Der Chef der Victoria Bar im großen Interview: „Offensichtlich kommt die Gesellschaft ohne Rausch nicht klar“
© David Heerde/David Heerde
Der Chef der Victoria Bar im großen Interview: „Offensichtlich kommt die Gesellschaft ohne Rausch nicht klar“
Dry January? Getrunken wird immer, sagt Stefan Weber. Der Barkeeper über Champagner-Cocktails, die Logik der Türpolitik und die Volksdroge Alkohol
Von
- Felix Denk
Herr Weber, Sie betreiben seit 2001 die Victoria Bar, eine der renommiertesten Cocktail-Bars in Berlin. Womit stoßen Sie zu Silvester an?
Champagner natürlich. Champagner ist der Wein der Bar. Einer der Gründe, warum ich Barkeeper geworden bin. Man ist immer bestens versorgt.
Wie sind Sie auf den Geschmack gekommen?
In den 80er Jahren habe ich eine Hotelausbildung in Rederscheid gemacht, Golfhotel Gestüt Waldbrunn, so ein Diplomatenhotel zwischen Bonn und Königswinter. Da gab es immer fantastisches Essen, fantastische Getränke. Und bevor oder nachdem das alles zum Gast ging, konnte man probieren. Ich bin also mit Austern, Kaviar und Champagner aufgewachsen. Und wenn man das einmal kennt, dann will man nicht mehr drauf verzichten.
Woran erkennt man einen guten Champagner?
Es gibt keinen schlechten Champagner. Bei Blindverkostungen scheitern selbst Sommeliers regelmäßig daran, den Aldi-Schampus von den Jahrgangsflaschen zu unterscheiden. Sicher existieren Unterschiede von Champagner A zu Champagner B, aber es ist immer was anderes als ein Crémant, ein Spumante oder ein Sekt, auch wenn dieser nach der Méthode Champenoise ausgebaut ist. Ich trinke am liebsten Champagner-Cocktails, aber bitte nie mit Prosecco!
Sie haben 24 Champagner-Cocktails auf der Karte …
… ja, je älter ich werde, desto leichter werden meine Drinks. Und ein Champagnercocktail haut halt nicht so rein wie ein Martini.
Ist das nicht Blasphemie, so ein Getränk zu mixen?
Warum sollte es das sein?
Zum Beispiel, weil in die Produktion so viel Ehrgeiz einfließt, feinste Hefenoten zu betonen und für die perfekte Perlage zu sorgen, und dann mischen Sie Zucker rein und überspielen die Feinheiten?
Absolute Puristen mögen das so sehen. Einen Jahrgangschampagner, den würde ich auch nicht unbedingt vermixen. Aber die Idee, dass Mischen die Dinge verschlechtere, ist absurd. Das wäre so, als würde man beim Kochen sagen, es gibt nur ein Aroma. Dann dürfte man ja ein Stück Fleisch oder Fisch auch nicht mehr würzen oder mit anderen Zutaten kombinieren, weil das das Ausgangsprodukt verfälschen würde.
Jörg Meyer, Barkeeper des Le Lion in Hamburg und Erfinder des Gin Basil Smash sagte mal, er würde nur Champagner-Cocktails bestellen, wenn er ausgeht. Mehr value for money ginge gar nicht.
Hat er recht. An einer Tasse Kaffee verdient man als Wirt deutlich mehr. Je höher der Einkaufspreis, desto geringer die Marge.
Die Inflation steigt, der Champagner-Absatz bei Ihnen allerdings auch, wie Sie berichten.
Ja, seit Jahren.
Wie erklären Sie das?
