Politikwissenschaftlerin über neue Wagenknecht-Partei: „Sie könnte Nichtwähler mobilisieren“
© dpa/Michael Kappeler Politikwissenschaftlerin über neue Wagenknecht-Partei: „Sie könnte Nichtwähler mobilisieren“
Monatelang kokettierte Sahra Wagenknecht mit der Gründung einer eigenen Partei. Am Montag will sie nun ihren Verein vorstellen. Welches Potenzial hat eine neue Partei?
Von
Frau Reuschenbach, was ist die Chance einer neuen Wagenknecht-Partei?
Aus ersten Studien lässt sich vorsichtig herauslesen, dass eine Wagenknecht-Partei die Reduzierung von AfD-Stimmen zur Folge haben könnte, zumindest in Ostdeutschland.
Das Potential wird vor allem deswegen als groß angesehen, weil die Partei inhaltlich zwei Pole miteinander vereint, die es so in der deutschen Parteienlandschaft aktuell so nicht gibt: Eine eher rechtskonservative Migrations- und Innenpolitik und eine linke Sozialpolitik. Wir sprechen da womöglich von einer linksautoritären Partei, das wäre ein Alleinstellungsmerkmal.
Und die Sehnsucht nach einer solchen Politik besteht?
Das Publikum ist laut Umfragen wohl da. Wir tun uns schwer mit diesen Umfragen, auch weil wir noch keine Details kennen, aber wir schätzen den Resonanzraum als durchaus groß ein.
Vor allem in unteren Mittelschicht und auch bei einkommensschwachen Milieus findet ein starker Sozialstaat in Kombination mit einer rigiden Migrationspolitik Anklang, wenngleich das im Osten ausgeprägter ist als im Westen. Auch könnte die Partei wohl Nichtwähler mobilisieren.
Birgt eine Wagenknecht-Partei auch Gefahren?
Natürlich. Wir beobachten schon die ganzen letzten Jahre eine starke Fragmentierung des Parteiensystems, die klassischen Volksparteien gibt es nicht mehr. Vor allem im Osten könnte es noch stärker zu Problemen bei den Mehrheitsfindungen kommen. Wie koalitionsfähig Sahra Wagenknechts Partei wäre, hängt aber noch davon ab, wie sehr sie sich in der Mitte positionieren wird.
Julia Reuschenbach ist Politikwissenschaftlerin und forscht an der Freien Universität Berlin. © FU Berlin
Werden die etablierten Parteien mit der Partei zusammenarbeiten?
Viele Möglichkeiten hat Wagenknecht sich als Person sicher mit ihren Forderungen in den vergangenen Monaten verbaut, vor allem ihre Positionen in der Russlandpolitik machen eine Kooperation sehr schwer, wenn dies auch zentrale Positionen der Partei sein würden.
Ihre Migrationspolitik sorgt für viel Widerspruch im linken Lager. Eigentlich scheint eine Zusammenarbeit momentan mit fast allen anderen unmöglich.
Die Linke muss derzeit sowohl um ihren Fraktionsstatus als auch um ihre Wählerschaft bangen.
Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin.
Was ist Ihr Gefühl, hat die Wagenknecht-Partei Aussicht auf Erfolg?
Ein solides Wählerpotential scheint da zu sein und zunächst wird es sicher eine Menge Voschusslorbeeren geben, nach dem Motto „Endlich ändert sich was, die bewegt was“. Wer Wagenknecht wohl gesonnen ist, wird die Partei als neue dynamische Kraft wahrnehmen. Aber wie lange wird sie sich darauf ausruhen können?
2024will Sahra Wagenknecht ihre eigene Partei gründen.
Will sie auf Dauer Protestpartei sein oder auch gestalten. Und das wird schwierig ohne Partner. Zumal die AfD sich im Osten Deutschlands jetzt so etabliert hat, dass Wähler sich durchaus fragen könnten, ob es sich lohnt zu diesem Zeitpunkt noch von ihr wegzugehen, wo die AfD in Umfragen so gut dasteht derzeit.
Interessant. Sie sagen, eine Wagenknecht könnte es schwer haben ohne Partner. Aber auch die AfD ist auf sich gestellt und gewinnt dennoch immer mehr an Aufwind.
Das stimmt. Es gibt Protestwählende und solche aus Überzeugung, die wirklich die Einstellungen teilen. Und denen reicht es oft schon, dass die AfD Dinge blockieren kann.
Höcke hat das ja sogar selbst so formuliert: Er müsse nicht regieren, aber das Ziel seien die 34 Prozent, rein strategisch, um alles torpedieren zu können. Das wäre in Thüringen mit der dortigen Verfassung der Fall, weil die AfD Verfassungsänderungen dann blockieren könnte.
Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht, ein Bild aus harmonischeren Zeiten. © imago images/Christian Spicker/Christian Spicker via www.imago-images.de
Muss sich die AfD jetzt warm anziehen?
Klar fischen die beiden Parteien in den gleichen Gewässern. Die AfD weiß das auch, sonst hätte sie nicht immer wieder eindeutige Signale an Wagenknecht gesendet für eine mögliche Zusammenarbeit. Aber nicht nur die AfD muss sich Sorgen um Wählerschwund machen, das betrifft auch ganz konkret die SPD und die Linke. Die Linke muss derzeit sowohl um ihren Fraktionsstatus als auch um ihre Wählerschaft bangen.
Sahra Wagenknecht ist neben Gregor Gysi eines der wenigen wirklich prominenten Gesichter der Linken. Sie polarisiert enorm, strahlt aber auch eine große Anziehungskraft aus, reißt mit.
Julia Reuschenbach, Politikwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin.
Ist der Weggang Wagenknechts jetzt der Todesstoß in die politische Bedeutungslosigkeit?
Schwer zu sagen. Sahra Wagenknecht ist neben Gregor Gysi eines der wenigen wirklich prominenten Gesichter der Linken. Sie polarisiert enorm, strahlt aber auch eine große Anziehungskraft aus, reißt mit.
Aus der Linken gibt es nicht wenige, die der Ansicht sind, dass die eigene Partei sie stärker hätte einbinden, statt ausschließen müssen, die könnten ihr folgen. Genauso gut könnte das finale Ende der Zusammenarbeit aber auch ein heilender, gesunder Schritt sein, mit dem die Linke ein echtes linkes, programmatisches Profil entwickeln könnte.
Warum jetzt erst der Weg über den Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“?
Eine Parteigründung ist wahnsinnig komplex und erfordert aufwändige Verfahren. Natürlich ist die Parteienstruktur das langfristige Ziel. Mit dem Verein wird Wagenknecht schon 2024 bei der Europawahl und in Brandenburg bei den Landtagswahlen antreten können.
Die Parteiengründung 2024 hat aber natürlich auch mit finanziellem Kalkül zu tun: Gründet sich die Partei im Jahr ihrer ersten Wahlteilnahme, würde die staatliche Rückerstattung der Wahlkampfkosten nicht wie üblich von den Einnahmen aus dem Vorjahr abhängen – und somit wohl höher ausfallen. 2025 kann sie dann zur Bundestagswahl antreten.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de
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