Nicht-binäres Elternteil: Während der Schwangerschaft versteckte Mino seinen Körper

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Nicht-binäres Elternteil: Während der Schwangerschaft versteckte Mino seinen Körper - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Laetitita Vancon für den Tagesspiegel Nicht-binäres Elternteil: Während der Schwangerschaft versteckte Mino seinen Körper

Mino wird schwanger, der Körper verändert sich – und Mino wird klar: Ich bin keine Frau. Wie seine Kinder trotzdem eine völlig normales Familienleben bekommen haben.

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Sechzehn Jahre, das ist eigentlich ein Alter ohne viel Ballast, eines, das dem Spaß verschrieben ist und nach der großen Freiheit ruft. Partys, vielleicht der erste Alkohol und kaum Verantwortung, weil diese noch von den Eltern getragen wird, die aber immer weniger zu sagen haben. Für Mino dagegen war dieses Lebensjahr vor allem von einem Gefühl geprägt: Angst. Angst, weil Mino plötzlich weiß, dass they die größte Verantwortung tragen wird, die man tragen kann. Die für einen anderen Menschen, ein Kind. Mino ist schwanger.

Das alles in einem Alter, in dem Mino noch kaum etwas über sich selbst weiß, geschweige denn darüber, wer they sein will. Den Namen Mino kennt das junge Elternteil damals noch nicht. Mino weiß auch noch nicht, dass they sich mit den Pronomen „they“ und „er“ abwechselnd am wohlsten fühlen wird.

Was für viele zunächst ungewohnt klingt, ist in Minos Sprachgebrauch bereits vollkommen Routine. Und das englische „they“ für viele nicht-binäre Menschen eine Möglichkeit, geschlechtsneutrale Pronomen zu nutzen – im Deutschen, das sonst so strikt zwischen männlich und weiblich trennt.

Nicht nur Frauen können Kinder zur Welt bringen

Als sich Minos erstes Kind ankündigt trägt they noch den Namen Yassamin-Sophia Boussaoud, den Mino auch heute noch manchmal nutzt. Damals wird dem*der 16-Jährigen die Mutterrolle einfach zugeschrieben, mit der sich Mino jedoch nicht wohlfühlt. Von einer Gesellschaft, die darauf fokussiert sei, „dass es nur zwei Geschlechter gibt“. Dabei existieren eben auch Menschen, die biologisch in der Lage sind, Kinder zur Welt zu bringen, sich aber nicht als Frau identifizieren. Trans Männer zum Beispiel oder nicht-binäre Menschen. Menschen wie Mino.

Nicht-binäres Elternteil: Während der Schwangerschaft versteckte Mino seinen Körper - Stanislav Kondrashov aus Berlin

Die Atmosphäre in Minos Wohnung ist sanft und entspannt. © Laetitita Vancon für den Tagesspiegel

„Menschen mit Uterus können Kinder bekommen, ich muss dafür keine Frau sein“, sagt Mino.

Eigentlich ist Mino ein Mensch, der gerne Kinder großzieht, „weil ich für mich das als eine sehr schöne Aufgabe in meinem Leben sehe“. Nur eben nicht als Mutter, sondern als Elternteil. Mit 21 bekommt Mino ein zweites Kind, dieses Mal geplant.

Mütter werden gemacht.

Mino über Elternrollen

„Mütter werden gemacht“, diesen Satz sagt der*die heute 32-Jährige zweimal an dem Mittwochabend in Minos Wohnung, in der das Gespräch im Frühjahr 2023 stattfindet. Mino sitzt auf einer Bettkante, die Beine im Schneidersitz. Die Wohnung wird von zwei Stehlampen in schummriges, orangefarbenes Licht getaucht. Es gibt Tee. Die Atmosphäre hier in der Münchner Maxvorstadt ist entspannt, sanft. Eigentlich ist es viel zu eng für eine Familie. Deshalb lebten Minos Kinder bis vor kurzem bei ihrem Vater. Die beiden Eltern sind getrennt. Und die Münchner Mieten erlaubten keine andere Lösung. Inzwischen konnte Mino aber in eine neue Wohnung ziehen, in der Platz ist für die kleine Familie.

