© Sebastian Gabsch / Potsdamer Neueste Nachrichten Vorstoß gegen Racial Profiling: Ampel einigt sich auf Quittungen für Polizeikontrollen
Wer sich von der Bundespolizei anlasslos kontrolliert fühlt, kann künftig eine sogenannte Kontrollquittung verlangen. Nicht allen geht diese Änderung des Polizeigesetzes weit genug.
Von Lea Schulze
Wer blondes Haar und helle Haut hat, wird in Deutschland wahrscheinlich seltener von der Polizei kontrolliert als Menschen, denen man ihre Migrationsgeschichte ansieht. „Als Jugendlicher wurde niemand mit dem Auto so oft angehalten wie ich“, sagt Karim Yahiaoui, dessen Eltern einst aus Tunesien nach Deutschland kamen, dem Tagesspiegel. „Und gerade erst ist es wieder passiert, als ich meine Kinder zur Kita gebracht habe – grundlos. Das macht mich so unfassbar wütend.“
Von Racial Profiling spricht man, wenn die Polizei Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Haarfarbe oder anderer äußerer Merkmale kontrolliert, ohne dass es einen konkreten Anlass gibt. Racial Profiling bleibt eine solche Kontrolle auch dann, wenn das Aussehen einer von mehreren Anhaltspunkten für die Kontrolle ist.
Im Afrozensus-Report, einer Befragung von rund 6000 Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen in Deutschland aus dem Jahr 2020, haben mehr als die Hälfte der Befragten angegeben, in ihrem Leben mindestens einmal ohne erkennbaren Grund von der Polizei kontrolliert worden zu sein. Zulässig ist Racial Profiling nicht, aber wie dagegen ankommen?
Betroffene sollen Kontrollquittung verlangen können
Schon seit langem war die Ampelregierung darin übereingekommen, dass derlei Erfahrungen entgegenzuwirken sei – in der Vergangenheit hatten sich die Ressorts jedoch auf wichtige Punkte nicht einigen können. Das galt vor allem für die Kriterien, nach denen Polizisten anlasslos kontrollieren dürfen.
Für das seit 1994 nicht novellierte Bundespolizeigesetz bedeutet die Änderung vor allem Modernisierung und Effektivierung der Polizeiarbeit.
Irene Mihalic, erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag
Nun haben sich die Parteien auf eine Änderung des Polizeigesetzes geeinigt. Die Einigung der Ampel, die dem Tagesspiegel vorliegt, sieht vor, dass Kontrollen ausschließlich aufgrund äußerer Merkmale weiterhin nicht zulässig sind, dass entsprechende Merkmale einer Überprüfung aber nicht im Wege stehen, wenn Erfahrung oder aktuelle Ereignisse sie angemessen erscheinen lassen.
Neu ist, dass wer sich von der Bundespolizei anlasslos kontrolliert fühlt, von den Beamt:innen dafür künftig eine sogenannte Kontrollquittung soll verlangen können.
„Der betroffenen Person ist im Falle des Satzes 1 auf Verlangen unverzüglich eine Bescheinigung über die Maßnahmen und ihren Grund auszustellen. Die betroffene Person ist über dieses Recht zu belehren“, heißt es konkret in der Einigung.
Um unerlaubte Einreisen nach Deutschland zu verhindern, soll die Bundespolizei künftig Personen dann kontrollieren und nach Ausweisdokumenten befragen dürfen, „wenn aufgrund von Lageerkenntnissen oder grenzpolizeilichen Erfahrungen in Verbindung mit aktuellen Erkenntnissen oder Prognosen anzunehmen ist“, dass es sich um eine unerlaubte Einreise handelt.
56,7Prozent von rund 6000 Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen in Deutschland gaben bei einer Befragung an, in ihrem Leben mindestens einmal ohne erkennbaren Grund von der Polizei kontrolliert worden zu sein.
Weiter heißt es, Personen dürften nicht „anhand gruppenbezogener Merkmale“ im Sinne des Grundgesetzartikels drei überprüft werden. Dort wird geregelt, dass niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf.
Seit 1994 war das Bundespolizeigesetz nicht novelliert worden
Irene Mihalic, erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, zeigte sich im Gespräch mit dem Tagesspiegel zufrieden mit der Übereinkunft. „Diskriminierend wirkenden Praktiken werden wir durch die Einführung von Kontrollquittungen, die sich jede Bürgerin und jeder Bürger auf Wunsch ausstellen lassen kann, nun aktiv entgegen wirken.“
Auch sei die rechtliche Grundlage für Kontrollen weiter präzisiert worden. „Für das seit 1994 nicht novellierte Bundespolizeigesetz bedeutet das vor allem Modernisierung und Effektivierung der Polizeiarbeit“, sagte Mihalic.
Wir treiben die Änderung des Bundesdisziplinarrechts voran, um Verfassungsfeinde zukünftig schneller aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Ziel ist, mehr Sicherheit in einem demokratischen Rechtsstaat durch eine moderne Bundespolizei sicherzustellen.
Sebastian Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.
Ebenso enthusiastisch zeigt sich Sebastian Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Der Ampel-Koalition sei es durch intensive, zielgerichtete Beratung zwischen allen Fraktionen gelungen, die verhakte Ressortabstimmung zu überwinden, sagte er dem Tagesspiegel.