Früher saßen hier in der Bar vor allem Leute aus meiner Generation. Babyboomer. Aber die sind jetzt alle etwas gealtert und gehen weniger aus. Seit zwei, drei Jahren bemerken wir einen Generationenwechsel. Viele Leute zwischen 25 und 30 kommen, die moderne Berufe haben, in denen sie viel Geld verdienen. Und was es vor zwanzig, dreißig Jahren in Berlin auch noch nicht so gab, sind rich kids. Betuchtes Elternhaus, Kunststudium, die hauen hier das Geld auf den Kopf. Warum auch nicht? Ich bin, wie alle meine Kollegen, ein Genussmensch. Ich hab auch früher mein Trinkgeld verjubelt. Wenn jemand unter 30 Champagner bestellt hat, wusste man immer: Das ist ein Kollege. Aber heute sehe ich Leute, die kommen dreimal die Woche und geben jeden Abend 100 Euro aus. Unglaublich.
Die trinken auch mehr?
Auch, aber vor allem teurer. Alle zwei Jahre müssen wir die Preise anpassen, da haben wir immer ein komisches Gefühl. Aber anscheinend sind wir die einzigen, die das haben.
Vor ziemlich genau einem Jahr brannte die Bar und war monatelang geschlossen. Was genau ist passiert?
Die Brandursache ist unbekannt. Aber das ist gar nicht so ungewöhnlich, wie ich gelernt habe.
Wie erfuhren Sie von dem Brand?
Ich wurde von der Polizei angerufen, LKA Brandkommission. Es wird immer als Erstes auf Brandstiftung ermittelt. Am 19. Dezember, Montagmorgen kurz vor sechs war die Feuerwehr hier, eine Viertelstunde vorher muss das Feuer ausgebrochen sein. Ein Mieter aus dem Haus, der schon wach war, hat das gerochen. Das Feuer selbst hat gar nicht so viel Schaden verursacht. Reine Brandfläche waren vielleicht zehn Quadratmeter an der Bar. Aber das Lokal war trotzdem ein Totalschaden, weil es eine Hitzeentwicklung von fast 1000 Grad gab, die Fensterscheiben sind aufgeplatzt. Und die Rauch- und Ruß-Entwicklung in Verbindung mit dem Löschwasser, wo so eine Chemikalie drin ist, hat dem Lokal den Rest gegeben.
Haben Sie darüber nachgedacht, aufzuhören?
Nein. Es war sofort klar: Wir wollen originalgetreu rekonstruieren und wiedereröffnen. Manches ließ sich retten, die Tischplatten und das Tresenbrett haben wir zwei Millimeter abgeschliffen, neu versiegelt. Aber sonst: alle Wände raus, das ganze Holz. Fußboden raus. Schüttung raus. Alles Sondermüll.
War da schon sicher, dass die Versicherung zahlt?
Die Frage war eher, wie viel. Die Police habe ich natürlich erst durchgelesen, als die Feuerwehr weg war. Irgendwann mal vor 20 Jahren abgeschlossen, nie wieder drum gekümmert. Und in so einem Vertrag steht ja nicht drin: Summe X. Das ist ein Verfahren, und dabei wurde schnell klar, dass die Versicherung nicht dein Freund ist, sondern ein gewinnorientiertes Unternehmen.
Alkoholismus ist eine Barkeeper-Krankheit. Irgendeine Art von Alkoholiker bin ich auch.
Stefan Weber
Fühlt sich die Bar nach der Sanierung für Sie anders an?
Nee, wieso? Ist doch nichts anders, auch die Crew ist uns erhalten geblieben. Es fehlt ein wenig die Patina. Aber die kommt schon noch.
Die früher ruppige Potsdamer Straße ist gerade ein Gentrifizierungshotspot, überall neue Galerien, Stores und Restaurants. Wie erleben Sie das?
Für uns war das natürlich sehr gut, dass sich hier die Kunstszene breit macht. Zu der hatten wir schließlich immer schon eine Affinität. Und auch aus dem Gewerbe, das hierhergezogen ist, kommen viele am Feierabend zu uns. Es gibt unglaublich viel internationales Publikum. Nicht unbedingt Touristen. Die Soziostruktur der Anwohner in der Potsdamer Straße hat sich aber nicht groß geändert. Viele Sozialbauten, viele Immigranten.
