„Neukölln zu Gaza machen“: Stundenlange Ausschreitungen bei Berliner Palästina-Demo – Dutzende Festnahmen
© dpa/Paul Zinken Live „Neukölln zu Gaza machen“: Stundenlange Ausschreitungen bei Berliner Palästina-Demo – Dutzende Festnahmen
Brände, Korso, Feuerwerk: Neukölln erlebt am Mittwoch eine weitere Krawallnacht. Bei propalästinensischen Protesten fliegen Steine und Flaschen auf Polizisten.
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Der Berliner Bezirk Neukölln ist am Mittwochabend wieder von schweren Ausschreitungen heimgesucht worden. Im Bereich Sonnenallee und Hermannplatz randalieren seit Stunden Hunderte Demonstrierende. Sie sind Aufrufen zu nicht angemeldeten und schließlich verbotenen pro-palästinensischen Protesten gefolgt.
Immer wieder kommt es dabei zu Gewaltausbrüchen: Es wurden Müllcontainer angezündet, Feuerwerksraketen waagerecht abgeschossen, Steine und Flaschen auf Einsatzkräfte geworfen. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein, es gab Dutzende Festnahmen – und auch verletzte Beamte. Ein hupender Autokorso begleitete die Proteste.
Kurz nach dem Beginn um 18 Uhr waren bereits Ausschreitungen zu vermelden: Demonstranten warfen Flaschen, Steine und Pyrotechnik auf Polizeikräfte.
Die Beamten nahmen daraufhin einige von ihnen fest. Zu der nicht angezeigten pro-palästinensischen Versammlung war zuvor in den sozialen Netzwerken gerufen worden. „Sie sind Teilnehmer einer verbotenen Versammlung“, gab die Polizei via Lautsprecher bekannt. „Ihre Personalien werden aufgenommen und sie werde in die polizeiliche Maßnahme geführt“. Die Menschenmenge zeigte sich davon komplett unbeeindruckt. Sie riefen weiter „Viva, viva Palästina“ und „Allahu Akbar“.
Die Polizei warnte auf X, vormals Twitter, vor „Menschengruppen in aufgeheizter Stimmung“. Diese seien „eindeutig Teilnehmende einer ebenfalls verbotenen Ersatzveranstaltung“ einer pro-palästinensischen Kundgebung.
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„Pyros werden abgebrannt, Steine und Flaschen auf unsere Kolleginnen und Kollegen geworfen“, schrieben die Beamten. „Es folgen Freiheitsbeschränkungen zur Feststellung der Personalien für die Fertigung der Anzeigen.“ Dort, wo Personalien aufgenommen wurden, baute die Polizei Scheinwerfer auf.
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In der Reuterstraße brannten Müllcontainer, es wurden weiter Feuerwerkkörper gezündet. Die Situation sei sehr dynamisch, sagte ein Polizeisprecher.
Die Demonstranten kämen den Aufforderungen der Polizei nicht nach, stattdessen bauten sie etwa Mülltonnen als Hindernisse auf der Straße auf, hieß es weiter. Es gebe Widerstand gegen Festnahmen von Tatverdächtigen, sodass die Polizei „unmittelbaren Zwang anwenden“ müsse. Ein dpa-Reporter sprach von einer aggressiven Stimmung.
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Nach Beobachtungen eines dpa-Reporters gab es Dutzende Festnahmen. Zahlreiche Schaulustige begleiteten die Aktion an der Sonnenallee, Ecke Reuterstraße. Die Polizei versuchte, die Menge von der Straße fernzuhalten.
Feuerwehrwachen in Neukölln werden verstärkt
Die Einsatzkräfte der Berliner Feuerwehr werden aktuell in Neukölln und Kreuzberg verstärkt. Es werden Löschfahrzeuge von anderen Wachen dorthin beordert. Die leeren Wachen werden mit Kräften und Fahrzeugen der Freiwilligen Feuerwehr aufgefüllt. Zudem ist in der Behörde untersagt worden, dass Freiwillige Feuerwehren und Hilfsorganisationen wie Malteser im Rettungsdienst weiter zu Einsätzen in Gebieten mit israelfeindlichen Demonstrationen alarmiert werden.
