Robotik und Intelligenzforschung: Kakadus helfen beim Roboterbau
© Wikimedia/John Harrison, pixabay Robotik und Intelligenzforschung: Kakadus helfen beim Roboterbau
Die Problemlösungsstrategien von Vögeln sind Vorbild für den Bau intelligenter Maschinen.
Der Mensch ist die Krone der Schöpfung. Nur er ist intelligent, kann Probleme lösen, ist lernfähig. Über Jahrtausende stand diese Grundannahme. Doch nun gerät sie ins Wanken. Viele Tiere zeigen erstaunliche Intelligenzleistungen, Computer spielen mittlerweile besser Schach als Menschen. Ist Intelligenz wirklich eine Domäne des Menschen? Was ist Intelligenz eigentlich? Um der Antwort auf diese Fragen näher zu kommen, haben sich Berliner Forscher mit Fini, Zozo, Muki, Pippin und Merlin angefreundet, vorwitzigen kleinen Kakadus aus Forschungsinstituten in Wien und Oxford. Um der Intelligenz auf die Spur zu kommen wollen sie die Quelle des intelligenten Verhaltens der Vögel extrahieren und in einer Maschine nachbilden. In einem Roboter aus dem Robotics and Biology Laboratory der TU Berlin.
„Begonnen hatte alles damit, dass Alice Auersperg, Verhaltensforscherin von der Veterinärmedizinischen Universität Wien und Alex Kacelnik, Verhaltensökologe von der Universität Oxford, die kognitiven Fähigkeiten von Kakadus verstehen wollten, die sich sehr pfiffig zeigen im Lösen von Problemen“, erzählt Professor Oliver Brock, Leiter des Fachgebiets „Robotics“ an der TU Berlin. Die beiden Wissenschaftler aus Österreich und England hatten die Kakadus mit mechanischen Puzzles aus Schrauben, Rädchen und Riegeln konfrontiert, die ihnen Zugang zu einer Nuss eröffneten, wenn sie alle korrekt und in der richtigen Reihenfolge gelöst werden. Überraschenderweise knackten viele Kakadus das Rätsel, die sogenannte Lockbox, innerhalb kurzer Zeit. „Alex und Alice untersuchen, was die Kakadus dazu befähigt, diese Intelligenzleistung zu erbringen. So machten wir uns an den Bau eines Roboters, der durch Probieren und Lernen ebenfalls das Rätsel dieser Lockbox lösen könnte.“
Vergleichen und abstrahieren statt imitieren
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte das Projekt „Physical Exploration Challenge“, in dem die Robotik-Forscher, zusammen mit Kollegen der Universität Stuttgart, eine Lockbox für einen Roboter konstruierten. Sie programmierten, statteten den Roboter mit kleinen Motoren und vor allem mit einem Greifarm sowie einer speziellen weichen Hand aus, um ihm möglichst große Freiheitsgrade der Bewegung zu ermöglichen. Dann programmierten sie ihn mit Wahrnehmungsfähigkeiten und Problemlösungsstrategien, die ihn in die Lage versetzen würden, das mechanische Rätsel zu lösen. Die Ergebnisse wiederum sollen Alex und Alice ermöglichen, ihre Hypothesen zu den Problemlösungsstrategien von Fini, Zozo, Muki, Pippin und Merlin zu testen.
„Mit dem ersten einfachen Mechanismus waren wir sehr erfolgreich“, sagt Manuel Baum. Der Informatiker promoviert im Rahmen des Projekts „Physical Exploration Challenge“, dessen Nachfolgeprojekt zu dem von TU-Robotiker Oliver Brock geleiteten interdisziplinären Exzellenzcluster „Science of Intelligence“ (SCIoI) gehört. „Wir treffen uns regelmäßig mal in Berlin, mal in Wien, mal in Oxford mit den Kollegen. Dabei entwickeln wir neue Experimente, die uns Hinweise zum Bau einer Maschine geben können, die das Verhalten der Vögel imitieren kann –, die auch eigenständig Lernprozesse durchführt“, erklärt Manuel Baum. „Der Vogel wird also nicht nachgebaut, sondern wir vergleichen und abstrahieren. Wo fasst der Vogel hin? Welche Erfahrung hat er vorher gemacht? Welche Kraft übt er aus?“ Die detaillierten Antworten auf diese Fragen sind Voraussetzung dafür, einem Roboter beizubringen, seine Umgebung autonom zu erforschen, Handlungen auszuprobieren und zu erkennen, welche Handlung erfolgversprechend ist. Erst wenn er diese Erfahrungen speichern und wiederverwenden kann, ist ein Lernprozess entstanden.
