© dpa/Kay Nietfeld Friedrich Merz und der Spitzensteuersatz: Die CDU braucht den Mut zur Überraschung
Die CDU wäre gut beraten, eine Anhebung des Spitzensteuersatzes für Top-Verdiener zur Parteiposition zu machen. Friedrich Merz könnte so mit Klischees brechen.
Das Papier bietet durchaus Überraschungen. Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes – von der Merz-CDU hätten das wohl die wenigsten erwartet. Dem CDU-Vorsitzenden haftet schließlich noch immer das Image eines wirtschaftsfreundlichen Millionärs an, der mit dem Privatflugzeug nach Sylt fliegt und sich selbst als „gehobene Mittelschicht“ bezeichnet.
Doch das, was diese Woche an Vorschlägen aus der Fachkommission Wohlstand der CDU bekannt wurde, brach scheinbar mit diesem Klischee. Vorgeschlagen ist eine Entlastung der Mittelschicht: Der Spitzensteuersatz soll später greifen. Dazu käme eine komplette Abschaffung des Soli – dann könnte der Spitzensteuersatz für sehr hohe Einkommen angehoben werden.
Verantwortet hat das Papier Unionsfraktionsvize Jens Spahn, der die Kommission leitet. Es soll Eingang finden in das neue Grundsatzprogramm der CDU, das der Union 2025 den Weg ins Kanzleramt ebnen soll. Erfolg durch Erkennbarkeit. Bislang waren in der Ära Merz attraktive neue CDU-Positionen Mangelware.
Die Basis hofft auf CDU pur
Merz selbst hat sich zu den Spitzensteuer-Vorschlägen der Kommission noch nicht öffentlich geäußert – sie werden noch in mehreren Runden diskutiert werden. Und doch wäre die CDU gut beraten, das tatsächlich so zur Parteiposition zu machen.
Für Friedrich Merz ist die Arbeit am Grundsatzprogramm ein heikler Prozess. Einerseits soll sich die Basis darin wiederfinden. In Regionalkonferenzen und in Umfragen will die CDU erspüren, was ihre Mitglieder wollen. Die ticken in einigen Teilen des Landes konservativer als viele CDU-Wähler und hoffen jetzt auf ein Dokument, das „CDU pur“ ist.
Unterwegs Richtung Mitte
Merz hat aber gezeigt, dass er bereit ist, auch gegen den Willen der Basis zu handeln, wenn er glaubt, es nütze der Partei. Das zeigte sich bei der Einführung der parteiinternen Frauenquote. Merz stellte sich hinter das Projekt, obwohl es an der Basis und bei seinen Fans recht unbeliebt ist. Doch anders, das sah Merz, kann die CDU ihr Frauenproblem nicht lösen. Auch kürzlich bei einer Regionalkonferenz im Osten machte Merz der CDU-Basis dort einige unmissverständliche Ansagen, die ihm nicht gerade Jubelstürme einbrachten: Klimaschutz, Unterstützung der Ukraine und Abgrenzung zur AfD seien für ihn nicht verhandelbar, erklärte Merz.
Auch wenn ihm immer wieder unterstellt wird, er wolle die CDU konservativer machen, zeigte er in der Vergangenheit auch, dass er in der CDU alle mitnehmen will. Das bedeutet, sich weicher und mittiger zu positionieren. Das ist Merz in den vergangenen Monaten nicht immer gelungen – Stichwort „kleine Paschas“. Doch beim Thema Spitzensteuersatz würde sich die Gelegenheit bieten, sich Richtung Mitte zu orientieren.
Die CDU als Anwältin der Mittelschicht?
Das wäre auch strategisch klug. Wenn Merz die nächste Bundestagswahl gewinnen will, muss er die CDU wieder für breitere Wählerschichten attraktiv machen. Er kann nicht nur auf die Kernwähler der Union schauen. Das ist die andere Herausforderung beim Programmprozess.
Merz weiß das. Die Strategie seiner Partei ist klar: Die CDU will jetzt wieder zur Anwältin der Mittelschicht werden. Sie will sozialer wirken und eine Neuauflage des Slogans „Wohlstand für alle“ von Ludwig Erhard schaffen. Doch damit das glaubwürdig ist und die CDU für breite Teile der Mittelschicht wählbar ist, muss Merz sein Privatflugzeug-Image loswerden. Was wäre überraschender, als wenn Merz wirklich dafür plädiert, Top-Verdienern steuerlich mehr abzuverlangen, um auf der anderen Seite die Mittelschicht zu entlasten?
Weniger glaubwürdig wäre es, wenn die CDU nur für die Entlastung der Mittelschicht und eine komplette Abschaffung des Solis plädieren würde, aber keine Aussagen dazu trifft, wie das gegenfinanziert werden soll. Es wäre ein reines Luftschloss.
Und so wird für Merz und die CDU zum Programmprozess auch Mut gehören. Wenn die Union die Bundestagswahl gewinnen will, muss sie bereit sein, auch Positionen zu beziehen, die man ihr so nicht zugetraut hätte.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de