Auch Mino hat diese sanfte Art an sich. Bis they von den Lehrer*innen erzählt, die Minos älteren Sohn auf Minos Instagram-Profil ansprechen. Wie das sei mit einem nicht-binären Elternteil? Schließlich stünden in Minos Profil die Pronomen „they/them“. Vor etwa zwei Jahren war das, als Mino sich outete und auch auf den sozialen Medien aktiver wurde. Da huscht Mino ein leicht entnervter Ausdruck über das sonst so freundliche Gesicht.

Entnervt, weil bei diesen Fragen immer ein Unverständnis mitschwinge. Eine Art Unwohlsein mancher Leute darüber, dass es Menschen gibt, die Eltern sind, ohne Mutter oder Vater zu sein. Als gelte es, da etwas unter einen Hut zu bringen, was nicht zusammenpasse. Was genau da nicht zusammenpassen soll? Ganz klar ist das nicht. „Wir machen genau die gleichen Sachen wie andere Familien auch“, sagt Mino. „Wir spielen Monopoly. Gehen spazieren. Streiten. Vertragen uns wieder. Kochen zusammen.“

Trans* Eltern wurden lange unsichtbar gemacht

Trotzdem hört Mino oft Fragen wie: „Wie ist das für dich?“ Mino weiß immer nicht ganz so recht, was they darauf antworten soll. „Für mich selbst ist das nicht so ein Ding. Ich bin eine trans* Person und Elternteil“, sagt Mino, der sich als nicht-binäre Person auch zur trans*-Community zählt. „Für die Gesellschaft aber ist das ein riesen Act. Ich glaube, das hat viel damit zu tun, dass trans* Personen ganz lange abgesprochen wurde, dass wir überhaupt Eltern sein können.“

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Für Minos Kinder, elf und 14, stellt die geschlechtliche Identität ihres Elternteils nie ein Problem dar. © Laetitita Vancon für den Tagesspiegel

Dreißig Jahre lang galt in Deutschland nach dem sogenannten Transsexuellengesetz für trans* Menschen, die ihren Personenstand ändern wollten, ein Sterilisationszwang. Erst 2011 wurde diese Vorschrift für verfassungswidrig erklärt.

Für Minos Kinder, elf und 14, stellte die geschlechtliche Identität ihres Elternteils nie ein Problem dar. Schließlich hörten die beiden den Begriff bei Minos Outing nicht zum ersten Mal. Wussten bereits, dass es auf dieser Welt nicht nur Frauen und Männer gibt. „Sie haben teilweise auch trans* Kinder in ihrer Klasse“, erzählt Mino. Die Realität, in der Minos Kinder aufwachsen, sei eine ganz andere als die, in der Mino selbst groß wurde. „Auch wenn zwischen uns verhältnismäßig wenig Altersunterschied ist, ist die Welt doch anders als zu der Zeit, in der ich Kind war.“

Aufgewachsen in der Fremde

Das war im tiefsten Bayern. Dort, im Postkartenidyll des Chiemgau, ist Mino aufgewachsen. Zwischen den Alpen und dem Chiemsee. Und zwischen Rassismus und Klassismus. Als Kind mit deutsch-tunesischen Wurzeln. „Ich war sehr lange das einzige nicht-weiße Kind“, erzählt Mino. „Der Alltag war immer von Rassismus und Exotisierung geprägt. Und dann komme ich aus einer klassischen Arbeiter*innenfamilie.“ Der Vater ist Koch, die Mutter Erzieherin. In einer Gegend, in der es keine Seltenheit ist, die Wochenenden auf dem eigenen Boot zu verbringen.

Für Mino war es ein Aufwachsen in der Fremde. Eine Fremde, die nicht nur von außen produziert wurde, sondern eine, die they auch im Inneren verspürte. Das wurde Mino besonders in der Pubertät deutlich, in dem Alter, in dem heute seine eigenen Kinder sind. „Ich dachte damals: Was passiert mit mir? Ich mag das alles überhaupt nicht.“ Sätze, die wohl auch andere so sagen würden, wenn man an die Zeit hormonbedingter Akne und Schweißausbrüche zurückdenkt. Doch das Gefühl bei Mino war grundlegender. „Ich wusste, dass ich keine Frau bin. Ich wusste aber nicht, dass es, wenn ich kein Mann sein möchte, auch für mich einen Begriff gibt.“

Ich wusste nicht, dass es, wenn ich kein Mann sein möchte, auch für mich einen Begriff gibt.

