wagenknecht es ihr später signieren wird. „Unsere Sahra“, sagt sie immer wieder. Sie ist aus Bischofswerda gekommen, mit dem Auto etwa 20 Minuten von hier. Ihre Frau sitzt nach einem Schlaganfall im Rollstuhl, dass sie gemeinsam eine Veranstaltung besuchen, ist für die beiden Frauen etwas Besonderes.
Signierstunde. © Tagesspiegel/Lea Schulze
Bei ihnen trifft Wagenknecht einen Nerv. Wenn man gegen Waffenlieferung sei und gegen das Gendern, dann werde man gleich in die rechte Ecke gestellt, „die da oben“ verstünden die Probleme der Arbeitenden nicht.
Sie haben eine Petition gegen Waffenlieferungen unterschrieben. „Wer verdient denn daran? Die Wirtschaft. Und wer das mal ausspricht, der ist gleich ein Verschwörer .“
Dass die Ukraine, wenn Wagenknechts Vorstellungen von Frieden sich durchsetzen würden, fallen würde, dass Russland dann wohl große Teile der Ukraine kontrollieren würde, darüber spricht hier niemand.
Viele Geschäfte in Großröhrsdorf sind verwaist. © Tagesspiegel/Lea Schulze
Als Wagenknecht endlich kommt, cremefarbenes Kostüm, die Haare wie immer streng nach hinten hochgesteckt, ist der Applaus laut und lang. Seit dem Erscheinen ihres Buchs im April 2021 habe sich vieles getan, sagt sie. Allen voran: Aus grünen Lifestyle-Linken seien plötzlich überzeugte Militaristen geworden, die nach Waffen riefen und Kriege militärisch entscheiden wollten.
Für die Taschenbuchausgabe ihres Werkes hat Sahra Wagenknecht nach Ausbruch des Kriegs in der Ukraine ein neues Vorwort geschrieben, aus dem sie nun liest.
Dass die Grünen hier nicht beliebt sind, weiß Wagenknecht genau. Eine Spitze nach der anderen schießt sie gegen die Ökopartei, die Menge klatscht und johlt. Immer wieder geht ein bestätigendes Nicken, Raunen und Kichern durch die Menge, ein bisschen so, als wolle man zeigen, dass man den Witz verstanden hat.
Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock wolle Russland ruinieren, sagt Wagenknecht, Anton Hofreiter am liebsten selbst im Panzer in die Ukraine fahren, „wenngleich das doch schwerlich CO₂-neutral möglich sein dürfte“, Habeck verspottet sie als „Bückling, der in Katar für Gas einen Diener macht“.
Bei Sahra Wagenknechts Lesung ist jeder Platz besetzt. © Tagesspiegel/Lea Schulze
Die Grünen bezeichnet sie als die gefährlichste Partei Deutschlands. Wer die Deutschlandfahne hisse, müsse sich als Nazi bezichtigen lassen, aber die Ukrainefahne sei toll? Warum ein regionaler Konflikt jetzt unser Krieg sei?
Bei ihrem Publikum läuft Wagenknecht offene Türen ein. „Linksliberale fordern offene Grenzen, dabei wissen sie doch ganz genau, dass ihre hippen Innenstadtbereiche besser geschützt sind als Orbans Ungarn.“
Die Linken seien grüner geworden als die Grünen, poltert sie. Wenn man gegen Waffen sei, dann sei man rechts, nur weil die AfD das auch sage. „Wenn die AfD sagt, der Himmel ist blau, müssen wir dann alle sagen, der Himmel ist grün, weil wir sonst alle rechts sind? Das kann es doch nicht sein.“
Kritische Fragen an Frau Wagenknecht gibt es nicht, weder vom Moderator, noch aus dem Publikum. Von Interesse ist vor allem eins: Wann Wagenknecht endlich ihre eigene Partei gründet. „Alle hier wünschen sich das“, sagt jemand ins Mikrofon.
Linksliberale fordern offene Grenzen, dabei wissen sie doch ganz genau, dass ihre hippen Innenstadtbereiche besser geschützt sind als Orbans Ungarn.
Sahra Wagenknecht, Linken-Politikerin und Mitglied des Bundestags
Aber was für eine Partei könnte das sein? Sahra Wagenknecht scheut jegliche Russlandkritik. Sie steht für eine linke Sozialpolitik, gibt sich aber gesellschafts- und kulturpolitisch erzkonservativ.
Sie ist gegen Waffenlieferungen an die Ukraine, gegen eine allzu offene Asylpolitik. Schnittmengen dürfte sie vor allem mit der AfD haben, doch die Grenzen nach Links und Rechts scheinen fließend.
Und wieder hält sie sich bedeckt. Den Kampf in der Linken habe sie wohl verloren, sagt sie. Aber sie habe das Gefühl, noch etwas verändern zu können. Tosender Applaus, mitunter stehende Ovationen.
Auch das Ehepaar aus Bischofswerda ist begeistert. War es so, wie sie es sich vorgestellt haben? „Noch viel besser.“ Jetzt müssen sie aber schnell los, Richtung Bühne. Wegen des Autogramms.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de