Kühle Einheitsrituale in Hamburg: Viel Polizei trennt an diesem 33. Festtag Politiker von Bürgern

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Kühle Einheitsrituale in Hamburg: Viel Polizei trennt an diesem 33. Festtag Politiker von Bürgern

© dpa/Christian Charisius Kühle Einheitsrituale in Hamburg: Viel Polizei trennt an diesem 33. Festtag Politiker von Bürgern

Wie will man derart separiert voneinander ins Gespräch kommen? Zwischen Politiker und Bürgern? Zwischen Ost und West? Zu Besuch auf dem 33. Einheitsfest in Hamburg, wo eine Flasche Sekt den Osten repräsentiert.

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Die entscheidenden Worte spricht ein Mann aus Ost-Berlin am Vorabend des 33. Tags der Deutschen Einheit aus. „Ich vermisse hier in Hamburg die Menschen aus Ihrem Bericht, Herr Schneider, die Leute, die im Osten etwas aufbauen“, sagt der Mann im prächtigen Festsaal des Hamburger Rathauses. Vor ihm auf der Bühne sitzt der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, der SPD-Politiker Carsten Schneider.

In seinem Bericht zum Stand der Einheit hatte er im vergangenen Jahr Kohlearbeiter, Künstler, Küchenchefs und Kommunalpolitiker aus dem Osten zu Wort kommen lassen. Das war damals eine Nachricht wert, auch weil sonst vor allem über die Menschen gesprochen wird oder mit denen, die rechtsextrem wählen.

In Hamburg auf der Einheitsfeier ist der Osten vor allem durch eine überdimensionierte Sektflasche präsent. Schon von Weitem fällt auf der edlen Hamburger Mönckebergstraße der derart geformte Stand der sachsen-anhaltischen Sektmarke Rotkäppchen ins Auge. Im Osten Kulturgetränk, im Westen als Billigsekt verschrien.

Hinzu kommt das weithin sichtbare Wort „Kotzen“, das direkt am Eingang zum sogenannten Bürgerfest auf eine Plane gedruckt ist. Mit dem Slogan „Schöne Orte brauchen keine schönen Namen“ wirbt dort der gleichnamige Brandenburger Ort für einen Besuch. So werden die Hunderttausenden Besucher empfangen, die die Veranstalter an den beiden Festtagen erwarten.

 „Wir sind kein gespaltenes Land, aber wir sind auseinandergerückt. Die Demokratie lebt auf Dauer nur, wenn wir alle miteinander im Gespräch bleiben“

Stephan Harbarth, Präsident des Bundesverfassungsgerichtes

Ansonsten gerät das Einheitsfest hanseatisch: Bei der feierlichen Zeremonie in der Elbphilharmonie spricht zum Auftakt der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) norddeutsch kühle Worte über die ungleich verteilten Lasten der Einheit, bevor er dann rasch zur krisenhaften Weltlage wechselt. Als weitere Hauptredner des neunzig minütigen Festaktes hatte man nicht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) oder Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auserwählt.

Sie sitzen, wie mehr als 1000 andere Spitzenpolitiker und Gäste aus Kultur, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, im Publikum. Stattdessen spricht der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Stephan Harbarth. „Wir sind kein gespaltenes Land, aber wir sind auseinandergerückt. Die Demokratie lebt auf Dauer nur, wenn wir alle miteinander im Gespräch bleiben“, konstatiert der Jurist.

Und da ist nicht zuletzt das hanseatische Wetter. Kurz vor Beginn des feierlichen Festaktes in der Elbphilharmonie schaltet es von golden-herbstlich auf stürmisch-regnerisch. Durch einige Regenwolken ausgelöste Rückschlüsse auf die politische Stimmungslage im Land verbieten sich freilich. Das gigantische Polizeiaufgebot aus 2.400 Beamten, Hubschraubern und Booten auf den Kanälen taugt schon besser als Bild für ein verunsichertes, von Sorgen geplagtes Land, in dem vor allem eines schwer zu fallen scheint: im Gespräch zu bleiben.

Der Osten hat wirtschaftlich längst aufgeholt

33 Jahre nach der Einheit schwebt also über dieser Feier die Frage: Wie einig ist die Republik? Und taugt dieser Tag als Signal, um wieder mehr miteinander zu sprechen? Der Blick in die Statistik zumindest ist eindeutig: Ökonomisch sind sich Osten und Westen ähnlich wie nie. Das Bruttoinlandsprodukt lag im Osten zuletzt immerhin bei 80 Prozent des West-Niveaus, das Einkommensniveau bei 90 Prozent, die Renten sind nahezu angeglichen.

Es hat eine beeindruckende Aufholjagd stattgefunden seit 1990 – auch wenn davon längst nicht alle gleich profitieren. Teils sind die Ost-Länder sogar auf der Überholspur unterwegs: Berlin und Brandenburg etwa wachsen wirtschaftlich wie kaum eine andere Region in Deutschland.

