© Karin Christmann
Treffen der Israel-Feinde in Berlin: Wo der Hamas-Terror gesellschaftsfähig ist
Vergewaltigungen israelischer Frauen hält man auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz für unbewiesen. Und: Die Hamas brauche es für das „sozialistische Klassenbewusstsein“. Ein Ortstermin.
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Sprechchöre hallen durch das Tempodrom in Berlin: „Free, Free Palastine“, „Free, Free Palastine“. Hier tagt am Samstag die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz. Am Rande finden sich Hamas-Unterstützer und -Sympathisanten verschiedener Couleur zusammen. Der Verlauf des Tages zeigt, wie weit viele von ihnen sich in ihre ganz eigene Weltsicht verrannt haben.
An einem Stand der „Kommunistischen Organisation“ im Foyer ist ein Mann anzutreffen, Name und Beruf will er nicht nennen. Aber er gibt Auskunft zu den Geschehnissen des 7. Oktober. Die Taten der Hamas seien Kampf gegen Besatzung und Apartheid und damit legitim. „Mit welchen Mitteln die Palästinenser sich wehren, ist ihre Entscheidung.“ Und er geht noch weiter: Der zionistische Staat Israel müsse „aufgelöst“ werden.
Die zu erwartende Antwort auf jahrzehntelange Unterdrückung.
Wieland Hoban über die Geschehnisse des 7. Oktober
Auf der Bühne spricht Wieland Hoban als Vertreter der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Das Publikum applaudiert zustimmend, als er ruft: „Es findet gerade ein Genozid im Gazastreifen statt.“ Und: Der 7. Oktober sei „die zu erwartende Antwort auf jahrzehntelange Unterdrückung“. Tote palästinensische Kinder würden von westlichen Politikern achselzuckend hingenommen.
Als Stargast angekündigt: Jeremy Corbyn
Als Stargast angekündigt war Jeremy Corbyn, einstiger Vorsitzender der britischen Labour-Partei. Seit langem steht er immer wieder wegen Antisemitismus-Vorwürfen in der Kritik. Am Ende tritt er nur per Videobotschaft auf, er wird in Den Haag gebraucht, wo sich Israel gerade wegen des Vorwurfs des Völkermords zu verteidigen hat. „Waffenstillstand jetzt“ fordert Jeremy Corbyn, und die Halle jubelt. Im Oktober 2023 hatte er es abgelehnt, die Terrortaten der Hamas klar zu verurteilen.
Beim Publikum ist der Widerhall solcher Positionen zu beobachten. Auf Nachfrage erklärt eine junge Frau in den Zwanzigern morgens in der Einlass-Schlange: „Es ist nicht die ganze Hamas strukturell antisemitisch.“ Ihr Beruf, eigener Angabe zufolge: Studentin der Politikwissenschaft.
Dass am 7. Oktober Babys enthauptet worden seien, sei „widerlegt“. Und überhaupt, ergänzt ein Freund, durch Bombardements in Gaza seien sehr viel mehr Kinder ums Leben gekommen. „Die Hamas ist bereit für den Frieden“, glaubt er. Wie seine Mitstreiterin bleibt er lieber anonym und sagt nur, er arbeite als Servicekraft in der Gastronomie.
Und dann ist da noch die Frage nach der sexualisierten Gewalt. Systematische Vergewaltigungen durch die Hamas? Da seien keine echten Belege und keine Zeuginnen zu finden, sagt die Studentin. Hingegen sei verbrieft, dass die israelische Armee „Gruppenvergewaltigungen an palästinensischen Frauen“ begangen habe. Wer eine solche Weltsicht hat, lässt sich von Fakten nicht irritieren.
Die Hamas soll „das Klassenbewusstsein stärken“
Ein paar Meter weiter steht ein junger Mann, nach eigener Angabe studiert er Physik. Auch er bleibt lieber anonym. Das Ziel der Hamas am 7. Oktober sei es nicht gewesen, Zivilisten zu töten, glaubt er. Sondern die Hamas habe Geiseln nehmen wollen, um einen „Gefangenenaustausch“ zu erreichen – ganz so, als hätten beide Seiten gleichermaßen Gefangene.