Das Fachgebiet „Robotics“ ist eine der Disziplinen, die sich mit Intelligenzforschung beschäftigen. Sein Leiter Oliver Brock kam vor sechs Jahren mit einer Alexander von Humboldt-Professur zur Erforschung von künstlicher Intelligenz für autonome Roboter aus den USA an die TU Berlin. Dass Roboter im Mittelpunkt der Forschungen stehen, macht es möglich, einen multidisziplinären Blick auf die Frage der Intelligenz zu werfen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der interaktiven Wahrnehmung. Heute weiß man, dass der Mensch Gegenstände wesentlich leichter erkennt, wenn er sie berühren und manipulieren darf. Dieses Wissen wenden die TU-Robotiker auch auf den Roboterbau an. Ihr Roboter soll schließlich seine Umgebung und Gegenstände aktiv erkunden wie ein Baby sein Spielzeug und daraus lernen. Sein Werkzeug ist die sanfte Roboterhand mit den Silikonfingern, die sich mittels Luftdruck bewegt und gezielt greifen kann.
Jede Bewegung bekommt einen bestimmten Code
Im Projekt „Physical Exploration Challenge“ entwickelt Manuel Baum derzeit eine neue, anspruchsvollere Lockbox, bestehend aus ganz unterschiedlichen Bausteinen und Verschlussmechanismen. Durch den modularen Aufbau kann sie immer wieder umgebaut und neuen Experimenten angepasst werden. Die Neugier der Vögel hilft dabei, immer neue Aufgaben zu bewältigen: „Alles, was die Vögel aufmachen können, machen sie auch auf.“
Der Umgang mit den Tieren ist eine interessante Herausforderung für die TU-Forscher, die sonst eher mit leblosem Material umgehen, und sie sind sich ihrer Sorgfaltspflicht sehr bewusst: „Kakadus sind neophob, das heißt, man muss ihnen langsam die Angst vor Neuem nehmen, damit sie unvoreingenommen und neugierig mit dem neuen Puzzle-Kasten umgehen“, so Manuel Baum. Wie neugierig die Vögel sind, haben er und Oliver Brock bei einem Besuch in Alice Auerspergs Volière persönlich erlebt. Das Knabbern an den Ohren und Ziehen an den Haaren mussten sie schon über sich ergehen lassen. „Das macht natürlich auch Spaß, aber vor allem hilft es uns, die Fähigkeiten der Vögel zu verstehen und gewöhnt die Tiere an uns als Beobachter“, sagt Manuel Baum.
Videos der Kakadus beim Öffnen der Lockbox sind Vorlage für die Erstellung sogenannter Ethogramme und eines Code-Buches. So bekommt jede Handlung, jede Bewegung, jede Drehung von Kopf oder Kralle einen bestimmten Code, deren Abfolge man in dem Ethogramm ablesen kann. Danach wird schließlich das Roboterverhalten programmiert. „Unsere Suche soll in allgemeingültigen Theorien münden. Die Handlungen sollen also, auch für viele unterschiedliche Rätsel, vorhersagbar sein.“ Und schon jetzt ist der Roboter aus der TU Berlin in der Lage, vielversprechende Interaktionspunkte in seiner Umgebung zu erkennen, sich ein Bild von der Umgebung zu machen, es mit seinen eigenen Aktionen zu vergleichen und diese zu verbessern. Ganz ähnlich wie Fini, Zozo, Muki, Pippin und Merlin.
Patricia Pätzold
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de