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Pistorius verkleinert sein Ministerium: Übung für die große Reform
Boris Pistorius will sein Verteidigungsministerium verschlanken und fit machen für die „Zeitenwende“. Trotz Unmuts im Haus sehen darin nur wenige einen großen Wurf – der könnte aber im Frühjahr folgen.
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Kurze Wege, flache Hierarchien, klare Entscheidungsstrukturen – all das hat das Bundesministerium der Verteidigung nicht zu bieten. Hausherr Boris Pistorius, immerhin auch bald zehn Monate im Chefsessel, erzählt gern die Geschichte, dass manche Papiere bereits 17 Unterschriften trügen, bevor sie abschließend auf seinem Schreibtisch landen.
Jetzt steuert er gegen. „Mit dieser neuen Organisation wollen wir zu besseren, mutigeren und schnelleren Entscheidungen beitragen“, sagte Pistorius Ende vergangener Woche auf der Bundeswehrtagung in Berlin, wo er seine Pläne erstmals öffentlich erläuterte.
Es ist die zweite Reformetappe, die er in Angriff nimmt. Zum Auftakt im Frühjahr hatte er der Leitungsebene seines Hauses eine neue Struktur verpasst, einen Planungs- und Führungsstab mit Brigadegeneral Christian Freuding an der Spitze eingeführt. Der „gemeinsame Arbeitsmuskel aller Leitungsbüros“ sollte dafür sorgen, dass die Arbeit der Staatssekretäre, des Generalinspekteurs der Bundeswehr und des Ministers selbst „aus einem Guss“ sind – und sich zumindest nicht doppeln oder gar widersprechen. Im Haus heißt es, das habe sich bisher bewährt.
Über den Sommer haben der Chef und seine Leute begonnen, sich mit der Ebene darunter zu befassen. Die Nervosität im Ministerium vor Bekanntgabe der Pläne war schon deshalb viel größer als im Frühjahr, weil es jetzt um die Arbeitsebene geht. Zehn Abteilungen gibt es bisher unterhalb der politischen Leitungsebene, dazu noch 28 Unterabteilungen und ungefähr 170 Fachreferate.
Nun sind viele der gut 3000 Beamten und Soldaten betroffen, die an zwei Standorten Dienst tun – auf der Bonner Hardthöhe, wo das Ministerium formal immer noch seinen Hauptsitz hat, wie auch am „Dienstsitz“ in der Hauptstadt, der eigentlichen Zentrale in der Berliner Stauffenbergstraße.
Knapp zehn Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden bald nicht mehr für das Ministerium tätig sein. Es würden, so hieß es am Freitag in der zugehörigen Pressemitteilung, „mehr als 200 Dienstposten in den nachgeordneten Bereich der Bundeswehr verlagert“: Verbunden war das mit der Ansage, dass ihre Tätigkeiten „nicht-ministerielle, rein unterstützende Aufgaben“ oder „zu umfangreich“ vorhanden seien, sodass sie nun „abgeschichtet“ würden.
In der Politik kommt das Manöver von Boris „Putztorius“, wie ihn die „Bild“-Zeitung schon beim ersten Umbauplan nannte, gut an – erst recht bei Liberalen. Es kommt schließlich nicht alle Tage vor, dass ein Minister sein Haus verkleinern will. Dass Entscheidungen dort fallen, wo sie hingehören, nämlich nicht zwingend im Ministerium, sondern auch in der Bundeswehr selbst, wird von Marcus Faber begrüßt. „Der Minister verfolgt das Ziel: raus aus dem Büro und rein in die Truppe“, sagt der FDP-Verteidigungspolitiker: „Das ist der richtige Ansatz zur richtigen Zeit.“
Der Minister verfolgt das Ziel: raus aus dem Büro und rein in die Truppe. Das ist der richtige Ansatz zur richtigen Zeit.
