Eine Zäsur auch für die Bundespolitik: Die Lehren nach dem AfD-Beben in Sonneberg

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Eine Zäsur auch für die Bundespolitik: Die Lehren nach dem AfD-Beben in Sonneberg - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© dpa/Martin Schutt Eine Zäsur auch für die Bundespolitik: Die Lehren nach dem AfD-Beben in Sonneberg

Erstmals regiert die AfD in einem Landkreis. Die Realität ist: Viele AfD-Wähler kann man nicht zurückgewinnen. Die Politik muss trotzdem etwas ändern.

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Ein freundlich lächelnder Mann war auf dem Flyer zu sehen. Sein Slogan: „Gestalten statt verwalten“. Harmlos wirkte das. Doch harmlos ist das nicht, was in Sonneberg am Sonntag passiert ist.

Deutschland hat seinen ersten AfD-Landrat, Robert Sesselmann, der Mann auf dem Flyer. Das ist mehr als nur ein Warnsignal. Es ist eine Zäsur. Erstmals regiert die AfD. Sie hat eine absolute Mehrheit errungen.

In der Vergangenheit ist es bei Kommunalwahlen noch stets gelungen, einen AfD-Sieger zu verhindern. Immer mal wieder war dazu auch ein Zusammenschluss der anderen Parteien von CDU bis Linke notwendig. Doch diesmal hat auch das nicht mehr gereicht.

Es lag nicht an der Unzufriedenheit mit der lokalen Politik. Die AfD hat schon lange einen soliden Sockel an radikal rechten Stammwählern, auf die sie im Osten aufbauen kann. Nun kam das Heizungsgesetz dazu, die neuen Migrationsströme, mehr Wut auf die Bundespolitik. Sesselmann setzte im Wahlkampf ganz auf Bundesthemen, forderte Friedensverhandlungen mit Russland oder Begrenzung der Migration.

Ausschlaggebend aber auch: Die AfD hat in den letzten Jahren erfolgreich an ihrer Normalisierung gearbeitet. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz scheint wenig Wirkung zu haben. Mittlerweile halten 27 Prozent der Deutschen die AfD für eine normale Partei, im Osten dürften es noch deutlich mehr sein. Selbst der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, der einst eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad forderte, hat offenbar einen Teil seiner Abschreckungswirkung verloren.

Das ist eine gefährliche Mischung: eine Partei, die die Demokratie von innen heraus angreift, aber sich als normal verkauft. Eine Partei, die für Denkzettel-Wähler trotzdem attraktiv ist, weil bei hohen Wahlergebnissen der bundesweite Aufschrei maximal ist. Eine Partei, die dazu Ressentiments und populistische Impulse bedient, die in vielen Wählern schlummern.

Eine weitere Ost-West-Debatte brächte wenig

Für die AfD ist Sonneberg ein symbolträchtiger Erfolg. Sie hat erst vergangene Woche beflügelt von hohen Umfragewerten einen eigenen Kanzlerkandidaten bei der nächsten Bundestagswahl in Aussicht gestellt. Parteichefin Alice Weidel sagte zum zehnjährigen AfD-Jubiläum in diesem Jahr: Der nächste Schritt ist nun regieren, in einem Bundesland. Das ist zwar nach wie vor unrealistisch. Aber nun kann die AfD auf den Erfolg in Sonneberg verweisen.

Das Regieren im Landkreis Sonneberg kann wiederum zur weiteren Normalisierung der AfD beitragen, weil vermutlich die Welt dort nicht untergehen wird. Zumindest wenn Sesselmann sich halbwegs geschickt anstellt. Die AfD hat ein hohes Interesse daran.

Was nun? Es würde wenig nutzen, jetzt wieder die übliche Ost-West-Debatte zu führen. Es ist richtig, dass die AfD im Osten deutlich höhere Zustimmung genießt als im Westen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, die DDR-Vergangenheit trägt natürlich dazu bei. Das Ziel, gleichwertige Lebens- und Lohnverhältnisse in Ost und West zu schaffen, bleibt bestehen.

Aktuell ist die AfD aber auch im Westen auf dem Vormarsch. Jetzt wieder eine Debatte über den „abgehängten Osten“ zu führen, würde wenig neue Erkenntnisse bringen.

Politik muss als wirksam erlebt werden

Es gilt nun einerseits der Realität ins Auge zu blicken, dass viele AfD-Wähler für die etablierten Parteien nicht zurückzuholen sind. Vielmehr muss sich die Politik jetzt damit beschäftigen, dass ein signifikanter Teil der Wähler in Deutschland keiner Partei mehr die Lösung politischer Probleme zutraut. Es gibt einen Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit und Kompetenz der politischen Akteure.

Das ist eine der größten Gefahren für die Demokratie. Denn diese Entwicklung kann zu einem Vertrauensverlust in das politische System generell führen.

Die Folge dessen wiederum sind nicht nur steigende Umfragewerte und Erfolge für die AfD. Die Folge kann auch ein steigender Anteil an Nicht-Wählern werden. Das stärkt die Rechten indirekt.

Das Ziel der Parteien der Mitte muss nun sein, eine Abwanderung weiterer Wähler zu AfD zu verhindern, aber gleichzeitig die Nicht-Wähler in den Blick zu nehmen. Menschen müssen erleben, dass es einen Unterschied macht, wenn sie wählen gehen. Dafür sind drei Dinge wichtig.

Erstens muss Politik als wirksam erlebt werden. Wenn etwas angekündigt wird, müssen Taten folgen. Politik muss Probleme lösen. Ankündigungen ohne Folgen schaffen nur Verdruss und Enttäuschung.

Zweitens: Politik muss ehrlich sein und keine überhöhten Erwartungen wecken. Beispiel Migration: Es ist gut, wenn sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf EU-Ebene dafür einsetzt, dass Migration nach Europa begrenzt und Ankommende besser verteilt werden. Aber sie darf nicht den Eindruck erwecken, dass das sofort die Zahl der Ankommenden begrenzen würde.

Und drittens müssen politische Entscheidungen logisch und nachvollziehbar sein. Beispiel: Eine Mehrheit der Bevölkerung ist der Meinung, dass das Klima geschützt werden muss. Dass nun verstärkt Kohle verstromt wird und die Atomkraftwerke abgeschaltet werden, können viele nicht nachvollziehen. Die Entscheidung wird als ideologisch und wenig pragmatisch erlebt. Womöglich wäre es klug gewesen, den Atomausstieg noch etwas nach hinten zu verschieben.

All das wird wohl kaum die AfD-Wähler in Mengen zu den anderen Parteien zurückholen. Aber es kann dafür sorgen, dass nicht noch mehr abwandern. Und vor allem: Dass wieder mehr Leute zur Wahl gehen.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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