Liebessucht, Daddy Issues, Narzissmus: Wie erkenne ich meine eigenen Red Flags beim Dating?
© Gestaltung: Tagesspiegel/Schneider | freepik (2) Liebessucht, Daddy Issues, Narzissmus: Wie erkenne ich meine eigenen Red Flags beim Dating?
Beim Dating achten viele Menschen auf Warnsignale, ob sich jemand nicht als Partner eignen könnte. Aber wie merke ich, wenn ich selbst das Problem bin? Eine Checkliste.
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Von meinem letzten Lover habe ich mich emotional verabschiedet, als er über eine andere Frau sagte: „Sie sieht gut aus für ihr Alter.“ Scheinkomplimente sind eine Red Flag für mich, ein Warnsignal. Manche würden eine Trennung deswegen übertrieben finden. Aber hinter einem kleinen Zeichen lauert oft ein ganzes System von Problemen.
Mia Gatow lebt und arbeitet als freie Autorin in Berlin, trinkt Mokka in Cafés und schreibt all die irren Sachen mit, die ihr und ihren Freund:innen so passieren.
Ist man in seinen Dreißigern angekommen, hat man üblicherweise eine lange Liste an Warnsignalen notiert, die man kein zweites oder drittes Mal übersehen will, nur weil jemand schöne Wangenknochen hat. Die Liste von Red Flags, die mir Freundinnen und Freunde genannt haben, ist lang: Schlecht über den:die Ex reden. Von der:dem Ex schwärmen. Mit keinem der Exen noch Kontakt haben. Servicepersonal arrogant behandeln. Weniger als ein Jahr getrennt sein. Extreme Eifersucht. Braune Slipper. Frauen, die sich selbst als „leidenschaftlich“ bezeichnen. Männer, die Volker heißen. Sternzeichen Skorpion. Strohhüte. Brusthaare unter V-Ausschnitten. Nach drei Wochen vom Zusammenziehen reden. In einer offenen Beziehung sein.
Aber: Was ist, wenn ich selbst die rote Flagge schwenke, wenn ich also das Problem bin? Wie kann ich das erkennen – und was kann ich dagegen tun?
Man hat wenig Kontrolle darüber, ob andere Menschen rücksichtslos, gemein oder emotional unreif sind. Und es ist ein sinnloses Unterfangen, diese Leute ändern zu wollen. Daher sollte man sich auf den Teil konzentrieren, den alle gescheiterten Beziehungen gemeinsam haben: die eigene Person. Wenn man sich immer wieder in „Narzissten“ verknallt, ist das sicher kein Zufall. Sondern ein Muster.
Wer ist hier toxisch von uns beiden? Es ist ein sinnloses Unterfangen, andere ändern zu wollen. © freepik
Am Ende sind wir alle ein bisschen toxisch, sagt auch Sharon Brehm. Sie ist Paartherapeutin, Autorin und Podcasterin. Bei ihr kriegt man nach eigener Aussage „einen wissenschaftlich fundierten Einblick in die Kunst der Liebe.“ Brehm schüttelt Studien aus dem Ärmel, die erklären, dass Neurosen nichts Besonderes sind und sie ordnet Verrücktheit soziologisch ein: Jedes andere Säugetier würde angesichts der modernen Liebe ebenfalls verzweifeln. Wie beruhigend!
Brehm weiß auch, warum wir alle ständig denken, dass wir nur von Irren umgeben sind. Das Phänomen nennt sich Akteur-Beobachter-Asymmetrie: Wenn wir uns selbst suboptimal verhalten, ziehen wir alle entlastenden Faktoren für uns heran. Verhält sich jemand anders suboptimal, sehen wir nur dessen Verhalten.
Wir suchen den Fehler zunächst bei anderen
Wir selbst werden ausfällig beim Streiten, weil wir müde sind, Sorgen oder PMS haben, die Katze krank ist und uns die andere Person einfach zur Weißglut treibt. Der Partner wird dagegen ausfällig, weil er eben ein Narzisst ist. Es ist quasi ein Naturgesetz, den Fehler zunächst bei anderen zu sehen. Doch für alle Standard-Beziehungsprobleme gilt: Es gehören zwei dazu.
