Autorin Mimi Fiedler über ihre Alkoholsucht: „Ich habe mich gefühlt, als hätte ich jahrelang im Wachkoma gelegen“
© Droemer Knaur
Die einstige Schauspielerin Mimi Fiedler konsumierte jahrelang Alkohol, besonders Berlin triggerte sie. Vom Trinken hat sie sich losgesagt – genauso wie von Berlin.
Von Robin Schmidt
„Berliner Boden zu betreten ist für mich wie Crack nehmen.“ Der erste Satz eines Kapitels, dem es keineswegs an Intensität mangelt. Wuchtig geht es weiter. „Ich spüre schon im Landeanflug, wie sich jede süchtige Zelle in mir zum Angriff aufstellt. Ob ich will oder nicht, Berlin lässt mir keine Wahl. Bei dieser Mischung aus Bohème und Prekariat werde ich zu einem schlimmeren Junkie als in jeder anderen Ecke der Welt.“ Und dann kommt der Sommer: „Ich weiß, dass die Stadt mich aufsaugen und mit sich reißen wird und dass ich den Sommer vollgedröhnt bis in die Haarspitzen verbringen werde.“
Diese eindringliche Schilderung ist keine Aussicht auf den bevorstehenden Sommer 2023. Es ist eine Beschreibung, die der Vergangenheit angehört, genauer gesagt der Vergangenheit von Mimi Fiedler. Vergangen ist nicht nur ihre Karriere als Schauspielerin, beispielsweise beim „Tatort“ oder der RTL-Serie „Nachtschwestern“.
Eine Runde Berlin
60 Minuten, ein Gast, aufgenommen in der Ringbahn: Jeden Monat eine Runde mit bekannten und unbekannten Berlinern. Jetzt reinhören bei Spotify und überall, wo es Podcasts gibt.
Vergangen ist auch die Zeit, in der Alkohol für sie „wie eine hübsche Person an der Bar, die dir das Gefühl gegeben hat, richtig besonders zu sein“, war. „Morgens bist du dann aber neben ihr aufgewacht und sie zeigte ihr altes, vergammeltes Antlitz.“ Fiedler wird im Laufe des Gesprächs noch öfter in solchen Metaphern sprechen.
„Trinkerbelle: Mein Leben im Rausch“ heißt Mimi Fiedlers Buch
Zunächst aber denkt die Autorin des Buchs „Trinkerbelle: Mein Leben im Rausch“ im Frühstückssaal eines Berliner Hotels etwas länger über die Frage nach, welche Beziehung sie zur Nacht hat. „Ich bin kein Nachtmensch, obwohl ich natürlich viele Jahre die Nacht zum Tag gemacht habe.“
Was Fiedler meint, ist: Nach Dreharbeiten zog sie sich meist allein aufs Hotelzimmer zurück und betrank sich teilweise bis in die Morgenstunden. Fragt man sie, warum sie einst überhaupt Schauspielerin werden wollte, nennt sie zunächst jenes „ungestörte Trinken in Hotelzimmern“ als Grund, anschließend erst sagt sie: „Wenn ich vor der Kamera stand, habe ich es schon geliebt zu spielen. Das ganze Drumherum hat mich aber nie so interessiert.“
Schonungslos schildert die 47-Jährige in ihrem Buch, wie sie fast 30 Jahre lang süchtig nach Alkohol war und gleichermaßen nach Erlebnissen, die mit dem Konsum einhergingen. In Berlin traf sie beispielsweise auf den Künstler Dean, der nicht trank, sie aber mit zu sich nach Hause nahm und zeichnete – so wie viele andere Frauen vor Fiedler. Ihr sei schnell klargewesen, dass es Dean nicht um Sex ging. Hatte sie in ihrem Zustand dennoch keine Sorge, dass ihr was passieren könnte? „Ich war wie ein Kind, ich wäre überall mitgegangen“, sagt Fiedler über diese Zeit.
Ich weiß, dass die Stadt mich aufsaugen und mit sich reißen wird und dass ich den Sommer vollgedröhnt bis in die Haarspitzen verbringen werde.
Mimi Fiedler
Was Fiedler mit Alkohol über die Jahre betäubt hat? In ihrer Antwort schwingen wieder Metaphern mit: „Ich habe mich gefühlt, als wäre meine Seele durch einen ganz schweren Zusammenprall eingeklemmt gewesen, als hätte ich jahrelang im Wachkoma gelegen. Mir tat alles weh, aber ich konnte es niemandem sagen.“
Was Fiedler meint, ist: Sie hat sich stets als nicht zugehörig gefühlt. Durch das Betäuben mit Alkohol seien viele Gefühle zwar verschwunden, aber es kamen neue hinzu, beispielsweise Scham. „Du musst ständig lügen, denn du kannst niemandem sagen, was los ist. Dann kannst du nicht mehr trinken.“
Heute ist Mimi Fiedler trocken
Fiedler ging zu den Anonymen Alkoholikern, machte mehrere Therapien und Familienaufstellungen – und konnte doch lange nicht aufhören zu trinken. „Ich hatte mehr Rückfälle als andere Menschen in den Urlaub fahren.“ Vor gut fünf Jahren fand sie letztendlich die Kraft, dem Alkohol zu entsagen. Heute ist sie trocken, trinkt abends am liebsten einen Crodino (alkoholfreier Apéritif) und liebt es, mit ihrem Mann das bayerische Hinterland zu entdecken.
Denn Fiedler lebt inzwischen in München. Berliner Boden betritt sie in der Regel zu Terminen, die mit ihrer Arbeit zusammenhängen. Davon dürften in nächster Zeit einige anstehen. Fiedler schreibt an weiteren Büchern, hat ein Unternehmen gegründet, mit dem sie Online-Coaching für Frauen anbietet und lotet die genauen Pläne für die Verfilmung von „Trinkerbelle“ aus. Eines steht bereits fest: Sich selbst wird Fiedler dabei nicht spielen.
- Alkohol
- Drogen: Alle News & Hintergründe zum Thema
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de