Kai Wegner in der Falle der Berliner SPD: Das Maß an Verantwortungslosigkeit ist atemberaubend

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Kai Wegner in der Falle der Berliner SPD: Das Maß an Verantwortungslosigkeit ist atemberaubend

© AFP/TOBIAS SCHWARZ Kai Wegner in der Falle der Berliner SPD: Das Maß an Verantwortungslosigkeit ist atemberaubend

Raed Saleh geht es um Machttaktik, Kai Wegner verprellt die eigenen Leute: Der Fehlstart der neuen Koalition ist zum Verzweifeln. Berlin hat Besseres verdient.

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Nach dem Fehlstart des neuen Senats fällt es schwer, nicht an der politischen Klasse Berlins zu verzweifeln. Das Maß an Verantwortungslosigkeit, das hier demonstriert wird, ist atemberaubend. Es spielt dabei keine Rolle, ob es tatsächlich Stimmen aus der AfD-Fraktion waren, die Kai Wegner ins Amt des Regierenden Bürgermeisters verholfen haben.

Selbst wenn tatsächlich alle 86 Abgeordneten der Koalition im dritten Wahlgang der geheimen Wahl geschlossen für den CDU-Vorsitzenden gestimmt haben sollten, was in beiden Fraktionen bezweifelt wird, haftet der Makel an diesem neuen Senat, dass nur die Möglichkeit einer solchen Blamage dazu geeignet war, die hinterhältig agierenden Verweigerer in den eigenen Reihen zu disziplinieren. Und das bedeutet: Die Führungskräfte von CDU und SPD haben versagt.

Für beide Parteien ist das blamabel, aber für Berlin desaströs. Was die Stadt jetzt eigentlich braucht, ist eine starke Regierung, die der organisierten Unzuständigkeit ein Ende bereitet. Was sie aber bekommt, ist ein Senat, der sich in den verbleibenden drei Jahren bis zum nächsten Wahlkampf nur vorsichtig tastend bewegen kann, um die sie tragenden Koalitionsfraktionen bloß nicht weiter zu reizen. Mit anderen Worten: Zu befürchten ist politischer Stillstand.

Dass es entweder die Stimmen oder die Angst vor der AfD brauchte, um dem schwarz-roten Senat ins Amt zu verhelfen, ist als destruktives Misstrauensvotum aus beiden Fraktionen gegenüber dem neuen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und den beiden SPD-Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh zu verstehen. Die Gründe dafür sind verschieden und liegen tiefer, als es den Anschein hat.

Eine teils brutal geführte Abrechnung untereinander

Bei der SPD rächt es sich jetzt, dass die Gründe für den seit Jahren anhaltenden Verfall, der durch die Wahlen der vergangenen Jahre gut dokumentiert ist, nie wirklich aufgearbeitet wurden. Dass sich die Partei trotz immer schlechterer Ergebnisse ihrer Politik und infolgedessen auch immer schlechterer Ergebnisse bei Wahlen mit wechselnden Partnern in immer neue Regierungskoalitionen retten konnte, begünstigte den fortwährenden Selbstbetrug – und einen atemberaubenden Hochmut, dessen vorläufiger Höhepunkt erreicht war, als Franziska Giffey nach der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags mit der CDU erklärte: „Ich glaube, jetzt steht an, dass Berlin mich braucht.“

Tatsächlich aber brauchte Giffey die CDU: Das Bündnis mit Wegner war nach Lage der Dinge ihre einzige Chance, in einer führenden Position zu verbleiben.

Wie stark der Ärger darüber ist, haben die Wochen der Basisabstimmung gezeigt. Das war nicht die vorbildliche demokratische Auseinandersetzung, als die sie von der SPD-Führung dargestellt wird, sondern eine teils brutal geführte Abrechnung untereinander – und mit der Personalpolitik von Raed Saleh.

Systematisch hat der langjährige Fraktionschef und Landesvorsitzende dafür gesorgt, dass wichtige Posten im Senat und auf Staatssekretärsebene nicht nach Qualifikation vergeben werden, sondern nach Wohlgefälligkeit zur eigenen Machtsicherung. Widerspruch wird von ihm nicht geduldet. Die Folgen sind doppelt fatal: für seine Partei, aber auch für die Stadt. Ein solches System vermag in Ausnahmefällen auch Spitzenkräfte hervorzubringen, geprägt aber ist es vom selbstzufriedenen, konfliktscheuen Mittelmaß aus den eigenen geschlossenen Reihen.

Für diese Art der Personalpolitik stand lange auch Kai Wegner. Doch im Moment der Machtübernahme zeigt sich hier ein komplett anderes Bild: Die Besetzungsliste der Berliner CDU sieht so aus, als wäre sie im Konrad-Adenauer-Haus von der Bundespartei aufgestellt worden. Ob diejenigen, die daraus ausgewählt wurden, wirklich gut oder gar besser sind, müssen sie zwar noch zeigen; aber der Wille, es mal etwas anders anzugehen als bisher in Berlin üblich, ist deutlich erkennbar.

Der Preis dafür war allerdings hoch: Unter denjenigen aus der CDU, die Wegner im ersten Wahlgang ihre Stimme versagten, waren persönlich Enttäuschte. Der neue Regierende Bürgermeister hat es versäumt, sie rechtzeitig einzubinden in den Prozess. Das allerdings war nicht sein einziger Fehler.

Wegner ist der SPD in die Falle gegangen. Die erklärte Hinwendung zur CDU mitten hinein in die Sondierungsgespräche war das vielleicht letzte taktische Meisterwerk von Raed Saleh: Die Sozialdemokraten boten sich Wegner an als willige, unkomplizierte Ruderkräfte; tatsächlich aber war die CDU nur das Rettungsboot für ihre Führung – soll die Mannschaft doch sehen, wo sie bleibt. Jetzt dümpelt der ganze Kahn orientierungslos durch die Stadt.

„Das Beste für Berlin“ hatte die schwarz-rote Koalition versprochen. Schon nach dem ersten Tag sieht es so aus, als hätte Berlin Besseres verdient als einen Senat, der sich der Unterstützung der sie tragenden Parteien nicht sicher sein kann. Gebraucht hätte die Stadt eine Regierung, die stark und einig genug ist, Beharrungskräfte auf allen Ebenen und in allen Parteien zu überwinden und überhaupt erst einmal die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass Entscheidungen getroffen und dann auch tatsächlich ins Werk gesetzt werden.

„Wer soll es denn besser machen als ich?“, hatte eine der zwar nicht bescheidenen, aber scheidenden Senatorinnen gesagt. Aber genau darum muss es jetzt gehen: Wer kann es besser machen?

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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