Marcus Faber, FDP-Verteidigungsexperte
Seine Parteifreundin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, im Bundestag Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, hält den Personalabbau für überfällig, um das selbsternannte „Zeitenwendeministerium“ wieder handlungsfähig zu bekommen. „Alte Zöpfe, die im Laufe der Friedensdividende immer länger und komplexer geworden sind, gehören abgeschnitten“, so die FDP-Politikerin gegenüber dem Tagesspiegel: „Dieses Um-die-Ecke-entscheiden muss angesichts der schwierigen sicherheitspolitischen Lage ein Ende haben.“
Um die Ecke wird viel entschieden oder besser: nicht entschieden. Erst in diesem Herbst wurde bekannt, dass die für Fahrzeuge zuständige Abteilung nicht oder zu wenig mit der für Kommunikation gesprochen hatte – weshalb für 1,3 Milliarden Euro bestellte digitale Funksysteme nicht überall eingebaut werden können, wegen der notwendigen Anpassungen teurer werden und etwa zwei Jahre später als gedacht bei der Truppe ankommen. Das war peinlich für Pistorius, was ihn in seinem internen Umbaueifer noch bestärkt haben dürfte.
Hohe Energiekosten der Bundeswehr
Im Zuständigkeiten-Wirrwarr ging offenbar gerade auch unter, wie die Energiekosten der Bundeswehr dieses Jahr derart in die Höhe schnellen konnten. Statt der kalkulierten 740 Millionen Euro meldete das Ministerium dem Bundestag jetzt einen Bedarf von 1,4 Milliarden Euro. „Wie kann es bitte sein, dass diese Ausgaben vollkommen aus dem Ruder laufen?“, fragte der CDU-Abgeordnete Ingo Gädechens am Montag: „Und wenn das Parlament fragt, warum man sich um die bemerkenswerte Summe von 660 Millionen Euro in der Planung vertan hat, gibt es keine Antwort.“ Diese „Posse“ liefere Pistorius weitere Argumente für Reformen an die Hand.
Tabula rasa macht der Minister trotzdem nicht. Das gilt etwa für die Entscheidung, nur noch dann stellvertretende Abteilungsleiter zu berufen, wenn es inhaltlich, also durch einen eigenen Zuständigkeitsbereich, begründet ist. Wenn nun insgesamt „drei Unterabteilungen des Ministeriums aufgelöst“ werden, wie der Mitteilung zu entnehmen war, ist das kaum ein harter Einschnitt.
Der frühere Bundeswehrgeneral Hans-Lothar Domröse, der bis vor wenigen Jahren noch selbst im Ministerium ein und aus ging, hatte sich mehr erhofft. „Die jetzigen Reduzierungen sind leider kein großer Wurf“, lautet sein Urteil, „Es bleibt bei zehn Abteilungen, keine klare Führungsstruktur, mehr auf Kompromiss als auf schlanke, straffe Führung ausgerichtet.“ Immerhin signalisiere Pistorius überhaupt, dass er im eigenen Laden „auch reformfähig“ sei.
Ein wenig schneidet der Minister den Apparat auch auf sich selbst zu. Staatssekretär Nils Hilmer, seinem engsten Vertrauten, der Pistorius schon im Rathaus von Osnabrück wie auch in Niedersachsens Innenministerium zur Seite stand, wird die Zuständigkeit für die wichtige Politikabteilung zugeordnet. Der wird zudem die Unterabteilung Rüstungspolitik zugeschlagen – zu Lasten der Abteilung Ausrüstung, die künftig nur noch „Rüstung“ heißt.
Seine Position wird gestärkt: Generalmajor des Heeres Christian Freuding.
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Der Militär Christian Freuding, der für Pistorius bereits den Sonderstab zur Ukraine wie auch den Planungs- und Führungsstab des Hauses lenkt, wird ebenfalls weiter gestärkt. Aus der Abteilung Haushalt und Controlling wandert die Zuständigkeit für Letzteres zu ihm – sein Stab hat künftig das Team, das die Prozesse im Haus überwacht, unter sich. Auch das soll „Redundanzen abbauen“ und bisher „unklare Schnittstellen beseitigen“ helfen.
Was sich nach viel Klein-Klein anhören mag, geht dann doch ein Drittel aller Beschäftigten an. Vom verteidigungspolitischen Verschiebebahnhof werden laut Ankündigung „mehr als 1000 Dienstposten“ tangiert sein – es handele sich „um die größte Strukturänderung im BMVg seit 2012“. Das erklärt auch ein wenig besser die gemischten Gefühle im Haus, von denen zu hören ist.
