© stock.adobe/Arsenii Pläne für neue Arbeitszeitregeln: „Wozu braucht man ein Gesetz, das in weiten Teilen nicht eingehalten wird?“
Den Entwurf für ein neues Arbeitszeitgesetz hält Ökonom Holger Schäfer für enttäuschend – weil die eigentlichen Probleme gar nicht angegangen wurden. Ein Interview.
Großer Wurf oder nur die Regelung des Nötigsten: Was ist vom Entwurf von Minister Hubertus Heil für ein neues Arbeitszeitgesetz zu halten?
Interessanter ist vor allem, was nicht im Gesetzentwurf drinsteht. Eigentlich ist im Koalitionsvertrag avisiert, dass man zumindest im Rahmen von Experimentierräumen eine echte Flexibilisierung der Arbeitszeitregeln erproben will. Da geht es vor allem um die bisher sehr starren Regeln zur Höchstarbeitszeit pro Tag und zur Ruhezeit. Davon ist im Gesetzentwurf nichts zu finden. Ich frage mich: Wann soll das denn endlich kommen?
Warum wäre eine solche tiefgreifende Flexibilisierung wichtig?
Weil sich die Art und Weise, wie wir alle arbeiten, weiterentwickelt. Das derzeitige Gesetz behindert sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber daran, das zu ihrem Vorteil zu nutzen. Den typischen Nine-to-five-Job gibt es in weiten Teilen der Wirtschaft noch, aber in manchen eben nicht. Dort passt er nicht mehr zu der Art, wie gearbeitet wird.
Inwiefern?
Die Arbeitstage sind in der Realität viel stärker fragmentiert, als das Gesetz es hergibt. Da wird bis 15 Uhr gearbeitet, dann holt man die Kinder ab und verbringt Zeit mit ihnen, und abends setzt man sich noch mal an den Rechner. Dem sind aber im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeit von elf Stunden sehr starre Grenzen gesetzt, und das ist ein Hindernis. Ähnlich ist es bei der täglichen Höchstarbeitszeit: Mancher Arbeitnehmer würde gern an einem Tag auch mal mehr als zehn Stunden arbeiten, um dafür wann anders früh Feierabend machen zu können. Auch das ist laut Gesetz nicht möglich.
Wozu braucht man ein Gesetz, das in weiten Teilen nicht eingehalten wird?
Holger Schäfer, Wirtschaftswissenschaftler
Wie groß ist die Lücke zwischen gesetzlichen Regeln und ökonomischer Realität?
Das weiß niemand so genau. Aber man muss vermuten, dass viele Leute gegen das Arbeitszeitgesetz verstoßen, zum Beispiel auch in den Büros der Bundestagsabgeordneten. Da wird, wenn Sitzungswoche ist, sehr intensiv gearbeitet. Und zwar bestimmt oft ohne elf Stunden Ruhezeit zwischen den Arbeitstagen. Solche Verstöße sind in bestimmen Bereichen häufig anzutreffen. Wozu braucht man ein Gesetz, das in weiten Teilen nicht eingehalten wird, aber trotzdem immer als Damoklesschwert über Arbeitgebern und Arbeitnehmern hängt? Es wäre höchste Zeit, zu modernen Regeln zu kommen.
Da ist eine echte Chance vertan worden, und das ist enttäuschend.
Holger Schäfer über den Entwurf des Arbeitsministeriums
Vor allem die Gewerkschaften fürchten, dass eine Flexibilisierung Arbeitnehmern schaden und die Arbeit immer uferloser ins Privatleben greifen würde.
Ich glaube hingegen, dass eine solche Reform beiden Seiten nutzen würde. Der Wunsch nach Flexibilität geht nicht immer nur von Arbeitgebern aus. Arbeitnehmer möchten ihren Arbeitstag flexibel gestalten. Das zu ermöglichen, ist für Arbeitgeber angesichts des Fachkräftemangels zu einem wichtigen Instrument der Personalpolitik geworden.
Zurück zu dem, was im künftigen Gesetz tatsächlich geregelt werden soll. Ist damit zu rechnen, dass aufgrund des Gesetzes plötzlich Überstunden sichtbar werden, die bisher unbezahlt blieben – und sich so die Kräfteverhältnisse zwischen Unternehmen und Arbeitnehmern verschieben?
Bei den unbezahlten Überstunden ist nicht so sehr das Problem, dass die nicht sichtbar wären. Sondern es gibt eben auch ganz viele Verträge, die die Abgeltung von Überstunden nicht vorsehen. Ich habe selbst so einen Vertrag und finde gut, dass ich so eine Vereinbarung freiwillig treffen konnte. So geht es auch vielen anderen Arbeitnehmern. Das Thema unbezahlte Überstunden betrifft vor allem Höherqualifizierte. Das ist nicht so sehr ein Problem von Arbeitnehmern, die unter prekären Bedingungen arbeiten.
Aber auch unter den Höherqualifizierten gibt es viele Arbeitnehmer, die sich nicht rechtfertigen wollen, wenn sie nicht mehr als die vereinbarte Zeit arbeiten möchten.
Das müssen sie ja auch nicht. Es gilt, was vertraglich – also freiwillig von beiden Seiten – vereinbart wurde. In Zeiten des Fachkräftemangels sind Arbeitnehmer durchaus in der Lage, selbstbewusst ihre Interessen zu vertreten. Die Verschiebung des Kräfteverhältnisses ist längst eingetreten – auch ohne Gesetz.
Viel diskutiert ist, ob auch mit dem neuen Gesetz Vertrauensarbeitszeit möglich bleibt. Wie wichtig ist diese als Instrument für den Arbeitsmarkt?
Sie ist von Bedeutung, und zwar als Ausdruck von Flexibilität. Als Ausdruck dessen, dass ich als Betrieb in der Lage bin, meinem Arbeitnehmer einen gewissen Handlungsspielraum zu geben. eine gewisse Agilität. Selbst entscheiden zu können, wie viel und wann man arbeitet, um die vereinbarten Ziele zu erreichen, kann ein wichtiger Faktor für die Arbeitszufriedenheit sein.
Wie sehen Sie den Entwurf aus dem Arbeitsministerium insgesamt?
Da ist eine echte Chance vertan worden, und das ist enttäuschend.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de