Ob die Hamas-Täter Terroristen sind? Unterm Strich ist ihm das „egal“. Es gehe darum, in Palästina einen „sozialistischen Staat zu schaffen“. Derzeit brauche es die Hamas, um „das Klassenbewusstsein zu stärken“.
In diesem Krieg wird so viel gelogen, dass ich bei jeder Seite skeptisch bin.
Gregor Thaler, 65, Besucher aus Bayern
Für diese Stärkung gibt es hier auch die passende Literatur. Zum Verkauf bereitliegt im Foyer ein Werk namens „Palästina: Ethnische Säuberung und Widerstand.“ Auf dem hinteren Buchumschlag wird die Frage der Fragen gestellt: „Ist die Hamas wirklich judenfeindlich?“
Aus Bayern angereist sind Klaus Uszkoreit, 77, und Gregor Thaler, 65. Beide sagen, sie würden verurteilen, was am 7. Oktober geschehen sei. Sie bezweifeln nicht, dass Zivilisten ermordet wurden. Mit dem Begriff „Terroristen“ will Uszkoreit aber „vorsichtig“ sein. Er hat seine Zweifel, ob die Hamas Israel vernichten will, und er findet: Auf den Kontext kommt es an, wenn es darum geht, die Geschehnisse des 7. Oktober zu beurteilen.
Thaler sagt, ihm fehle es an Sympathie für die Hamas. Aber wenn die Taten der Hamas sich nur gegen israelische Soldaten gerichtet hätten, hätte er dafür Verständnis gehabt. Dann nämlich, so erklärt er, wäre es das „volle Recht einer Befreiungsbewegung“ gewesen, aktiv zu werden. Bei der Frage, ob israelische Frauen vergewaltigt wurden, hat auch Thaler Zweifel. „In diesem Krieg wird so viel gelogen, dass ich bei jeder Seite skeptisch bin.“
Die Leugnung der Gräueltaten der Hamas ist hier gesellschaftsfähig. Und es gibt noch anderes, das unwidersprochen bleibt. An einem Stand wirbt der „Verband zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR“.
Andreas Reinicke (l.) und Jürgen Pfretzsner (r.) vertreten auf der Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz den „Verband zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR“.
© Foto: Karin Christmann
Mitglied Andreas Reinicke, 63, erklärt: Die Sache mit dem Schießbefehl an der Mauer müsse von zwei Seiten betrachtet werden, schließlich habe jedermann die Möglichkeit gehabt, einen Ausreiseantrag zu stellen. Die DDR habe sich schließlich auch schützen müssen. Und überhaupt: Die Grenztruppen hätten nur nach Vorwarnung geschossen und zuerst nur auf die Beine.
Für „Traditionspflege älterer Herren“ und „nachvollziehbar“ hält das die junge Gastro-Kraft, die morgens in der Einlass-Schlange stand und gerade in der Nähe unterwegs ist. Im Foyer steht auch Tobias Pflüger, Mitglied der Linkspartei und bis 2021 Bundestagsabgeordneter. Inhaltlich sei der NVA-Traditions-Stand eine „Katastrophe“, sagt er. Aber auch das würde hier nun einmal dazugehören, „das weiß man vorher“.
Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer der „Jungen Welt“ und somit Veranstalter der Konferenz, sagt: „Wir geben allen ein Forum, die uns unterstützen wollen.“ Es gehe darum, die ganze Bandbreite linker Positionen abzubilden.
Auf der Bühne werde niemand die Gelegenheit bekommen, zu leugnen, dass die Hamas Zivilisten ermordete. „Aber an den Ständen können alle ihre Position vertreten.“ Im Übrigen ist ihm wichtig: Sowohl die Hamas als auch Israel würden den Tod von Zivilisten in Kauf nehmen – Israel aber in sehr viel größerer Dimension.
Und so sind sich alle einig in einer Weltsicht, die ganz spezielle Bündnisse schafft. Morgens, zur Eröffnung der Konferenz, werden besondere Gäste begrüßt. Auch drei Botschafts-Gesandte sind gekommen. Sie vertreten Russland, China und Belarus. Das Publikum spendet freundlichen Applaus.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de