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Gegen 20 Uhr hatte sich die Menge größtenteils aufgelöst, die meisten Teilnehmenden waren gegangen. Rund 30 bis 40 von ihnen wurden von der Polizei eingekesselt. Zwei Wasserwerfer näherten sich der brennenden Mülltonne.
„Unser Einsatzleiter hat die Freigabe für den Wasserwerfer erteilt“, schrieb die Polizei auf X dazu. „Wir sehen, wie Menschen wahllos Gegenstände auf die Straße werfen, anzünden und sich dabei filmen und feiern“, erläuterten die Beamten. „Mal davon abgesehen, dass das niemandem hilft, gefährden sie ihre Mitmenschen.“
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Ein Balkon hatte unterdessen Feuer gefangen. Die Polizeikräfte konnten es schnell löschen. „Der Wasserwerfer hat an der Ecke Donau/Reuterstr. ein Feuer gelöscht und unsere Einsatzkräfte ein weiteres auf einem Balkon, welches durch Pyrowürfe entstanden war“, schrieben die Beamten auf X.
Ein Demonstrant hatte Kerzen angezündet. Als die Polizei die Menschen von der Kreuzung wegschickt, werden die Kerzen auf den Gehweg umgesetzt.
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In der Reuterstraße warf eine Gruppe erneut Böller, Steine und Flaschen, teilweise auch auf andere Demonstranten. Ein paar von ihnen liefen darauf zur Tankstelle. Dort wurden sie festgenommen. „Geh weg“, rief ein Polizist, der eine Menschenmenge auflöste, einem Teilnehmer zu. „Geh nach Hause, hast du keine Schule, Job?”
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Gegen 21.30 Uhr teilte die Polizei mit, dass auf der Sonnenallee weiterhin größere Ansammlungen von Menschen seien, aus denen heraus Ordnungswidrigkeiten und Straftaten begangen würden. „Bei den Festnahmen von Tatverdächtigen mussten unsere Einsatzkräfte bereits Pfefferspray einsetzen und Zwang anwenden“, hieß es.
Auf der Sonnenallee kam es eine Stunde später zum Autokorso mit lautem Hupen. Sprechchören riefen „Free, free Palestine“. Als an der Kreuzung Sonnenallee, Ecke Reuterstraße ein gigantischer Feuerwerkskörper explodierte, jubelte die Menge. Die Polizei trieb die Demonstrierenden in Richtung Hermannplatz. Jemand fragte, wohin es gehen sollte. Ein Polizist antwortete: „Nach Hause.“
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Die Lage sei statisch, ein Abschluss sei noch nicht in Sicht, sagte ein Polizeisprecher am späten Mittwochabend. Durch die Steinen- und Flaschenwürfe auf Polizisten seien einige Einsatzkräfte verletzt worden, hieß es. Vorläufigen Angaben zufolge blieben sie weiter im Dienst. Neben der Sonnenallee waren auch die Reuterstraße, die Donaustraße und der Hermannplatz Nebenschauplätze der zuvor verbotenen Demonstration.
Auf der Karl-Marx-Straße liefen die Protestierenden kurz nach 23 Uhr allmählich gen Ausgangspunkt. Am Hermannplatz kam es zu einem Notarzteinsatz.