Da stimmt Christian Hemschemeier zu. Er ist Paarberater und Experte für toxische Beziehungen, hat einen Podcast, die Episoden tragen Titel wie „Soll ich diesen Mann friendzonen? (Spoiler: Ja!)“. Hemschemeiers Monologe fühlen sich an, als würde einem der beste Kumpel abends im Späti den Kopf waschen, wenn man sich mal wieder in einen ungesunden Lederjackentypen reinsteigert. Er lässt Bullshit nicht durchgehen, spiegelt den Selbstbetrug und sagt Sachen wie: „Alter, der Typ ist ein dunkles Dating-Masterpiece!“
Die Opferrolle hinter sich zu lassen und vor der eigenen Tür zu kehren, erfordert Bereitschaft, Engagement und Übung, sagt Hemschemeier: „Es ist wie geistiges Yoga.“ Er empfiehlt eine spirituelle Praxis: Wann immer man Groll gegen jemanden hegt, soll man den eigenen Anteil an dem Problem reflektieren und aufschreiben. Es kann durchaus ermächtigend sein, sich selbst als Teil des Problems sehen zu lernen.
Woran erkenne ich, dass ich selbst toxisch bin?
Laut Sharon Brehm ist ein erstes Anzeichen für eigenes destruktives Verhalten, wenn das Gegenüber plötzlich komisch wird. Wenn eine ausgeglichene Person zur Drama-Queen mutiert, ein selbstbewusster Typ von Zweifeln zerfressen wird. Dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass man damit etwas zu tun haben könnte.
Die Typen, die in ihre Datingprofile schreiben „Bitte kein Drama!“, waren in der Vergangenheit ziemlich sicher der Grund für viel Drama.
Eine weitere Spur zu eigenem Fehlverhalten: Trigger. Die unangenehmen Schmerzpunkte, die wir gerne mit Warnhinweisen versehen, haben zu Unrecht einen schlechten Ruf, sagt Hemschemeier. Denn: „Jeder Trigger ist eine Botschaft für unverarbeitete Probleme.“ Wenn uns etwas triggert, neigen wir besonders dazu, maßlos überzureagieren, ungerecht und irrational zu werden.
Wenn wir die Ursache für den Trigger suchen, die Glaubenssätze, die unter der Empfindlichkeit liegt, kommen wir uns selbst auf die Spur. Es kann enorm heilsam sein, dem Trigger nicht nachzugeben, sagt Hemschemeier, sondern ihn nur zu fühlen und dann loszulassen.
Narzissmus oder Selbstliebe? Der Anteil von Betroffenen in der Gesamtbevölkerung liegt bei weniger als 0,5 Prozent. © rawpixel.com/Teddy/freepik
Bin ich narzisstisch?
Es ist das Universalurteil, das wir über nahezu jeden schlechten Boyfriend verhängen, der uns belügt, ghostet oder für Sex benutzt: Er ist ein Narzisst! Eine Modediagnose, die so populär ist, dass man glauben könnte, die halbe Welt leide unter pathologischem Narzissmus. Der tatsächliche Anteil liegt in der Gesamtbevölkerung allerdings bei weniger als 0,5 Prozent.
„Wir sprechen damit oft ein ganzes Set an Verhaltensweisen an“, sagt Brehm. „Aber geht die Person wirklich über Leichen? Oder meinen wir, sie ist einfach bloß sehr egoistisch und selbstbezogen?“ Manchmal ist das, was wir als Narzissmus bezeichnen, einfach nur die Fähigkeit, für unsere Bedürfnisse einzustehen.
Wenn ich darüber nachdenke, ob ich ein Narzisst bin, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich keiner bin.
