Auferstanden nach 46.000 Jahren: Der Wurm, der aus der Kälte kam

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Auferstanden nach 46.000 Jahren: Der Wurm, der aus der Kälte kam

© mauritius images / Science Source Auferstanden nach 46.000 Jahren: Der Wurm, der aus der Kälte kam

Im sibirischen Permafrost finden Forschende einen eingefrorenen Wurm. Es gelingt, ihn zum Leben zu erwecken – nach 46000 Jahren im Eis.

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Wie schön wäre es, könnte man ungemütliche Zeiten einfach verschlafen. Kriege, Umweltkatastrophen, Streit: Man legte sich einfach zur Ruhe und wachte nach ein paar Jahren wieder auf, sogar ohne einen Tag gealtert zu sein. Das Unglück wäre vorübergezogen, wie ein lästiger Sturm, und man selbst könnte in seinem eigenen Leben weitermachen, als wäre nichts gewesen.

In der Kryptobiose sind Individuen in einem Zustand zwischen Leben und Tod

Philipp Schiffer, Zoologe an der Universität Köln

Was unter Menschen höchstens Dornröschen und ihrem Gefolge gelingt, ist in der Natur eine Überlebensstrategie verschiedener Organismen. Kryptobiose nennen Forschende das Konzept, Lebewesen ihren Stoffwechsel extrem verlangsamen, sei es unter Kälte oder Trockenheit. Bärtierchen und Rädertierchen, beides Mikroorganismen, können etwa im Ruhezustand überdauern. In einer Studie wurden sie nach neun Jahren Trockenheit wiederbelebt. Auch von einigen Arten von Nematoden, winzigen Fadenwürmern, ist bekannt, dass sie kryptobiotische Stadien annehmen können. Den Rekord hielten bisher Würmer aus dem sibirischen Permafrost, jenem gefrorenen Boden in arktischen Breiten, die nach rund 40.000 Jahren von Menschen zurück ins Leben geholt wurden. 

Lebendig nach dem Auftauen

Nun jedoch präsentiert ein Team Forschender aus Europa und Russland eine Entdeckung, die alle vorherigen Kryptobiose-Studien noch einmal übertrifft. Ebenfalls im sibirischen Permafrost fanden sie mehrere Vertreter einer Nematoden-Art, die dort seit mindestens 45.839 Jahren im Eis schlummerten. Die Forschenden tauten die Proben auf – und die Würmer wanden sich wieder ganz lebendig. Wie auch andere Arten von Nematoden ließen sie sich im Labor einfach halten, also sorgten die Forschenden dafür, dass sich die Würmer reproduzieren konnten. Nach mehr als 100 Generationen, die bei Nematoden innerhalb von ein paar Wochen erreicht sind, war klar: Diese Würmer sind lebensfähig. Nach rund 46.000 Jahren Dornröschenschlaf.

Der Körper spindelförmig, eine Mundöffnung mit sechs Lippen, ein kegelförmiger Schwanz mit kurzer stachelartiger Spitze, insgesamt etwa 180 Mikrometer lang: So beschreiben die Forschenden Panagrolaimus kolymaensis im Fachblatt PLOS Genetics. Für die Wissenschaft handelt es sich um eine bislang unbekannte Art. „Die Tiere lassen sich äußerlich schwer von verwandten Arten unterscheiden“, sagt Anastasia Shatilovich, „deshalb ist es gut möglich, dass sie bereits in der Tundra gefunden, aber falsch identifiziert wurde.“ Shatilovich, Mikrobiologin an der russischen Akademie der Wissenschaften, hält in ihrem Moskauer Labor eine ganze Sammlung von Permafrost-Proben bereit. Sie war auch bei der Entdeckung der 40.000 Jahre alten Würmer vor fünf Jahren federführend.

Aus Zeiten der Mammuts

Als die Vertreter von P. kolymaensis das letzte Mal unter der Sonne schlängelten, streiften noch Mammuts und Säbelzahntiger durch die sibirische Tundra. Wie gelang es den Würmern, so lange Zeit im Eis zu überdauern? „Kurz gesagt, wir wissen noch nicht genau, wie dies funktioniert“, sagt Philipp Schiffer, Zoologe an der Universität Köln. Auch er war an der Untersuchung von P. kolymaensis beteiligt. „In der Kryptobiose sind Individuen in einem Zustand zwischen Leben und Tod“, sagt der Zoologe. „Wir gehen davon aus, dass der Permafrost so stabil ist, dass dort die Konservierung über Jahrtausende ohne äußere Einflüsse passieren kann.“

Immerhin weiß man, dass die Nematoden den Dornröschenschlaf zuerst durch eine Umstellung ihres Stoffwechsels vorbereiten müssen – ansonsten würden sie an der Kälte sterben. Während der Kryptobiose laufen die Stoffwechselvorgänge dann so extrem verlangsamt ab, dass man kaum noch von Leben sprechen kann. Schiffers Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit kryptobiotischen Nematoden von verschiedenen Orten auf der Welt, nicht nur solchen aus Sibirien, sondern zum Beispiel auch solchen aus der Atacama-Wüste. Ihre lebensfeindliche, aber stabile Trockenheit schafft ebenfalls gute Bedingungen für kryptobiotische Spezies.

Würde es gelingen, die genetischen und biochemischen Vorgänge in diesen Lebewesen zu ergründen, ließen sich damit möglicherweise auch menschliche Alterungsprozesse besser verstehen, sagt Schiffer: „Ergebnisse in der Wissenschaft sind sehr oft übertragbar.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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