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Unterdessen war im Internet zu weiteren Protesten aufgerufen worden. Mit Steinen, Schlagstöcken und Masken sollten „Männer“ um 22 Uhr zur Pannierstraße in Neukölln kommen, hieß es auf der Plattform Telegram. „Wir werden Neukölln zu Gaza machen. Zündet alles an.“ Erläutert wird der Aufruf lapidar: „Unsere Geschwister werden in Gaza massakriert.“
Polizeipräsidentin: Lage in Neukölln angespannt
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat die Sicherheitslage am Mittwochabend in Berlin-Neukölln als angespannt bezeichnet. „Wir haben mit Sicherheit mehrere Hundert Menschen auf den Straßen in der Sonnenallee“, sagte Slowik in der RBB-Abendschau. „Die Situation in Nord-Neukölln ist angespannt.“ Die Einsatzkräfte würden versuchen, die Menschen auseinanderzubringen und konsequent einzuschreiten.
Slowik rechnete erneut mit einem längeren Einsatz. „Wir haben auch heute Nacht damit zu rechnen, dass kleinere und größere Gruppen auf den Straßen unterwegs sind, die skandieren und die vielleicht auch zu Straftaten greifen“, sagte sie. Die Polizei sei wie schon in der Nacht zuvor auch mit Wasserwerfern im Einsatz. „Wir greifen deutlich ein“, betonte die Polizeipräsidentin.
Seit dem späten Nachmittag kam es in Neukölln trotz des Verbots von pro-palästinensischen Kundgebungen an mehreren Orten erneut zu Menschenansammlungen. Am Richardplatz wurden laut Polizei Personengruppen per Lautsprecher mehrfach angesprochen und über das dort bestehende Versammlungsverbot aufgeklärt. Gleichwohl hätten nicht alle Menschen den Platz verlassen. Später versammelten sich dann immer mehr Menschen in der Sonnenallee. In dem Bereich war es bereits in der Nacht zum Mittwoch zu Ausschreitungen gekommen.
Polizei zeigt mehr Präsenz als am Vortag
Die Polizei war offenbar mit deutlich mehr Beamten im Einsatz als in der Nacht zuvor. Die Beamten zeigten am Mittwochabend eine massive Präsenz und griffen schneller ein. Die Polizei hatte bereits angekündigt, bei antisemitischen und antiisraelischen Vorfällen sofort einzuschreiten. Größere Gruppen wurden abgedrängt, die Beamten gingen robust vor, setzen immer wieder Pfefferspray ein.
Es gab zahlreiche Festnahmen. Wasserwerfer waren im Einsatz, sie löschen unter anderem Barrikaden und einen Feuer auf einem Balkon, das durch Böller verursacht worden war.
Immer wieder wurden zur Stunde Böller und Feuerwerk gezündet oder auf Kreuzungen mit Unrat Feuerstellen gelegt. Zudem waren zahlreiche dauerhupende Autos unterwegs. Seit Mittwochmorgen war in Chatgruppen zu Autokorsos aufgerufen, um die Maßnahmen der Polizei zu umgehen.
Zudem hatte die Polizei ihre Einsatzführung neu aufgestellt. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hatten die fünf örtlichen Direktionen reihum die Einsätze geleitet. Seit Mittwoch hat die Direktion Einsatz/Verkehr die stadtweite Einsatzleitung übernommen. Ein ranghoher Beamter sagte, dass die Polizei damit die Zügel gegen die antiisraelischen Protest noch einmal anziehe.
Auch am Auswärtigen Amt versammelten sich nach Polizeiangaben mehrere Hundert Menschen. Die Versammlung gegen Gewalt in Nahost wurde laut Polizei jedoch direkt von der Veranstalterin beendet, weil sie keinen Einfluss auf die Teilnehmer habe. Angemeldet waren demnach 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Gekommen waren mehrere Hundert.
Nach Angaben der Polizei sitzen einige der Teilnehmer „rund um die beendete Kundgebung in Mitte“ derzeit an der Kreuzung Werderscher Markt, Ecke Niederlagstraße. Das teilten die Beamten auf X mit. „Unsere Einsatzkräfte fordern diese mit Lautsprechern zum Gehen auf“, hieß es. (mit dpa)
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de