Die grüne Sorge vor dem Niedergang: Nervosität vor Bremen-Wahl

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Die grüne Sorge vor dem Niedergang: Nervosität vor Bremen-Wahl  - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© dpa/Kay Nietfeld Die grüne Sorge vor dem Niedergang: Nervosität vor Bremen-Wahl

Seit 16 Jahren regieren die Grünen im kleinsten Bundesland. Habecks Heizungsgesetz und die Graichen-Affäre lassen sie in den Umfragen purzeln.

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Die Szene besitzt eine Symbolkraft für die Stimmung bei den Grünen. Eben hat Tilman Kuban (CDU) vom Rednerpult des Bundestages Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) attackiert, ihm zugerufen: „Herr Minister, es wird Zeit, dass Sie Ihren Staatssekretär entlassen, und zwar schneller, als die Deutschen ihre Heizung austauschen!“

Eine spitze Frage nach der anderen richtete Kuban am Mittwoch an Habeck, etwa: „Wie viele Stellen wurden in den letzten Monaten eigentlich mit Freunden und Bekannten von der Agora Energiewende, dem Öko-Institut und anderen Organisationen besetzt?“

Kaum dass Kuban seine Rede beendet, springt Habeck von seinem Platz auf der Regierungsbank auf, stellt Kuban erkennbar aufgebracht inmitten des Plenums zur Rede. Die Szene zieht sich – bis Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) interveniert: „Ich darf die beiden Kollegen, Herrn Minister Habeck und Herrn Kuban, bitten, ihre Diskussion nach draußen zu verlagern oder uns daran teilhaben zu lassen; wir können das übers Mikrofon machen.“

„Beleidigung und fast Lügen“

Von wegen. Habeck floh in die Reihen der Grünen-Fraktion, vielleicht auf der Suche nach Zuspruch. Von einer Kampagne mit „Härte, Böswilligkeit, Unterstellungen, Beleidigung und fast Lügen“, sprach Habeck später empört in den „Tagesthemen“.

Unter Druck ist der Vizekanzler, angespannt wirken die Grünen. Habeck ist wegen der Trauzeugen-Affäre seines Staatssekretärs Patrick Graichen schwer angeschlagen, dazu die anhaltende Kritik an seinem Heizungs-Gesetz. Seine Nerven scheinen langsam blank zu liegen. Derweil schmilzen die grünen Umfragewerte im Bund, so wie in Bremen, wo an diesem Sonntag gewählt wird.

Von 21 auf zwölf Prozent

Spitzenkandidatin Maike Schaefer, die bisher Senatorin für Mobilität, Umwelt, Stadtentwicklung und Wohnungsbau ist, muss um ihre Zukunft bangen. Stand ihre Partei vor einem Jahr in Umfragen noch bei 21 Prozent, prognostizieren ihr Demoskopen kurz vor dem Wahltag am Sonntag nur noch zwölf Prozent. Es wäre ein harter Absturz für die Bremer Grünen. Von einer Ohrfeige und harten Niederlage ist hinter vorgehaltener Hand bereits die Rede. Die einzige Hoffnung scheint, dass die SPD um Bürgermeister Andreas Bovenschulte geneigt ist, das rot-grün-rote Bündnis fortsetzen zu wollen – statt mit der CDU zu koalieren.

12Prozent prognostiziert Insa für die Grünen in Bremen bei der Wahl am Sonntag

Doch wie tief können die Grünen noch fallen? Und das gar vermutlich selbst in Bremen, einer strukturell linken Stadt mit starkem Öko-Einschlag? Einer Stadt, wo die Grünen seit sage und schreibe 16 Jahren regieren, nun schon mit dem dritten SPD-Bürgermeister.

Ärger über das Aus der „Brötchentaste“

Dabei sind es nicht nur die leidigen Debatten um das Heizungs-Gesetz und Habecks Staatssekretär, die den Grünen in der Hansestadt zu schaffen machen. Wie ihre Berliner Parteifreunde haben sie einen Autowahlkampf angezettelt, bei dem ihnen ein scharfer Gegenwind entgegenbläst. Was in Berlin die autofreie Friedrichstraße war, ist in Bremen die Martinistraße, die von Schaefers Verkehrsverwaltung von vier auf zwei Spuren geschrumpft wurde, damit Radfahrer mehr Platz haben. Auch die sogenannte „Brötchentaste“, mit der man für 15 Minuten kostenfrei parken kann und die den Einzelhandel stärken soll, hatte Schaefers Verwaltung gestrichen – zum großen Ärger der Bremer.

Angezählte Spitzenkandidatin

In der Partei gilt Schaefer schon vor dem Wahltag angezählt. Zu Recht, findet Matthias Güldner: „Es könnte nach dem Wahltag ein Stühlerücken geben“, sagt der Politikwissenschaftler an der Uni Bremen und einstige Grünen-Fraktionschef in der Bürgerschaft. Spitzenkandidatin Schaefer allein trage aber nicht die Verantwortung für das drohende Desaster: „Die Partei als Ganzes hatte im Wahlkampf, aber auch in der gesamten Legislatur eine schwache Repräsentanz. Es fehlt an Strahlkraft der grünen Akteure in der Stadt“, sagt Güldner, der seiner Partei in Bremen ein Wählerpotenzial von bis zu 40 Prozent attestiert.

Sinkende Umfragewerte

Bei einer Wahlniederlage dürfte der Gegenwind aus dem Bund zur Sprache kommen. Noch vor weniger als einem Jahr standen die Grünen im Bund in Umfragen bei 23 Prozent, lagen weit vor der SPD. Wirtschaftsminister Habeck, damals von Teilen des Volkes geradezu verehrt, wurde schon als künftiger Kanzler gehandelt. Wer würde heute darauf noch wetten? Infratest Dimap taxierte die Grünen zuletzt bundesweit bei 16 Prozent.

Dass der Rückenwind aus Berlin fehle, sei offensichtlich, sagt Grünen-Mitglied Güldner. Es sei aber nicht entscheidend. „Meiner Analyse zufolge sind die Probleme, mit den sich Robert Habeck herumschlägt, eher ein zusätzlicher Malus für die Bremer Grünen.“

Auch bei den Grünen in Bayern und Hessen, die im Oktober wählen, sind Ärger und Sorge groß. Ohne Rückenwind aus Berlin werden die Grünen in Hessen, wo sie künftig den Ministerpräsidenten stellen wollen, kaum eine Chance haben. Öffentlich will sich noch niemand an Habeck abarbeiten. Doch seine Entscheidung, an seinem Staatssekretär Patrick Graichen festzuhalten, sehen selbst enge Parteifreunde äußerst kritisch.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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