Christian Hemschemeier, Paarberater
Nicht umsonst wird Männern häufiger Narzissmus attestiert als Frauen. Denn letztere werden sozial dazu konditioniert, die Bedürfnisse anderer über die eigenen zu stellen. Der Weg zur Heilung kann also durchaus sein, sich selbst ein wenig „narzisstischer“ zu verhalten. „Wenn ich darüber nachdenke, ob ich ein Narzisst bin, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass ich keiner bin“, sagt Hemschemeier – denn Narzissten neigen nicht zu Selbstzweifeln.
Bin ich eine Drama Queen?
Wenn in einer Beziehung immerzu die Fetzen fliegen, alles epische Dimensionen hat, dann, sagt Hemschemeier, muss das zwangsläufig was mit einem selbst zu tun haben, denn eine Person reicht nicht, um Drama zu kochen: „Wenn eine:r nicht mitspielt, dann läuft sich das schnell tot.“
Drama Queens und Kings gestehen sich nicht ein, dass sie das Theater eigentlich gut finden. Denn es kann high machen. „Und sehr addiktiv sein“, fügt der Paarberater hinzu. Was folgt, ist die Choreografie jeder Sucht: Toleranzentwicklung, Dosissteigerung. Man gewöhnt sich an die Hitze und erträgt alles Lauwarme nicht mehr. Heilen lässt sich die Dramasucht wie jede Substanzabhängigkeit: Es müssen die Probleme behandelt werden, die dahinter zum Vorschein kommen.
Habe ich Daddy Issues?
Wenn eine Frau nicht allein sein kann, klammert, viel Bestätigung von Männern braucht, promiskutiv ist oder ein Faible für viel ältere Männer hat, wird ihr schnell ein „Vaterkomplex“ attestiert. Damit meint man in der Regel eine ungesunde Beziehung zum Vater, die sich auf die erwachsene Beziehung überträgt.
Die primären Bezugspersonen, meist die Eltern, hinterlassen die tiefsten Macken in unserer Psyche. Hemschemeier und Brehm sind sich einig: Wir haben alle Daddy Issues. Ursache für ein solches Verhalten ist oft ein Vater, dessen Abwesenheit oder emotionale Kälte eine tiefe Verunsicherung ausgelöst hat. Brehm sagt: „Ich mag den Begriff ‚Daddy Issues‘ nicht, weil es ja eigentlich eine Verlustangst ist – die aber Frauen als Makel unterstellt wird. Die Rolle der abwesenden Väter wird nicht gesehen.“
Und Mommy Issues?
Männern werden selten Daddy Issues attestiert, obwohl Jungen genauso unter abwesenden Vätern leiden wie Mädchen. Und Mommy Issues gibt es natürlich auch; sie äußern sich meist jedoch anders.
Aufgrund der klassischen Rollenverteilung bekommen kleine Jungen in der westlichen Welt viel Aufmerksamkeit von weiblicher Seite: „Da sind die Mütter, plus die Tanten, plus die Schwestern, die sich alle um den Jungen kümmern, plus Erzieherinnen und Lehrerinnen“, sagt Brehm. Alles Frauen, die den Männern schier unendliche Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Öfter hungrig. Weil Frauen weniger Beachtung in der Erziehung erfahren, brauchen sie später manchmal mehr Aufmerksamkeit. © freepik
„Das heißt, sie fühlen sich prinzipiell ein bisschen erdrückter als die kleinen Mädchen, denen diese Aufmerksamkeit nicht in gleicher Weise zuteilwird.“ Und eine solche Prägung führt zu einem vermeidenden Bindungsstil. Heruntergebrochen könnte man sagen: Männer sind öfter übersättigt von Aufmerksamkeit, Frauen bleiben öfter hungrig.
Bin ich bindungsunfähig?
Bindungsangst ist sehr schwer an sich selbst zu erkennen, sagt Hemschemeier, denn sie tarnt sich meisterhaft als mangelndes Interesse. Doch es gebe Indizien: Wenn jemand immer wieder den Partner wechselt, eine:n Ex idealisiert oder sonst eine Person, die nicht zu haben ist, kann das auf Bindungsangst hindeuten.
