Innenministerin besucht Tunesien: Faeser zwischen Migrationspolitik und Wahlkampf

© dpa/Bernd von Jutrczenka Innenministerin besucht Tunesien: Faeser zwischen Migrationspolitik und Wahlkampf

Bundesinnenministerin Nancy Faeser will, dass Tunesien abgelehnte Asylbewerber zurücknimmt. Sie braucht einen Erfolg – für Deutschland, für die Ampel und für sich persönlich.

Von Daniel Friedrich Sturm

Er müsse jetzt doch mal der „bad cop“ sein, sagt der Bundespolizist. Er will einen Kontrapunkt setzen zur ausführlich vorgetragenen Leistungsbilanz, zu den Erfolgen, zu dem Lob. „Die Abfahrtzahlen sind deutlich gestiegen“, sagt er, „Tunesien war im Februar und März Abfahrtzentrum Nummer Eins.“

Abfahrt – damit beschreibt der Bundespolizist den Start von Migranten auf eine lebensgefährliche Tour, die Flucht per Boot über das Mittelmeer. Abfahrt – ab Tunesien, Küste.

Der Bundespolizist ist ein Gesprächspartner der Innenministerin. Nancy Faeser (SPD) ist nach Tunis zu kommen, um über ein Migrationsabkommen mit dem nordafrikanischen Land zu reden. Dafür will sie am Montag ihren Amtskollegen Kamil Fekih treffen, sogar den Staatspräsidenten Kais Saied. Fekih hatte sie schon am frühen Sonntagabend persönlich am Flughafen empfangen.

Es ist nicht die erste Reise einer deutschen Innenministerin, die das Ziel hat, die Flucht nach Europa, am Ende nach Deutschland, zu erschweren.

Bevor Faeser am Montag gemeinsam mit dem französischen Innenminister Gérald Darmanin Gespräche mit der tunesischen Regierung führen will, trifft sie die deutsche Bundespolizei. Deren Büro bietet einen Blick auf die Lagune von Tunis. Heftig schüttelt der Wind Palmenblätter durch. Der Golf von Tunis, das Mittelmeer ist nicht weit.

Warum die Bundespolizei in Tunesien arbeitet

Die Bundespolizei ist hier wegen des Mittelmeers, wegen der illegalen Migration über das Meer. Seit 2015 entsendet die Bundespolizei Beamte nach Tunesien. Sie bilden und statten ihre tunesischen Kollegen aus. „Wir machen die Polizei effizienter, nach rechtsstaatlichen Prinzipien“, sagt der Projektleiter. Auch der „Umgang mit Migranten“ wird gelehrt.

 126.000 Asylbewerber kamen von Januar bis Mai nach Deutschland. 

Deutschland kauft für die tunesische Polizei Notebooks, Schlauchboote, Geländefahrzeuge, baut schon mal einen kompletten Grenzposten. 420 Maßnahmen, lautet die Leistungsbilanz, 30 Millionen Euro deutsches Steuergeld. Verstärkte Kontrollen an der tunesischen Grenze zu Algerien? Deutschland ist dabei, hilft schon hier, illegale Fluchtwege abzuschneiden.  

Visa gegen Rücknahmen

Nancy Faeser hört sich das alles an. Doch die Innenministerin ist ja nicht gekommen, um eine Leistungsbilanz zu hören, sich auf die Schultern zu klopfen.

Faeser würde am liebsten schon heute ein Migrationsabkommen mit Tunesien schließen, das sagt: Wir, Deutschland, helfen Euch, erteilen Fachkräften schneller Visa – und Ihr, Tunesien, nehmt Eure von uns abgelehnten Asylbewerber zurück.

Wenn es mal so einfach wäre. Derzeit halten sich 1725 unmittelbar Ausreisepflichtige aus Tunesien in Deutschland auf. Obwohl immer wieder abgelehnte Asylbewerber nach Tunesien geflogen werden, steigt deren Zahl kontinuierlich. Der Grund: Über das Mittelmeer kommen immer mehr Asylbewerber, aus Tunesien, aber auch aus Subsahara-Ländern.

Das größere Bild: Zwischen Januar und Mai kamen rund 126.000 Asylbewerber nach Deutschland, viel mehr als im Vorjahreszeitraum; 2022 beantragten insgesamt etwa 218.000 Menschen Asyl in Deutschland. Außerdem leben gut eine Million Ukrainer in Deutschland.

