© imago/Future Image „Der Politbetrieb ist auf andere Religionen nicht eingestellt“: Wie ein Abgeordneter den Ramadan erlebt
Kassem Taher Saleh sitzt für die Grünen im Bundestag und ist viel im Wahlkreis unterwegs. Seit vier Wochen fastet der Politiker tagsüber. Wie ergeht es ihm dabei?
Der Durst setzt jeden Tag zuerst ein, spätestens am Nachmittag kommt dann auch der Hunger für Kassem Taher Saleh dazu. Für den Grünen-Abgeordneten eine Herausforderung, denn als Politiker verbringt er den Großteil seines Tages mit Reden. In Ausschüssen, bei Debatten im Bundestag, bei Gesprächen in seinem sächsischen Wahlkreis. „Ab 17 Uhr wird es manchmal schwierig mit der Konzentration“, sagt er.
Doch Taher Saleh isst und trinkt freiwillig seit Wochen nichts. Der 29-Jährige ist gläubiger Muslim und fastet seit Beginn des Ramadans am 22. März. Bis zum Zuckerfest an diesem Freitag darf er von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang keine Nahrung und noch nicht einmal Flüssigkeiten zu sich nehmen. „Ich mache das seit meiner Jugend. Mir ist es extrem wichtig, mich meiner Wurzeln zu vergegenwärtigen“, sagt Taher Saleh im Gespräch.
Als Zehnjähriger flieht er mit seiner kurdischen Familie aus dem Irak nach Plauen im Vogtland. Taher Saleh wächst im Flüchtlingsheim auf, in seiner Freizeit kickt er beim lokalen Fußballverein, integriert sich schnell. Seit 2019 sitzt der studierte Bauingenieur im Bundestag – und trotz des stressigen Alltags hält er sich auch hier an die Regeln des Ramadans.
In den ersten Tagen fällt das Fasten besonders schwer, sagt Kassem Taher Saleh. © imago images/Sven Ellger
„Die ersten Tage sind die schwierigsten.“ Sein Team versuche zwar, seinen Terminkalender etwas auszudünnen und gerade die Abendstunden freizuhalten, trotzdem sei es nicht immer leicht. Auf das Fasten will er aber nicht verzichten. Es sei eine der fünf Säulen im Islam und reinige seinen Körper. „Ich lebe ansonsten extrem deutsch“, sagt Taher Saleh.
In seinem Wahlkreis in Dresden, aber auch im Vogtland, das er für die im Osten strukturschwachen Grünen mit betreut, stoße das auf breite Akzeptanz: „Die Neugier ist relativ groß.“ Im Bundestag dagegen hat er häufig das Gefühl, dass seinen Gesprächspartnern das Thema etwas unangenehm ist. Ständig werde ihm etwas zu Trinken oder Essen angeboten, wenn er sich dann erkläre, sei das dem Gegenüber peinlich.
Ich wünsche mir, dass die Sichtbarkeit und Sensibilität für alle Religionen im Bundestag steigt.
Kassem Taher Saleh, Grünen-Abgeordneter im Bundestag.
Der Grünen-Politiker sieht dahinter ein strukturelles Problem: „Der politische Betrieb ist überhaupt nicht auf andere Religionen als das Christentum eingestellt“, beklagt er. So könnten doch in der Zeit des Ramadans Sitzungen und Termine in den Abendstunden reduziert werden oder parlamentarische Frühstücke entfallen, schlägt er vor. „Ich wünsche mir, dass die Sichtbarkeit und Sensibilität für alle Religionen im Bundestag steigt“, sagt Taher Saleh.
Tatsächlich sind Muslime jedoch im Bundestag stark unterrepräsentiert. Während es in Deutschland fast sechs Millionen Menschen gibt, die den Islam als Konfession angeben – knapp sieben Prozent der Gesamtbevölkerung – sind im Bundestag nur etwa ein Prozent der Abgeordneten muslimischen Glaubens. Taher Saleh stellt das vor Probleme. Wenn er am Donnerstagabend zu seiner Familie nach Plauen reist und mit ihr am Freitag in die Moschee geht und das Zuckerfest feiert, kann er sich bei der Bundestagsverwaltung für die Sitzung offiziell nicht entschuldigen.
Auf den Freitag freut sich Taher Saleh dennoch enorm. Nach einem Monat enden der tägliche Hunger und Durst und auch Sport will er dann wieder betreiben. Denn inzwischen kickt Kassem Taher Saleh nicht mehr in Plauen, sondern im Mittelfeld des FC Bundestag.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de