Verliebt sein ist wie auf Koks sein.
Sharon Brehm, Paartherapeutin
Wenn dann jemand daherkommt, der nett und verfügbar ist, heißt es dagegen oft: Er oder sie ist einfach nicht mein Typ. Die ultimative Ausrede aller Bindungsvermeider. Was man laut Hemschemeier ausprobieren kannn: Jemanden suchen, der sich erstens ohne Zweifel binden will und den ich zweites ohne Zweifel attraktiv finde. Wenn ich dann anfange, die Beziehung zu sabotieren, ist es sehr wahrscheinlich Bindungsangst.
Bin ich liebessüchtig?
„Nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, nicht mehr arbeiten. Permanentes Obsessieren, kein anderes Thema mehr. Immer mit seinen Freunden darüber reden wollen.“ So fasst Hemschemeier Liebessucht zusammen. Auch On-Off-Beziehungen deuten häufig darauf hin. Gemein ist, dass eine ganz normale Verliebtheit erstmal genauso aussieht wie eine Liebessucht.
„Verliebt sein ist wie auf Koks sein“, sagt Brehm. Nur, dass eine gewöhnliche Verliebtheit nach ein paar Monaten abklingt, während die Liebessucht nach Dosissteigerung verlangt. Ist man mitten im Rausch und schon auf dem Weg in eine toxische Beziehung, kann man sich schwer lösen. Besser man entzieht sich, bevor man knietief im Drama steckt und lernt die frühen Zeichen zu lesen.
„Das Suchtgefühl, der Hunger, dieses Ziehen entstehen meistens schon bei den ersten Dates“, sagt Hemschemeier. Und auch das negative Bauchgefühl, ergänzt Brehm, schwingt meist von Anfang an mit. Man entscheidet sich bloß dazu, es zu ignorieren. Häufigster Grund: „Die Beziehung ist magisch, sie ist Schicksal, sie ist etwas ganz Besonderes. Nie habe ich jemanden getroffen, mit dem es so gut passt.“
Keine Beziehung fühlt sich so richtig an wie die falsche.
Christian Hemschemeier, Paarberater
Hemschemeier sieht diese Zweifelsfreiheit als wichtiges Symptom für Liebessucht: „Keine Beziehung fühlt sich so richtig an wie die falsche.“ Je sicherer man sich am Anfang mit jemandem ist, desto wahrscheinlicher spult man das alte Muster ab. Widersprüchliche Gefühle in der Kennenlernphase sind also ein gutes Zeichen.
Wie heile ich mich von toxischem Beziehungsverhalten?
Um von einer toxischen Beziehung zu heilen, sollte man eine Datingpause einlegen, und zwar eine ohne Ausnahmen, sagt Hemschemeier. „Keine Flirts, kein Texten, keine Dates, kein Sex.“ Kalter Entzug. Und wie lange sollte man warten, bevor man wieder daten kann? Mindestens ein paar Monate, sagt Hemschemeier. Und er gibt noch eine Faustregel: „Je mehr man der Überzeugung ist, es würde mir jetzt sehr helfen, zu daten, desto dringender sollte man es lassen.“ Man sollte ja auch nicht hungrig einkaufen gehen.
Was sollte ich beachten, wenn ich dann wieder Leute treffe?
Wenn man eine Geschichte mit toxischen Partner:innen hat, rät Hemschemeier zu knallharten Regeln: „Fantasiemodus draußen lassen, nur ein Date in der Woche, kein Date länger als zwei Stunden. Kein Alkohol. Wenn man Suchtgedanken entwickelt („Er ist der Mann meines Lebens!!!“) – diese dekonstruieren.“
Hemschemeier und Brehm sind sich einig: Man kann die eigenen Muster verändern. Bindungstypen sind nicht in Stein gemeißelt. Wenn man den Mut findet, den eigenen Dämonen in die Augen zu blicken, hat man sie schon fast besiegt.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de