Unterschiede zeigen sich vor allem in der Weltsicht: „Ostdeutschland ist mehr eine Gefühlsregion“, sagt der Ostbeauftragte Carsten Schneider am Vorabend im Hamburger Rathaus. Dörfer in Ost und West seien sich in ihren Herausforderungen inzwischen ähnlicher als manche Stadt im Osten dem Dorf nur einige Kilometer weiter. Schneider will die Debatte stärker dorthin lenken, auf die Unterschiede zwischen Stadt und Land. „Wir müssen überkommene Vorurteile loswerden“, mahnt er. Dresden, Leipzig oder Jena seien Boom-Regionen. Das Thema AfD wird an diesem Abend gemieden. Ein Drittel der Ostdeutschen könnten sich laut Umfragen vorstellen, die in weiten Teilen rechtsextreme Partei zu wählen.

Keine Ossis, nirgends, oder doch?

Bürgerfest, 21.30 Uhr, Montagabend. „Ich bin vor allem zum Trinken und Feiern hier“, sagt René aus Hamburg. Er steht mit Freunden am Stand der Hamburger Ankerbar neben der Alster. Es riecht nach Frittenfett und Bier, nebenan werden fertig gebackene Pizzen kalt. Keine Kundschaft mehr. „Für uns ist das vor allem eine geile Feier, das hat keine politische Bedeutung“, sagt René. Seine Freunde nicken. Sind Sie hier schon Ostdeutschen begegnet?

„Glaub’ nicht“, sagt ein anderer. „Saaaufen!“, grölt ein Betrunkener einige Meter weiter. Auf der Mönckebergstraße spielen in den Ständen der Bundesländer Alleinunterhalter und Coverbands Hits von Pur, Wolfgang Petry oder Nena. Am Rotkäppchen-Stand hat sich eine Gruppe aus Bautzen eingefunden. „Prost, Einheit!“, ruft die einzige Frau in der Runde.

Kühle Einheitsrituale in Hamburg: Viel Polizei trennt an diesem 33. Festtag Politiker von Bürgern

Der Ost-Beauftragte Carsten Schneider. Zum Tag der Deutschen Einheit ist der SPD-Politiker dies Jahr das einzige Regierungsmitglied, das neue politische Vorschläge macht. © dpa/Michael Kappeler

Hier Ost, dort West. Hier das Bürgerfest, dort die feierliche Zeremonie in der Elbphilharmonie mit geladenen Gästen. Hier die Bürger, dort die Politiker und dazwischen steht viel Polizei. „Seit dem Wochenende werden die Barrikaden aufgebaut, mir vergeht hier jede Feierstimmung“, sagt ein älterer Herr, der über das Fest schlendert. „Ist das wirklich nötig?“

Es drängt sich einem ein Eindruck auf: Man müsste erst einmal in Berührung miteinander kommen, um miteinander zu reden. Warum hält zur Feier dieser „Sternstunde der deutschen Geschichte“, so hat das der ehemalige thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel einmal genannt, der Bundespräsident auf dem Bürgerfest keine Rede an die Menschen? Warum macht es der Bundeskanzler nicht? Wäre das nicht, bei all den Krisen dieser Zeit, ein Gedanke, das Bier und den Rotkäppchen-Sekt auf dem Bürgerfest um politische Botschaften zu bereichern?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht in diesem Jahr durch ein Interview in den „Tagesthemen“ am Montagabend zu den Menschen. Eine echte Botschaft zur Einheit fehlt, ein zentraler Gedanke, vielleicht: ein Hoffnungsschimmer. „Ostdeutsche haben das Gefühl, nicht gesehen zu werden“, sagt Steinmeier und wiederholt damit eine oft gesagte Diagnose. Bundeskanzler Scholz spricht ebenfalls am Montag vor 170 Lesern einer Hamburger Zeitung, es geht um die Ukraine, die Politik seiner Regierung, seine Führungsqualitäten. Sein einziger offizieller Auftritt. Ist über die Einheit nach 33 Jahren alles gesagt?

Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung macht am Montagabend nicht den Eindruck. Carsten Schneider erklärt den etwa 50 Zuhörern im Hamburger Rathaus, dass Ostdeutsche noch immer unterrepräsentiert in Spitzen-Positionen wären. Erzählt von seinem Bruder, der sich plötzlich Ostdeutscher denn je fühle, spricht vom demografischen Wandel, der die ländlichen Regionen im Osten besonders hart treffen wird. Wenige Stunden zuvor hatte Schneider ein Grunderbe von 20.000 für alle 18-Jährigen vorgeschlagen, auch um die großen Unterschiede in den Vermögensverhältnissen in Ost und West auszugleichen.

Es gäbe, so scheint es, noch viel zu sagen – und manches zu tun. In Hamburg bleibt davon wenig mehr als ein Ritual. Nächstes Jahr wird Mecklenburg-Vorpommern die Einheitsfeier ausrichten. Womöglich ist dann mehr Emotion dabei.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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