Verantwortungsgemeinschaft: Eine Reform, die keiner braucht?
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Die Ampel wollte das Familienrecht modernisieren: Auch ohne Liebesbeziehung sollen Menschen Verantwortung füreinander übernehmen können. Unklar ist, wer das überhaupt will.
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Bald. Bald könne man ein Eckpunktepapier veröffentlichen, heißt es aus dem Justizministerium. Einen genauen Termin gibt es nicht. Einen offiziellen Grund für die Verzögerung auch nicht. Denn das Papier sollte längst vorliegen, das Gesetz demnächst verabschiedet werden. Dabei geht es, wenn man Justizminister Marco Buschmann (FDP) glauben darf, um nichts Geringeres als die „größte familienrechtliche Reform der letzten Jahrzehnte“.
Bis Mitte des Jahres wollte Buschmann eine neue Form des Zusammenlebens schaffen: die Verantwortungsgemeinschaft. Außer einem groben Entwurf der FDP von 2020 und einem kurzen Bekenntnis im Koalitionsvertrag gibt es aber: nichts. Die für das Thema zuständigen Abgeordneten der Ampel-Fraktionen wissen auf Nachfrage weder, was kommt, noch wann. Wo steckt es, das große Reformprojekt?
Viele Projekte bleiben hinter dem Zeitplan
Abstammungsrecht, Sorgerecht, Selbstbestimmungsgesetz, Verantwortungsgemeinschaft. Die Liste der familienrechtlichen Reformen, die sich das Justizministerium vorgenommen hat, ist lang. Bei jeder einzelnen hängt man hinter dem Zeitplan – oder hat gar keinen genannt.
Der Verantwortungsgemeinschaft fehlt die Lobby, die Druck macht. Manche glauben, es liege am Vorhabenstau im Ministerium. Wahrscheinlicher aber klingt die Erklärung, dass sie sich als rechtlich komplizierter ist als gedacht, und die Idee auf der Prioritätenliste nach hinten rückte. Ulle Schauws, familienpolitische Sprecherin der Grünen, sagt: „Vorrangig“ müssten die Reformen bearbeitet werden, die die Diskriminierung queerer Familien abbauen.
Für Menschen ohne Liebesbeziehung
Bei der Verantwortungsgemeinschaft handelt es sich um eine Art Wahlverwandtschaft, eine Möglichkeit für zwei oder mehr erwachsene Menschen, auf dem Papier Verantwortung füreinander zu übernehmen. Sie hätten zum Beispiel gegenseitige Auskunftsrechte im Krankenhaus oder sogar steuerliche Vorteile, ähnlich zur Ehe.
Die Idee ist eigentlich revolutionär: Ein alternatives Lebensmodell, für Menschen, die keine Liebesbeziehung führen. Eine Alternative, keine Konkurrenz zur Ehe, sagt Buschmann. Allen voran war es die Union, die Widerspruch einlegte.
Fraktionsvize Dorothee Bär (CSU) twitterte kurz nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrags, die Ampel würde „den Schutz von Ehe und Familie und unser Grundgesetz mit Füßen“ treten. Auch eineinhalb Jahre später, sagt sie: „Die Idee ist überhaupt nicht zu Ende gedacht und öffnet Missbrauch Tür und Tor.“ Was nämlich, meint Bär, wenn jemand nicht aus Nächstenliebe die Pflege eines anderen übernehme, sondern weil er auf die Erbschaft spekuliert?
Zudem ist nicht ganz klar, welche Regelungslücke die Verantwortungsgemeinschaft schließen will. Denn Auskunftsrechte, Kontozugänge und Nachlasse lassen sich heute schon durch privatrechtliche Vollmachten regeln.
Daniel Föst will dem widersprechen. Er glaubt fest an die Idee – das muss er auch, schließlich war es seine. Er hat die Verantwortungsgemeinschaft in der FDP populär gemacht. Föst, FDP-Abgeordneter aus Bayern, mit seiner Frau hat er zwei Kinder, sagt, er kenne einige Senioren-WGs in München und merke dort immer wieder, dass Vollmachten und Vertretungsberechtigungen ein großes Thema seien.
Die privatrechtlichen Möglichkeiten seien zu umständlich, müssten oft notarisch beglaubigt werden. „Vielen ist das zu aufwendig“, sagt Föst. Außerdem wäre da so etwas wie die Pflegezeit. Nur direkte Angehörige haben einen Anspruch darauf, sich bezahlt von der Arbeit freistellen zu lassen, um jemanden zu pflegen.
Das Projekt braucht offenbar kein Mensch.
Dorothee Bär, CSU-Vizechefin
Was sagen denn diejenigen dazu, an die sich die Verantwortungsgemeinschaft laut FDP richtet – Alleinerziehende, Senior:innen, Wohngemeinschaften, queere Familien?
Dort kommt immer wieder die gleiche Antwort: Wir sehen nicht, was uns das bringen soll. Die Stiftung Alltagsheld:innen für Alleinerziehende sagt: Kümmert euch lieber um die Kindergrundsicherung. Und dem Lesben- und Schwulenverband wäre eine Reform des Abstammungs- und Sorgerechts wichtiger.
CSU-Politikerin Dorothee Bär fasst zusammen, was viele in Sachen Verantwortungsgemeinschaft zu denken scheinen: „Das Projekt braucht offenbar kein Mensch.“
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de