Brandbriefe aus Jerusalem: Israels Wissenschaft fühlt sich von US-Eliteuniversitäten im Stich gelassen
© AFP/JOSEPH PREZIOSO Brandbriefe aus Jerusalem: Israels Wissenschaft fühlt sich von US-Eliteuniversitäten im Stich gelassen
Israelische Hochschulleitungen fordern Solidarität von ihren Kollegen in aller Welt – und kritisieren ausgerechnet die Spitzenuniversitäten Harvard und Stanford scharf.
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Die Worte, mit denen führende Repräsentanten der Hebräischen Universität ihre amerikanischen Kollegen kritisierten, hatten es in sich. „Ihre Stellungnahme verfehlt leider die geringstmöglichen Standards von moralischer Führung, Mut und Wahrhaftigkeit“, heißt in zwei fast gleichlautenden Beschwerdebriefen an die Hochschulleitungen von Harvard und Stanford, unterzeichnet unter anderem von Asher Cohen, dem Präsidenten der in Jerusalem ansässigen Traditionsuniversität. Man sei „im Stich gelassen“ worden.
Universitäten und Forschungseinrichtungen aus zahlreichen Ländern hatten nach den Hamas-Terrorangriffen mit vehementen Presse-Erklärungen reagiert. „Wir sind schockiert und entsetzt über die furchtbare Gewalt der Terroristen und verurteilen diese barbarischen Taten aufs Schärfste“, schrieb etwa die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen. Und weiter: „Wir stehen fest in Solidarität mit Israel.“
Schockierend schwaches Urteil
Die Chefs von Harvard und Stanford dagegen hatten sich über ihre Hochschulwebsites lediglich an ihre eigene Uni-Öffentlichkeit gewandt. Und dabei, was die Hebräische Universität ihnen vorwirft, die tausendfache Ermordung von Männern, Frauen und Kindern nur „schockierend schwach“ verurteilt.
Dabei habe die Hamas-Führung durch ihre Worte und Taten deutlich gezeigt, dass der Massenmord mit der Absicht geschehen sei, die Juden in Israel zu vernichten, heißt es im Brief der israelischen Wissenschaftler – weswegen man kein Experte für internationales Recht sein müsse, um die extreme Immoralität dieses Genozid-Verbrechens zu erkennen. „Alles, was es bräuchte, ist ein wenig Menschenverstand und minimale Integrität.“ Doch den Statements aus Harvard und Stanford fehle beides. Das Ziel, eine geschlossene Hochschul-Gemeinschaft zu erhalten, werde über die eindeutige Verurteilung des Bösen gestellt.
Alles, was es bräuchte, ist ein wenig Menschenverstand und minimale Integrität.
Aus einem Brief israelischen Wissenschaftler
Die kritisierte Stellungnahme von Harvard-Präsidentin und weiteren akademischen Führungskräfte erschien am 9. Oktober, zwei Tage nach dem Angriff: Man sei erschüttert angesichts von Tod und Zerstörung, hervorgerufen durch den Hamas-Angriff, der gegen Bürger in Israel gerichtet gewesen sei, und angesichts des Krieges in Israel und Gaza.
Ebenfalls am 9. Oktober teilten Stanford-Präsident Richard Saller und Provost Jenny Martinez mit: „Wir sind tief traurig und erschrocken angesichts von Tod und menschlichem Leid“ angesichts der „niederschmetternden Ereignissen in Israel und Gaza“.
Protestierende versammeln sich am 14. Oktober 2023 bei einer Kundgebung in Cambridge, Massachusetts, an der Harvard-Universität, um ihre Unterstützung für die Palästinenser in Gaza zu bekunden. © AFP/JOSEPH PREZIOSO
Beide Stellungnahmen beschworen die Bedeutung der akademischen Gemeinschaft und versprachen Unterstützung für alle auf dem Campus, die sie bräuchten.
Studierende kritisieren Israel
In Harvard verursachte am Tag darauf der Offene Brief des studentischen „Harvard Undergraduate Palestine Solidarity Committee“ weitere Aufregung: Allein das „israelische Regime“ trage die Verantwortung für alle kommende Gewalt. 33 weitere Harvard-Studierendengruppen setzten ihre Unterschrift darunter. Woraufhin unter anderem Ex-Harvard-Präsident Larry Summers auf „X“ kommentierte: „Das Schweigen der Harvard-Leitung“ verbunden mit dem Brief der Studierenden sorge dafür, dass Harvard „bestenfalls neutral“ dastehe angesichts der „Terrorakte gegen den jüdischen Staat Israel“.
Während Präsidentin Gay in einem weiteren Statement die „terroristischen Gräueltaten der Hamas“ verurteilte, verteidigte die Stanford-Führung ihre verbale Zurückhaltung. „Wir glauben, es ist wichtig, dass die Universität als Institution sich grundsätzlich einer Positionierung bei komplexen politischen oder globalen Fragen enthält, die über unseren direkten Zuständigkeitsbereich hinausgehen.“ Dass viele Universitäten in den vergangenen Jahren dazu übergingen, häufig aktuelle politische Ereignisse zu kommentieren, sei problematisch und könne den Eindruck einer institutionellen Orthodoxie erzeugen, der die Wissenschaftsfreiheit beeinträchtige.
Weiterer Offener Brief
Am Sonntag unterzeichnete Asher Cohen einen weiteren Offenen Brief, diesmal zusammen mit allen Präsidenten israelischer Universitäten, an die „Hochschulleitungen in aller Welt“. Darin heißt es: „Während die Leitungen einiger akademischer Institutionen öffentliche Verurteilungen herausgaben, erfuhren wir, dass andere die Hamas-Angriffe lediglich als ‚ein weiteres Ereignis‘ im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern sehen, was von unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden könne.“ Das entspreche absolut nicht der Wahrheit angesichts der singulären Barbarei. „Es gibt keine guten Leute auf beiden Seiten.“
Die Vizepräsidentin für Internationales der Universität von Tel Aviv, Milette Shamir, lobte im Research.Table, aus Deutschland habe es „sehr klare Statements“ der Wissenschaftcommunity gegeben. Der neue Brief habe sich zu einem großen Teil auf einige „Elite-Universitäten in den USA“ bezogen. Deren Reaktionen seien gerade zu Anfang „lauwarm und sehr zurückhaltend“ gewesen. „Jetzt sehen wir, in einer zweiten Runde, klarere Statements, die die besondere Situation anerkennen.“
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de