Hamas, Muslime, Israel, Deutschland: Der Antisemitismus ist re-importiert
© IMAGO/Fabio Sasso Hamas, Muslime, Israel, Deutschland: Der Antisemitismus ist re-importiert
Die aktuellen Probleme mit Zugewanderten aus arabischen Ländern haben eine besondere Geschichte. Und sie verweisen auf ein gravierendes Versäumnis der Bundesrepublik.
Ein Gastbeitrag von Shimon Stein und Moshe Zimmermann
Die aktuelle Stunde des Bundestags am 18. Oktober hatte das von der Hamas auf israelischem Territorium verübte Pogrom zum Anlass und drehte sich – nicht überraschend – um den Begriff Antisemitismus. Alle beteiligten Abgeordneten bekannten sich prinzipiell zur Verpflichtung: „Nie wieder Antisemitismus in Deutschland“.
Auch aus der Zivilgesellschaft gab und gibt es breite Zustimmung für Solidarität mit Israel und die Ächtung von Gewalt, die sich gegen Zivilisten richtet. In allen Fußball-Ligen gab es Schweigeminuten, Borussia Dortmund schickte zudem eine direkte Videobotschaft (sogar auf Hebräisch: Bejachad: Zusammenstehen) an alle, die im israelischen Fernsehen Bundesliga-Spiele anschauen.
Shimon Stein war von 2001 bis 2007 Israels Botschafter in Berlin. Derzeit ist er Senior Fellow am Institut für Nationale Sicherheits-Studien (INSS) an der Tel Aviv Universität. Moshe Zimmermann ist Historiker, Professor emeritus an der Hebräischen Universität, Jerusalem
Doch zugleich sind da diese Demonstrationen auf deutschen Straßen, bei denen Tausende Menschen das Massaker der Hamas am 7. Oktober auf israelischem Territorium feiern.
Wie ist das einzuordnen? Sind es eher „die“ Deutschen oder „die“ Menschen mit Migrationshintergrund, die da gerade israelfeindliche, ja antisemitische Ressentiments in der Öffentlichkeit zelebrieren?
Das Thema ist nicht neu. Aber die Frage jetzt ist, ob die Demonstrationen in einer Kontinuität stehen oder eine Wende markieren. Anders gefragt: Hat es die Bundesrepublik mit einer neuen Qualität des Antisemitismus zu tun?
Sollte vielleicht von nun an das Augenmerk der Republik auf eine spezifische Gesellschaftsgruppe gerichtet werden?
Ab wann wird Kritik antisemitisch?
Hier zeigt sich zum wiederholten Mal die Unschärfe dessen, was als Antisemitismus zu verstehen und dann zu bekämpfen ist. Vor allem die Unklarheit darüber, wann eine ablehnende Haltung gegenüber Israels Politik und die Abneigung gegenüber Israelis in Antisemitismus übergehen.
Gleichwohl gilt: Eine anti-israelische Haltung oder Handlung darf auch dann aufs Schärfste verurteilt werden, wenn sie nicht als antisemitisch zu bezeichnen ist.
Die gegenwärtige bestürzte Reaktion von Politik und Medien auf Antisemitismus bezieht sich, weil die Ereignisse seit dem 7. Oktober in Israel und Gaza im Mittelpunkt stehen, hauptsächlich auf den auf Israel bezogenen Antisemitismus.
Da scheint es tatsächlich eine neue Quantität zu geben: In den vergangenen zwei Wochen wurden etwa zwei- bis dreimal so viele antisemitische Vorfälle wie im Vorjahr registriert.
Es ging dabei um Aufrufe zur Auslöschung Israels, die Begrüßung des Pogroms vom 7. Oktober, das Schimpfwort „Judenschweine“ oder die Verherrlichung der Ermordung von jüdischen Zivilisten unter der Parole „Tod den Juden“.
Das alles ist Antisemitismus pur, definiert als sogenannter „klassischer Antisemitismus“, und zwar ganz egal, ob es um Juden in Israel oder in Deutschland geht.
Aber was ist mit denjenigen, die pro-Palästina und gegen die Besatzung seit 1967 sind und auf deutschen Straßen demonstrieren? Sind die allein deshalb schon Israel-bezogene Antisemiten? Nicht unbedingt.
Es sind jedoch eben diese pro-palästinensischen Demonstrationen, bei denen auch antisemitische Parolen skandiert werden und bei denen auf antisemitische Stereotypen („Juden sind Kindermörder“) zurückgegriffen wird. Es sind Demonstrationen, bei denen Menschen mit orientalischem Hintergrund eine prominente Rolle spielen. Und das ist eine große Herausforderung für die Bundesrepublik.