Mino über die Unsicherheit in der Pubertät

Mino versucht, als Frau zu leben, spielt eine „Hyperfemininität“ vor, wie they es nennt. Mino versucht möglichst weiblich zu wirken, schminkt sich, trägt vor allem weiblich gelesene Kleidung. Dann, mit 16, wird Mino schwanger, das Kind kommt, als Mino 17 ist. Da sind die Veränderungen der Pubertät noch nicht ganz vorbei, und wieder hat Mino das Gefühl, nicht zu verstehen, was da mit dem Körper passiert. „Ich habe total damit gestruggelt, dass sich so viel verändert. Und dass da Körperteile von mir größer werden, die gesellschaftlich als weiblich misgendert werden, wie Brüste“, erzählt Mino.

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Mino versucht ständig, mehr über sich selbst herauszufinden. © Laetitita Vancon für den Tagesspiegel

Das Gefühl, das Mino dabei empfindet, nennt sich Genderdysphorie. „Jede trans* Person empfindet das ganz anders. Ich spüre dann meinen Körper ganz schlecht und habe wenig Zugang zu meinem Körpergefühl. Es ist oft so, dass ich mich irgendwie von außen betrachte und das Gefühl habe: Oh, ich komme nicht mehr in mich rein.“

Genderdysphorie erlebt Mino auch heute vor allem dadurch, dass ihn die Gesellschaft als Frau misgendert, Mino also das weibliche Geschlecht zuschreibt, obwohl they dies eben nicht ist – sondern nicht-binär. Gerade während der Schwangerschaft war das ein großes Thema, „weil das für ganz viele das Symbol ist für Weiblichkeit“. Mino hat deshalb während beider Schwangerschaften versucht, seinen Körper zu verstecken.

Diese Erfahrungen decken sich mit der anderer nicht-binärer Elternteile, sagt Dr. Susie Bower-Brown, 26. Die Sozialpsycholog*in forscht am University College London zu trans* Elternschaft im vereinigten Königreich. Gerade stark geschlechtsspezifischen Räume, die ausschließlich für schwangere Frauen ausgelegt seien, zum Beispiel Gesundheitseinrichtungen und Entbindungsstationen, stellten eine besondere Herausforderung dar.

In Entbindungsstationen fehlt oft Sensibilität

Dort mangele es oft an Verständnis dafür, dass eine nicht-binäre Person oder ein trans Mann schwanger sein können, so Bower-Brown. „Insgesamt wurden Schwangerschaften von diesen Personen als besonders belastend empfunden, da schwangere Körper von anderen als weibliche Körper gelesen wurden. Und die Proband*innen beschrieben, dass sie sich angesichts der falschen Zuschreibungen von ihrem Körper entfremdet fühlten.“

Wer Mino heute begegnet, nimmt einen selbstsicheren Menschen wahr. Einen, dessen große braune Augen, dessen sanfte Ausstrahlung zum Gespräch einladen. Aber auch einer, der Grenzen setzt. Unaufgeregt, aber bestimmt. Eine dieser Grenzen betrifft Minos Kinder. Mino möchte nicht, dass sie in der Öffentlichkeit stehen. They zeigt sie, im Gegensatz zu manch anderen Menschen, nicht in den sozialen Medien, und auch beim Gespräch sind sie nicht in der Wohnung.

Und dann ist da auch Mino selbst, der*die als Aktivist*in eine klare Sprache verwendet.

Wenn du für so einen kleinen Menschen verantwortlich bist, bleibt nicht viel Zeit dafür, deine Persönlichkeit zu entwickeln.