All das verknappt den ohnehin mauen Wohnungsmarkt, macht gutwillige Bürgermeister ratlos, löst Ängste in der Bevölkerung aus. Dass die Ampel-Koalition gerade so schlecht dasteht und die AfD so gut – das beruht nicht nur auf Robert Habecks Heizungsgesetz.

Für Faeser war der jüngste Beschluss zur Asylreform ein Erfolg, „historisch“ nannte sie die Einigung. In der angespannten Lage wären einige Migrationsabkommen ein Punktsieg für sie. So könnte womöglich die von der Ampel im Koalitionsvertrag großspurig angekündigte „Rückführungsoffensive“ endlich starten.

Genau das aber setzt Gespräche, ja Einvernehmen mit, wie es diplomatisch heißt, „schwierigen Partnern“ voraus. Tunesien ist ein Paradebeispiel. Präsident Saied, der Faeser am Montag in seinem Palast im einstigen Karthago empfangen will, erst recht. Vom gut beleumdeten Verfassungsrechtler hat sich Saied zum Einpeitscher gegen Migranten entwickelt.

Tunesiens Präsident Kais Saied © Reuters/Johanna Geron/Pool

Saieds Worte wirken. Im Februar machte er „Horden illegaler Einwanderer“ für Gewalt und Verbrechen verantwortlich, zielte damit auf Subsahara-Migranten. Die Afrikanische Union sieht darin eine „rassistische Hassrede“.

Verbale Attacken als Fluchtgrund

Die Attacke Saieds, sagt der Bundespolizist im Gespräch mit Faeser, habe Subsahara-Afrikaner unter Druck gesetzt. „Schwarzafrikaner waren in den Straßen von Tunis nicht mehr zu sehen“, sagt er. Viele stachen sogleich in See. Auch deshalb gab es höhere „Abfahrtzahlen“. Im April und Mai, nachdem Saied verbal abgerüstet hatte, sanken die Zahlen wieder, „aber sie liegen noch immer über Vorjahresniveau“, sagt der Bundespolizist. „Das sehen wir ja, das macht uns Probleme“, sagt Faeser.

Allein auf die EU, die Tunis längst mit Geld lockt, um die Fluchtversuche per Boot einzudämmen, will sich Faeser nicht verlassen. Die Ministerin, seit eineinhalb Jahren im Amt, kann ein paar Erfolge gebrauchen – daheim, für die Ampel, aber auch ganz persönlich.

In Hessen ist Wahlkampf

Faeser steht schließlich im Wahlkampf, will Ministerpräsidentin in ihrer hessischen Heimat werden. Erst am Freitag ließ sich Faeser zur Spitzenkandidatin küren. Selbst in der Congresshalle zu Hanau waren die Fluchtrouten aus Tunesien präsent. Das Sterben im Mittelmeer müsse enden, sagte Faeser da.

Im Oktober wählt Hessen. Ein paar Erfolge in der Migrationspolitik täten Faeser für ihre Auftritte zwischen Kassel und Darmstadt gut. Formal macht Faeser also in Tunis deutsche Politik. Inoffiziell aber sucht sie an der Südküste des Mittelmeeres auch nach einem Baustein für ihren Landtagswahlkampf.

Wie schließlich soll sie ohne solche Erfolge in Hessen durchdringen? Bei nur 22 Prozent dümpelt die einst stolze hessische SPD in der jüngsten Umfrage, wie Insa für „Bild“ ermittelte. Die Sozialdemokraten liegen damit weit hinter der CDU von Ministerpräsident Boris Rhein, aber vor den schwächelnden Grünen.  

„Hessen vorn“, das alte Motto der Hessen-SPD, war immer auch Machtanspruch. Und nun? Rot-Grün liegt in weiter Ferne, eine Ampel mit der konservativen hessischen FDP erst recht. Momentan spricht wenig dafür, dass Nancy Faeser demnächst in der Staatskanzlei zu Wiesbaden regieren wird. Doch die politischen Zeiten sind dynamisch.

Noch hält sich Faeser mit Wahlkampf-Auftritten in Hessen zurück. Migrationspolitik First. Wahlkampf Second. Ob es zu Migrationsabkommen mit Tunesien, gar Marokko oder Ägypten kommen wird? Ein Erfolg, der bei etlichen Vorgängern ausblieb, das Image als Macherin, das käme Faeser im Wahlkampf-Endspurt gewiss gelegen.

Und wenn es am Ende nicht reicht, womöglich nur zu Schwarz-Rot? Dann bliebe Faeser wohl in Berlin, käme kaum zum Grübeln. Ein Migrationsabkommen erfordert Ausdauer, Kraft und wohl auch allerhand Zeit.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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