Antisemitimus kommt vor allem von rechts, aber auch von Muslimen
Obwohl an der Tatsache, dass der Antisemitismus in Deutschland vor allem aus dem rechten Flügel kommt, nicht gerüttelt werden kann, darf man die andere Tatsache nicht ignorieren: Nämlich, dass bei Menschen mit Migrationshintergrund, die Muslime sind, nicht nur der Hass auf Israelis verbreitet ist, sondern auch antisemitische Vorurteile im Spiel sind.
Vor ein paar Monaten konnte eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigen, dass bei dieser Gruppe sowohl die klassischen als auch die israelbezogenen, anti-jüdischen Stereotype um das Drei- oder Vierfache stärker feststellbar sind als bei Durchschnittsdeutschen.
Dokument des Hasses: Demonstranten verbrennen 2017 eine selbstgemalte Israel-Flagge. © picture alliance / Jüdisches Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus
Andere Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Der Vorwurf kann sich aber gegen die deutsche Politik richten, denn beim Versuch, diese Gruppe zu integrieren, ist ein entscheidender Aspekt vernachlässigt worden. Ja, im Sozialisationsprozess ein gravierendes Versäumnis zu verzeichnen.
Gefährlich ist aber auch die allzu bekannte Reaktion, die darauf abzielt, „die“ Muslime, Araber oder Flüchtlinge für die Deutschlands Probleme verantwortlich zu machen.
Die Mehrheit der Muslime teilt diese Ansichten nicht
Auch wenn dreimal mehr Muslime als Nicht-Muslime in Deutschland das Existenzrecht Israels bestreiten („israelbezogener Antisemitismus“) oder klassische antisemitische Klischees glauben („Juden sind hinterhältig“), ist nichtsdestotrotz die große Mehrheit dieser Gruppe womöglich nicht vom Antisemitismus „befallen“.
So steht also – bei aller Vorsicht den Methoden und Zahlen solcher Studien gegenüber – auch fest, dass die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund nicht gänzlich versagt hat. Gezielte Arbeit kann erfolgreich sein.
Man muss das Phänomen des muslimischen israelbezogenen Antisemitismus auch im historischen Kontext betrachten, um einen Weg zur Überwindung dieses Übels zu finden. Dass es im Islam (wie im Christentum) Anhaltspunkte für Judenfeindschaft gibt, das weiß auch der deutsche Verfassungsschutz. Doch es bedarf bestimmter zeitlicher und politischer Konstellationen, um dieses Potenzial zu aktivieren.
Europa hat den Antisemitismus im 20. Jahrhundert nicht nur „perfektioniert“, es hat ihn auch in den Orient exportiert. Muslime, die dort mit der jüdischen Nationalbewegung konfrontiert sind, greifen zum antisemitischen Arsenal, um sich eine Waffe gegen den Zionismus zu verschaffen: Der Feind ist dann einfach „der Jude“ oder „der Zionist“.
Juden werden oftmals mit Israelis gleichgesetzt
Mit der Wanderbewegung vom Muslimen nach Europa, nach Deutschland, wurden und werden das „Feindbild Jude“ und der Antisemitismus re-importiert. Da Israel den Anspruch auf Alleinvertretung des jüdischen Volkes erhebt, werden Juden, die in der Diaspora leben, von Menschen mit muslimischem Hintergrund oftmals mit Israelis gleichgesetzt.
So werden sie – auch hier in Deutschland – zu Geiseln eines muslimischen Antisemitismus, der aus historischen Gründen Israel-bezogen ist, aber inhaltlich auf dem Fundament des klassischen Antisemitismus beruht.
Um aus dieser verzwickten Situation auszusteigen, ohne bei den Rechtspopulisten zu landen (die auch hier keine Lösung anbieten können), ist eine effiziente Zusammenarbeit zwischen Erziehungssystem, Antisemitismusbeauftragten und Experten für den politischen Islamismus notwendig.
Und noch relevanter: Nach der Abschaffung der militärischen und politischen Strukturen der Hamas, muss Israel den Weg für eine politische Perspektive ebnen. Die nächste Chance auf eine politische Lösung darf nicht verpasst werden.
Sich für die Zweistaaten-Lösung einzusetzen, ist das Gebot der Stunde. Nur so ist der demokratische und jüdische Charakter Israels wie auch der Prozess der regionalen Normalisierung zu retten. Damit würde auch die Angriffsfläche für die israelfeindlichen Demonstranten entscheidend verengt.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de