Ausschreitungen am „Tag X“ in Leipzig: „Warum machen die uns immer alles kaputt?“
© dpa/Sebastian Willnow Ausschreitungen am „Tag X“ in Leipzig: „Warum machen die uns immer alles kaputt?“
Nach dem Urteil gegen die Linksextreme Lina E. gibt es in Leipzig am Wochenende Ausschreitungen. Anwohner zeigen Verständnis für den Protest, aber nicht für die Zerstörungen.
Von Lea Schulze
Strahlender Sonnenschein, Helikopter kreisen über der Stadt, dazu der Geruch nach verbranntem Gummi, denn schon in der vergangenen Nacht haben hier etliche Mülltonnen gebrannt, in anderen Teilen der Stadt waren es Autos. Am Samstagnachmittag ist es noch ruhig in Leipzigs linkem Stadtteil Connewitz, wo trotz Verbots wieder etliche Demonstrierende erwartet werden.
Aktionen zum „Tag X“ sollen der linksextremen Szene zufolge dezentral stattfinden. Die Autonomen wollen demonstrieren gegen das Urteil gegen die gewalttätige linksextreme Studentin Lina E., die am Mittwoch zu fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Viele junge Leute, die durchs Viertel streifen und auf der Straße herumlungern, wirken so, als warteten sie nur darauf, dass etwas passiert, dass es endlich losgeht. Die Polizei ist überall, in Kohorten fährt sie durch die Straßen und zeigt Präsenz, an fast jeder Straße stehen Einsatzwagen.
Demonstranten blockieren eine Straße in Leipzig. © Imago/Zuma Wire/Yauhen Yerchak
Noch ist kaum etwas zu tun, die Einsatzkräfte schauen auf ihre Handys, rauchen. Wird eine Gruppe zu groß oder wirkt sie verdächtig, etwa durch komplett schwarze Kluft, greifen sie beherzt ein und setzen Leute fest, so wie immer wieder hier vor einem Supermarkt am Connewitzer Kreuz.
Entsetzte Anwohner
In einer ruhigen Seitenstraße sind ein weißhaariger älterer Herr und seine Frau gerade dabei, Scherben um ihren Renault herum aufzufegen. Er humpelt, das Bücken fällt ihm schwer. Die Heckscheibe seines Wagens wurde mit einem Stein eingeschlagen. Im Innern des Wagens ist alles voll mit Glas. Er wirkt resigniert, es ist nicht das erste Mal.
Wir haben denen doch nichts getan.
Ein Leipziger, dessen Auto von linksextremen Demonstranten demoliert worden war
Sein Auto ist eines von acht, die in dieser Nacht verwüstet worden seien, erzählt er und deutet auf weitere demolierte Fahrzeuge: „Die ganze Reihe hier. Ich habe nichts gegen das Demonstrieren. Aber warum machen sie uns immer wieder alles kaputt? Wir haben denen doch nichts getan.“
Enttäuschung auch ein paar Straßen weiter in der Nähe eines Kleingartenvereins. Ein Herr mit Glatze und Freizeitkleidung ist dabei, sein Auto zu inspizieren, die Scheiben seines VW-Busses sind zerschlagen. Gehört hat er nichts, erzählt er über eine Mauer hinweg, dabei sind hier mindestens sechs Fahrzeuge betroffen.
Den Ablauf kennt er nur zu gut. „Ich habe 15 Jahre hier gewohnt, war lange weg und bin seit vier Wochen zurück. Das ist ein Scheiß-Willkommensgruß.“ Er zuckt mit den Schultern. „Glück im Unglück, Lack wäre schlimmer.“ Dabei habe er nichts gegen eine linke Gesinnung, betont, er, sonst würde er hier nicht wohnen. Aber für die rohe Gewalt hat er kein Verständnis. In dem roten Backsteinhaus sind schicke Lofts. Das Gebäude wirkt wie der Inbegriff von Gentrifizierung. Später am Abend wird hier ein privater Sicherheitsdienst seine Runden drehen.