Und der Straßenstrich auf der Kurfürstenstraße. Für den Preis von einem Longdrink kann man 300 Meter weiter Sex kaufen. Wie passt das zusammen?
Das ist ja immer so gewesen. Was zunimmt, ist die sichtbare Armut. Wir merken das an den Obdachlosen, die sich bei uns in den Windfang legen. Die bekommen von uns auch mal einen Kaffee oder ‘nen Fünfer in die Hand. Man kennt sich ja. Was ich unmöglich finde, ist, dass es Gäste gibt, die sich darüber beschweren und das dann sogar in Bewertungen schreiben: „Alles schön gewesen, aber die Penner vor der Tür stören …“
Man kann sich sein Publikum nicht aussuchen. Oder doch?
Natürlich kann man das ein wenig steuern. Deshalb machen wir immer noch die Happy Hour, auch wenn das ein bisschen verpönt ist. Aber uns ist wichtig, dass auch Leute kommen können, die nicht so viel Geld haben. In der Kunstszene gibt es viele, die gar kein Geld haben. Der Großteil ist in dem Bereich ist ja weder erfolgreicher Künstler, noch erfolgreicher Sammler, sondern lebt prekär. Manche von denen müssen bei uns nicht immer bezahlen, weil sie gute Sachen machen, oder weil sie andere interessante Leute mitbringen. Wenn man einen Grundstock an Kunstfritzen hat, meist spannende, gutaussehende Leute, ziehen die andere an.
Wenn jemand unter 30 Champagner bestellt hat, wusste man immer: Das ist ein Kollege.
Stefan Weber
Trotzdem haben Sie einen Türsteher. Wer kommt nicht rein?
Als große Gruppe ohne Reservierung aufzutauchen, ist schlecht. Und auch, wenn man schon nicht mehr stehen kann. Ansonsten besteht die Arbeit des Türstehers, eher darin, Leute zu platzieren oder auch mal um Geduld zu bitten, als sie wirklich abzuweisen. Die tatsächliche Einlassquote würde ich mal mit über 90 Prozent einschätzen. Aber geht um eine gute Mischung aus alt, jung, Frauen, Männern, Business-Leute und welche, die offensichtlich kein Business haben. Wichtig ist, dass die Türsteher die Bar genauestens kennen. Gerade haben wir einen, der hier schon fünf Jahre verkehrte, bevor er anfing. Selbst ein Maler, den ich super finde, von dem ich auch schon was gekauft habe. Er kam oft dreimal am Abend, um 18 Uhr, um 22 Uhr, dann nochmal nach Mitternacht – immer auf eine Cola Light. Manchmal ein Wasser. Jemanden, der die Bar so schätzt, obwohl er unser Getränkeangebot überhaupt nicht wahrgenommen hat, fand ich natürlich interessant.
In der Bar arbeiten und nichts trinken, dürfte eine Seltenheit sein. Gregor Scholl, der langjährige Chef des „Rum Traders“, sagte mal, ein Barkeeper mit Führerschein nehme seinen Beruf nicht ernst.
Klar, Alkoholismus ist eine Barkeeper-Krankheit. Irgendeine Art von Alkoholiker bin ich auch. Laut einer Definition ist man das, wenn man an mehr als der Hälfte der Wochentage trinkt. Wenn ich arbeite, trinke ich ein, zwei Gläser Champagner und ich bin hier vier Tage die Woche. Ansonsten trinke ich höchstens, wenn ich auf einem Geburtstag eingeladen bin. Den Geburtstag eines Erwachsenen feiert man nicht mit Orangensaft, hat Peter Richter mal geschrieben.
Warum fällt es so schwer, bei der Arbeit nichts zu trinken?
Es ist die ständige Verfügbarkeit. In dem Job ist der Unterschied von Arbeits- und Feieratmosphäre fließend. Das ist natürlich anders als in einem Büro oder den meisten anderen Arbeitsstätten.
