Stationierung der Bundeswehr in Litauen: Verstößt Deutschland gegen die Nato-Russland-Grundakte?
© AFP/PETRAS MALUKAS Stationierung der Bundeswehr in Litauen: Verstößt Deutschland gegen die Nato-Russland-Grundakte?
Die Bundeswehr möchte dauerhaft 4000 deutsche Soldaten in Litauen stationieren. Dies könnte gegen die Abmachung aus dem Jahre 1997 verstoßen. Drei Experten geben dazu Auskunft.
Von Hans Monath
Verstößt Deutschland gegen die Nato-Russland-Grundakte von 1997, wenn SPD-Verteidigungsminister Boris Pistorius ankündigt, in Zukunft dauerhaft eine Brigade der Bundeswehr (4000 Soldatinnen und Soldaten) in Litauen zu unterhalten?
Die Nato hatte damals zugesagt, sie wolle keine zusätzlichen „substanziellen“ Kampftruppen dauerhaft in den Staaten des ehemaligen Ostblocks stationieren.
Für Kai Ambos, Professor für internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Universität Göttingen, handelt es sich bei der Grundakte um einen völkerrechtlichen Vertrag mit beidseitigen Rechten und Pflichten. Unter anderem verpflichteten sich beide Seiten zum Verzicht auf die Androhung oder Anwendung von Gewalt.
Nach Ansicht des Juristen hat die russische Seite durch ihren Angriffskrieg gegen die Ukraine massiv gegen den Vertrag verstoßen: „Sie hat eine Grundnorm, viele würden sagen, die Grundnorm des Völkerrechts, das Gewaltverbot, verletzt. Das ist völkerrechtlich so ziemlich das Schlimmste, was man tun kann.“
Putins Angriff auf die Ukraine hat die Nato-Russland-Grundakte zur „Makulatur“ gemacht, sagt Politikwissenschaftler Thomas Jäger. © IMAGO/SNA/IMAGO/Sergey Guneev
Als Folge dieser massiven Völkerrechtsverletzung entfalle „die Geschäftsgrundlage dieses Vertrages“. Deshalb habe die Nato „aus rechtlicher Sicht alle Möglichkeiten“, könne den Vertrag auch kündigen. Ambos plädiert aber für „eine flexiblere Reaktion, etwa eine Suspendierung“.
Denn der Vertrag sei „inhaltlich gut und wichtig“. Die Schlussfolgerung des Völkerrechtlers: „Sollte irgendwann mit einem Russland nach der Herrschaft von Wladimir Putin wieder ein Ausgleich möglich sein, dann kann die Grundakte eine gute Basis sein – und man muss nicht wieder bei null anfangen.“
Auch Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Köln, sieht in dem Vertrag kein Hindernis für die dauerhafte Stationierung von 4000 Soldaten. Jäger verweist darauf, dass die Nato ihren Verzicht auf die dauerhafte Stationierung unter zwei Vorbehalte gestellt hatte.
Sie sagte zu, dass das Bündnis seine kollektive Verteidigung „eher“ durch regelmäßigen Austausch wahrnehme, „als dass es zusätzlich substanzielle Kampftruppen dauerhaft stationiert“. Das Wort „eher“ sieht Jäger als grundsätzlichen Vorbehalt. Wichtiger aber sei noch die zweite Bedingung. Nämlich, dass die Zusage „in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld“ gelte. „Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass mit Russlands Kriegen in Georgien (2008), Ukraine (2014) und dem vollumfänglichen Angriffskrieg seit 2022 diese Bedingung nicht mehr besteht“, urteilt der Wissenschaftler.
Die Nato hat zweifellos das Recht, auch substanzielle Kampftruppen in den neuen Mitgliedstaaten zu stationieren.
Joachim Krause, Leiter des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik
Die Nato habe trotz russischer Aggression versucht, die Grundakte zu erhalten, bis sie der Angriffskrieg gegen die Ukraine zur „Makulatur“ gemacht habe. „Trotzdem ist es sinnvoll, politisch an ihr festzuhalten, um Russlands Propaganda, man befinde sich in der Verteidigung gegen einen Angriff des Westens, nicht zu unterstützen“, sagt Jäger.
Joachim Krause, Leiter des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, kommt zu dem Schluss: „Da sich das sicherheitspolitische Umfeld geändert hat, hat die Nato zweifellos das Recht, auch substanzielle Kampftruppen in den neuen Mitgliedstaaten zu stationieren.“
Krause verweist darauf, dass es nach Angaben des deutschen Generals Klaus Naumann, der aufseiten der Nato an den Verhandlungen beteiligt war, unter den Regierungen – einschließlich Russlands – eine informelle Einigung gab. Darin wurde gesagt, dass der Begriff „substanzielle Kampftruppen“ alle Kampftruppen oberhalb einer Brigade, also ab der Größe einer Division, umfassen sollte.
Die Bundeswehr plane jedoch, nur eine Brigade nach Litauen zu entsenden, das sei „nicht gerade substanziell“. Kein Verständnis hat Krause dafür, dass die Bundesregierung immer noch an der Akte festhält. „Diese ist mausetot, weil Russland sie in allen entscheidenden Punkten verletzt hat“, urteilt der Experte aus Kiel.
Er fügt hinzu: „Dahinter steht die völlig illusorische Vorstellung des Bundeskanzlers und weiter Teile seiner Partei, dass sich nach einem Ende des Krieges in der Ukraine die Beziehungen zu Russland wieder normalisieren könnten.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de