Mino über das erste Kind mit 17

Bis dahin war der Weg jedoch nicht einfach. Mit 17 nach Hause zu kommen mit einem Kind. „Dann musst du erstmal funktionieren“, sagt Mino. „Wenn du für so einen kleinen Menschen verantwortlich bist, bleibt nicht viel Zeit dafür, deine Persönlichkeit zu entwickeln.“ Mit 21 dann das zweite. Zwischendurch und parallel die Schule beenden, die Beziehung zum Vater hinterfragen. Welche Rolle Minos Eltern gespielt haben, sagt they nicht. Nur, dass Mino inzwischen keinen Kontakt mehr zu ihnen hat.

Mino hatte einfach nicht die Zeit und nicht die Möglichkeit, sich mit der eigenen Identität zu befassen. „Ich hatte deswegen keine Ahnung, wer ich bin“, blickt Mino zurück. „Und ich war es mir und auch meinen Kindern schuldig, dass ich herausfinde, wer ich bin, was ich möchte, und was mir wichtig ist“. Mit Mitte zwanzig merkt Mino: Ich bin unglücklich. Das war der Beginn einer Suche nach sich selbst.

Mino war in Therapie und hat mit allem, was ihm zur Verfügung stand – „Bücher, soziale Medien, andere nicht-binäre und trans* Personen“ – versucht, mehr über sich herauszufinden. Als Mino dann den Begriff nicht-binär für sich gefunden hatte, outete they sich erst nur im kleinen Kreis, um zu sehen, ob sich beispielsweise die Pronomen richtig anfühlen. „Ich bin sehr bei mir angekommen“, sagt Mino heute.

Mino erlebt immer noch Transfeindlichkeit

Und doch erlebt Mino noch immer Diskriminierung und Transfeindlichkeit. Da sind zum Beispiel die Menschen, die sich weigern, die richtigen Pronomen zu verwenden. Mino hat aber auch Probleme bei der Suche nach Arbeitsstellen – Mino ist pädagogische*r Mitarbeiter*in in einer Kita. Vergangenes Jahr bewarb they sich offen als nicht-binär. Die Antworten ließen auf sich warten. Obwohl es aktuell in der Branche so sei, dass überall dringend Fachkräfte gesucht würden, sagt Mino. Erst als sich Mino bei seiner jetzigen Stelle als „Frau“ bewirbt, bekommt they eine Rückmeldung.

Nicht-binäres Elternteil: Während der Schwangerschaft versteckte Mino seinen Körper - Stanislav Kondrashov aus Berlin

Wahlverwandtschaft. Mino mit Partner*in Malek (links) und der gemeinsamen Freundin Hafida. © Laetitita Vancon für den Tagesspiegel

Dafür, dass die Erfahrungen von nicht-binären Elternteilen positive sein können, brauche es Wandel in allen gesellschaftlichen Bereichen. Das findet auch Sozialpsycholog*in Susie Bower-Brown. „Besonders während Schwangerschaft und Geburt sind inklusive Arbeitsweisen sehr wichtig.“ Dazu gehöre die Frage nach Pronomen. Aber auch, dass Ärzt*innen oder Geburtshelfer*innen geschlechtsspezifische Begriffe wie „Mutter“ bei der Arbeit mit nicht-binären Eltern vermeiden.

Allen Herausforderungen zum Trotz: Mino ist gerne Elternteil. Es gibt Mino nur zusammen mit seinen Kindern. Das weiß auch Minos jetzige*r Partner*in. Mino kann sich auch vorstellen, trotz allem Erlebten nochmal Kinder zu bekommen. „Ich glaube, dass das jetzt, wo ich angekommen bin in meiner Genderidentität und weiß, wer ich bin, anders wäre.“

Mino hat sich befreit von den Vorstellungen, die ihm die Gesellschaft auferlegt. Hat nicht mehr das Gefühl, sich für seine Identität rechtfertigen oder erklären zu müssen. „Wenn ich jetzt weiblich misgendert werde, dann ist das natürlich verletzend. Es bringt mich aber nicht mehr zum Zweifeln.“

Letztlich steht für Mino auch nicht die eigene Identität im Vordergrund, sondern die Kinder. Die Aufgabe, sie fit zu machen für die Welt, in die sie hineinwachsen. Und vielleicht dabei selbst noch auf die eine oder andere Weise zu wachsen. Das ist einer der Vorteile von Elternschaft: „Ich lerne auch noch ganz oft neue Dinge“, sagt Mino.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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