Die meisten wissen selbst, dass das Ministerium zuweilen einem Moloch gleicht, der frischen Wind dringend nötig hat. Es kommt auch ganz gut an, dass Pistorius Schritt für Schritt vorgeht und nun in einem dritten die nachgelagerten Bundeswehrbehörden sowie die Truppenstruktur selbst auf den Prüfstand stellt. Bis zum Frühjahr sollen sein Vertrauter Hilmer und Generalinspekteur Carsten Breuer entsprechende Vorschläge unterbreiten „für strukturelle Veränderungen der Streitkräfte“.
Trotzdem sind gerade die Älteren mit zumeist höheren Dienstgraden, die schon „so viele Umstrukturierungen erlebt“ haben, wie einer von ihnen sagt, skeptisch. Wird dieses Mal der richtige Zuschnitt gefunden? Oder führt am Ende alles zu mehr Selbstbeschäftigung?
Das gespaltene Echo lässt sich auch aus der Mittelung der Personalvertretung herauslesen. Grundsätzlich hält es der Verband der Beamten und Beschäftigten der Bundeswehr (VBB) für „unerlässlich“, dass die Postenzahl im Ministerium „überschaubar“ verringert wird – schließlich habe es sich immer wieder „auf wundersame Weise vergrößert“. Kritik gibt es daran, dass vor allem IT- und Servicedienste in nachgelagerte Bereiche abgeschoben werden und damit „ausgerechnet die Mitarbeiter, die im BMVg zu den niedrigen Besoldungsgruppen gehören“. Dass gerade sie nun ihre Ministeriumszulage verlieren, hält der VBB „nicht für sozial ausgewogen“. Ein sozialer Kahlschlag sieht freilich anders aus – schließlich wird und kann niemandem gekündigt werden.
Unmut im eigenen Haus droht Pistorius auch wegen anderer Umbaudetails. Die Personalvertreter fragen, ob der Leiter der verkleinerten Abteilung Rüstung als „Hülle ohne Inhalt“ überhaupt noch sein im Nato-Rahmen wichtiges Zusatzamt des Nationalen Rüstungsdirektors angemessen ausfüllen kann. Und warum hole Pistorius, der offenbar mehr Zugriff auf seine Leute wolle, die für alle zivilen Beschäftigten Personalzuständigen aus St. Augustin bei Bonn nach Berlin, nicht aber jene, die das Militärpersonal betreuen. „Eine Begründung wird auf Nachfrage nicht genannt“, heißt es in der entsprechenden Verbandsmitteilung vom Freitag: „So schafft man kein Vertrauen.“
Der Umbau des Ministeriums beschränkt sich auf das Nötigste.
Hans-Peter Bartels, früherer Wehrbeauftragter der SPD
Für Hans-Peter Bartels, den früheren Wehrbeauftragten von der SPD, sind das Werkeln am Wasserkopf der Verwaltung und der Widerstand dagegen angesichts der Mammutaufgabe namens „Zeitenwende“ nicht so entscheidend. „Der Umbau des Ministeriums beschränkt sich auf das Nötigste“, sagt er dem Tagesspiegel: „Die eigentliche Neuigkeit ist doch, dass Pistorius sich nun über hinhaltenden Widerstand aus Teilen der Bundeswehrführung hinweggesetzt hat und endlich die überfällige Streitkräftereform in Angriff nimmt.“
Tatsächlich hat der Minister lange dem Argument vertraut, dass gerade in dieser Lage keine größeren Truppenumbauten gestemmt werden könnten – und vergangene Woche erst am Ende seiner Rede auf der Bundeswehrtagung seinen Sinneswandel hin zu den erwähnten „strukturellen Veränderungen der Streitkräfte“ verkündet. Er übt mit der kleinen Reform für die große.
Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, spricht beim Abschluss einer zweitägigen Bundeswehrtagung letzte Woche in Berlin.
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Die Bündnis- und Landesverteidigung soll laut der parallel vorgestellten verteidigungspolitischen Richtlinien „künftig strukturbestimmend“ für die Bundeswehr sein. Künftig könne man nicht mehr, so Bartels, „vor jedem Einsatz erst mühsam Verbände aus Heer, Sanitätsdienst oder Streitkräftebasis zusammenstellen, wie das in der Zeit ganz verschiedener Auslandseinsätze sinnvoll war: Jetzt braucht es integrierte Truppen, die ständig zusammen üben und im Notfall schnell verlegbar sind.”
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de