Auf dem Getränkemarkt wächst monatlich das Angebot von alkoholfreien Weinen und Spirituosen. Fragen die Leute bei Ihnen nach alkoholfreien Cocktails?
Ach, diese Kampagne gegen Alkohol läuft schon, solange es diese Fitness- und Gesundheitswellen gibt. Andererseits wird in der Bar jedes Jahr mehr getrunken. Offensichtlich kommt die Gesellschaft ohne Rausch nicht klar. Ich finde das auch legitim. Anscheinend ist das ein Grundbedürfnis. Aber alle zwei, drei Monate muss ein neuer Getränke-Hype losgetreten werden. Wie zum Beispiel der alkoholfreie Gin.
Schon probiert?
Natürlich. Brauch ich nicht. Wenn ich alkoholfrei trinken möchte, bestelle ich eine Saftschorle. Das größte Ärgernis ist der Preis. Whisky und Rum sind in Herstellung und Lagerung kostenintensiv, Gin und Wodka eher wenig. Da verdienen sich die Hersteller dumm und dämlich, wie auch der Staat mit den Steuern. Bloß: Die alkoholfreien werden genauso teuer verkauft wie eine „echte“ Flasche Gin und darauf sind gar keine Extra-Steuern. Die Flasche kostet in der Herstellung 1,50 Euro. Großzügig bemessen. Sollte also vielleicht 4,50 im Handel kosten, wird aber für 19 Euro und mehr verkauft.
Auch internationale Rankings werden wichtiger in der Welt der Cocktails. Gerade wurde das „Wax on“ in Neukölln in der Liste der 50 besten Bars der Welt auf Platz 29 gewählt. Mal da gewesen?
Das interessiert mich null. Rotationsverdampfer und was die alles im Keller haben, finde ich totalen Schwachsinn. Völlig überflüssig. Ist in fünf Jahren vorbei. Auch diese Sous-Vide-Cocktails, bei denen Drinks vakuumiert im Wasserbad gegart werden. Was eine Umweltverschmutzung. Das ganze Plastik …
Mezcal ist der neue Rum, der der neue Gin war.
© Susanne Salzgeber
Nach Gin kam Rum kam Mezcal. Was kommt als Nächstes?
Mezcal ist immer noch groß. Finde ich ok, weil das jahrzehntelang unterschätzt wurde. Als Geschäftsmann ärger ich mich, wenn ich mehr Mezcal Sours als Whisky Sours verkaufe, denn bei denen hab ich eine höhere Gewinnmarge. Wenn der Kenner das bestellt, alles wunderbar, wenn irgendwelche Amateure das wollen, weil es gerade modern ist, dann nervt es mich.
Manche Barkeeper entwickeln mit den Jahren einen Standesdünkel. Gibt es etwas, das Sie sich weigern zu mixen?
Klar gibt es Schmerzgrenzen. Red Bull haben wir nicht, auch keinen Jägermeister. Aber wir sind nicht so dogmatisch, dass wir sagen: Piña Colada machen wir nicht. Ein Teil unseres Publikums ist in den 80ern groß geworden. Und es kommen auch viele Gays. Die trinken gerne so süßes Schlabberzeug. Kriegen sie auch.
Mit dem Beginn des Ukrainekrieges wurde Wodka plötzlich zum Politikum. Supermärkte nahmen russische Hersteller aus dem Sortiment, der Moscow Mule wurde zum Kiev Mule. Wo kommt Ihr Wodka her?
Man kriegt gerade gar keinen russischen Wodka mehr. Und alles, was dem Putin-Regime schadet, finde ich gut. Insofern hab ich kein Problem damit, im Augenblick keinen Wodka aus Russland auszuschenken.
Herr Weber, nach Silvester beginnt für viele der Dry January. Graut es Ihnen davor?
Null. In der Gastronomie ist der Januar immer ein schwieriger Monat. Viele fasten. Aber hier in der Bar merken wir das nicht. Getrunken wird immer.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de