„Die Novelle des Bundespolizeigesetzes ist lange überfällig und ist noch in der letzten Wahlperiode gescheitert. Regelungen zu einem modernen Datenschutz, Befugnisausweitungen und zukünftig obligatorische Sicherheitsüberprüfungen aller neuen Bediensteten der Bundespolizei runden das Bild ab.“
Hartmann betont außerdem, dass es künftig eine obligatorische Sicherheitsüberprüfung aller neuen Bediensteten der Bundespolizei geben soll. „Unabhängig hiervon treiben wir die Änderung des Bundesdisziplinarrechts voran, um Verfassungsfeinde zukünftig schneller aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Ziel ist, mehr Sicherheit in einem demokratischen Rechtsstaat durch eine moderne Bundespolizei sicherzustellen.“
Der Opposition reicht der Vorstoß der Ampel nicht aus. „Wer wirklich etwas gegen Racial Profiling unternehmen will, müsste der Polizei die Befugnis zu anlasslosen Kontrollen entziehen. Das sieht die geplante Änderung jedoch nicht vor, weshalb ein Ende rassistischer Kontrollen bedauerlicherweise nicht zu erwarten ist“, sagte Clara Bünger, die rechtspolitische Sprecherin der Linken dem Tagesspiegel.
Das Ausstellen von Kontrollquittungen halte ich für ein wichtiges Instrument, weil es den Beamt:innen auch nochmal die Möglichkeit der Reflektion gibt: Warum habe ich diese Entscheidung getroffen? Haben vielleicht Stereotype eine Rolle gespielt?
Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Die Formulierung „auf Basis von Lageerkenntnissen und grenzpolizeilichen Erfahrungen“ sei der Partei hinreichend aus den Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen zu Racial Profiling bekannt.
„Polizeiliches Erfahrungswissen wird seit jeher benutzt, um Kontrollen gegen ,nicht deutsch aussehende’ Personen zu legitimieren“, sagte Bünger. So solle verschleiert werden, was offensichtlich sei: „Die Bundespolizei kontrolliert Menschen anhand ihrer Hautfarbe und anderer äußerer Merkmale, obwohl Artikel 3 des Grundgesetzes dies verbietet.“
Auch die Union hält die geplante Gesetzesänderung für alles andere als fortschrittlich. „Die Ampel bleibt mit ihrem Bundespolizeigesetz im letzten Jahrhundert stecken. Die Gelegenheit, dieses Gesetz von 1994 auf den Stand der heutigen
Welt zu bringen, verstreicht ungenutzt“, sagte Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Tagesspiegel. „Was stattdessen in jeder Zeile dieses Vorhabens deutlich wird: das massive Misstrauen der Regierung
gegenüber unseren Polizeibeamtinnen und -beamten.“
Deutschlands Sicherheit hat Besseres verdient als
diesen Ampel-Entwurf.“Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Throm sieht andere Baustellen vernachlässigt. „Notwendige Digital-Befugnisse, um das organisierte Verbrechen auch online verfolgen zu können? Fehlanzeige.“ Stattdessen gebe es neue Hürden und mehr Bürokratie beim Tagesgeschäft, etwa bei Personenkontrollen an der Grenze und in Kriminalitätshotspots, kritisiert Throm die Einigung.
„Deutschlands Sicherheit hat Besseres verdient als diesen Ampel-Entwurf.“ Die geplanten Änderungen des Bundespolizeigesetzes werden nicht dazu führen, dass es in Zukunft kein Racial Profiling mehr geben wird.
Die vorgesehenen Kontrollquittungen können zwar dazu führen, dass es weniger diskriminierende Kontrollen gibt., aber allein damit wäre Racial Profiling nicht verschwunden, sagte Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte dem Tagesspiegel.
„Wenn die Polizei weiterhin das Recht hat, Menschen zum Zweck der Migrationskontrolle anlasslos zu kontrollieren, würde sie durch Quittungen nur möglicherweise seltener Gebrauch davon machen. Wir empfehlen dem Gesetzgeber, die Paragrafen in Polizeigesetzen zu streichen, die die Polizei zu anlasslosen Kontrollen zum Zweck der Migrationskontrolle ermächtigen.“
Kritische Stimmen glauben, dass das Problem tiefer liegt. © imago images/Steinach
Tobias Singelnstein ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main und beschäftigt sich schon lange mit Racial Profiling. Für ihn sind die geplanten Änderungen ein Schritt in die richtige Richtung, mit der sich die Grundproblematik allerdings nicht aus der Welt schaffen lasse.
„Das Ausstellen von Kontrollquittungen halte ich für ein wichtiges Instrument, weil es den Beamt:innen auch nochmal die Möglichkeit der Reflektion gibt: Warum habe ich diese Entscheidung getroffen? Haben vielleicht Stereotype eine Rolle gespielt?“, sagte Singelnstein.
Er kritisiert jedoch, dass die Quittung kein Automatismus sei, sondern von den Betroffenen eingefordert werden müsse: „Das setzt voraus, dass die Kontrollierten sich in der Situation in der Lage fühlen, die Quittung einzufordern. Es kann aber gute Gründe geben, warum man lieber nicht auf der Quittung bestehen und die Situation möglichst schnell verlassen will.“
Diskriminierende Auswahlentscheidungen bei verdachtsunabhängigen Kontrollen müssten gar nicht auf rassistischen Einstellungen fußen, sagte der Jurist dem Tagesspiegel: „Wenn der Gesetzgeber keine konkreteren Vorgaben macht, bleibt den Beamt:innen nichts anderes übrig, als die jeweilige Situation anhand eigener Einschätzungen und Erfahrungen zu bewerten.“
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de