Zwei Stunden später, auf der Karl-Liebknecht-Straße: Polizeieinsatzkräfte aus ganz Deutschland haben sich in Stellung gebracht, Wasserwerfer stehen bereit. Jung und Alt sind auf der Straße zusammengekommen, sitzen mit Bierflaschen auf der Wiese im Park oder stehen herum. Doch die schwarze Kleidung überwiegt, einige Menschen haben sind vermummt. Er sei über Schleichwege aus Berlin angereist, damit „die Bullen“ ihn nicht rausziehen, erzählt ein junger Mann seinem Kumpel.
„Ihr Verhalten ist rechtswidrig und strafbar“
Plötzlich knallt es. Nebel liegt in der Luft. Eine Farbbombe explodiert und färbt die Luft pink. Weitere Male knallt es. Jubelrufe. Beifall. Antifaschistische Sprechchöre ertönen, Adrenalin liegt in der Luft. Ein Pulk Demonstrierender setzt sich in Bewegung, Polizisten hinterher. Schaulustige sollen das Areal verlassen, fordert die Polizei per Lautsprecher: „Unterlassen Sie es Pyrotechnik abzubrennen und die Arbeit der Polizei zu behindern!“ Und: „Ihr Verhalten ist rechtswidrig und strafbar. Werden sie unseren Aufforderungen nicht Folge leisten, werden sich weitere Maßnahmen anschließen, gegebenenfalls unter Anwendung von unmittelbarem Zwang.“
Die Meute bleibt unbeeindruckt, „Verpisst Euch, Scheißbullen“, schallt immer wieder über den Platz. Doch weil nur etwa 1500 Menschen zu der Versammlung gekommen sind, hat die Polizei leichtes Spiel: Ab jetzt kommt niemand mehr rein oder raus, die Demonstrierenden werden eingekesselt. Einige Jugendliche sind enttäuscht, dass sie es vorher nicht mehr in den Block geschafft haben. „Nein, ich bin draußen, die haben dicht gemacht“, brüllt einer wütend ins Telefon und nimmt einen tiefen Schluck aus seiner Bierflasche. „Vielleicht klappt es noch irgendwie.“
Noch Stunden hält die Polizei mehrere Hundert Menschen in dem Kessel fest. Ein Student aus Bayern, der extra angereist war, hat es hinausgeschafft, eilt zum Dönerladen und erzählt dem Partyvolk dort seine Geschichte. Das Handy haben sie ihm abgenommen und seine Papiere, alle seine Leute sind weg. Wie er jetzt zu seinem Schlafplatz außerhalb kommt, weiß er noch nicht. Er will es zu Fuß versuchen.
Fünf Haftbefehle
Im Kessel skandieren die Chaoten: „Alle Bullen sind Schweine“, „Free Lina“, „Alle Polizisten, Mörder und Faschisten“, „Lasst uns endlich frei“. Die klassischen linksradikalen Parolen also. Die Polizei nimmt das Gebrüll stoisch zur Kenntnis, der heutige Einsatz wirkt wie ein Kinderspiel für sie, auch wenn einige Beamten müde wirken.
Bis Sonntagmorgen geht das, erst dann wird das Ganze aufgelöst. Gegen fünf Männer im Alter zwischen 20 und 32 Jahren ergehen Haftbefehle wegen schweren Landfriedensbruches. Sie kommen in eine Justizvollzugsanstalt, berichtet die „Leipziger Volkszeitung“.
Rund 1500 Teilnehmer hatten sich laut Polizei zu der Demonstration versammelt, davon der Einschätzung zufolge ein Drittel gewaltbereite. Die Polizei beklagte „massive Ausschreitungen“. Angemeldet waren 100 Demonstranten. Mehrere Wasserwerfer wurden aufgefahren, kamen demnach aber nicht zum Einsatz.
- Sachsen
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de