Der Mann hinter dem Bundesetat: Werner Gatzers letzter Haushalt?

© dpa/picture alliance/Maurizio Gambarini Der Mann hinter dem Bundesetat: Werner Gatzers letzter Haushalt?

Der mächtige Staatssekretär im Finanzministerium ist seit 18 Jahren im Amt. Seine Handschrift prägt die Haushaltspolitik. Geht er wegen des Ampel-Streits früher in Pension?

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Manche im politischen Berlin nehmen an, dass der Etat 2024 sein letzter Bundeshaushalt ist. Andere sind da weniger sicher. Klar ist eines: Auch Werner Gatzer nähert sich dem Pensionsalter. Der „ewige Staatssekretär“, seit 2005 fast durchgehend im Amt des für den Etat zuständigen Spitzenbeamten im Bundesfinanzministerium, wird im November 65 Jahre alt. Beamte des Jahrgangs 1958 dürfen mit 66 Jahren aufhören. Erwägt Gatzer, es früher zu tun?

Hört er möglicherweise sogar gerne früher auf? Eines vorab: Von einem schlechten Verhältnis oder gar einem Zerwürfnis zwischen Finanzminister Christian Lindner und Gatzer ist nirgendwo im politischen Berlin die Rede. Aber das Verfahren zur Aufstellung des Etats für 2024, das nun nach monatelangen Querelen am kommenden Mittwoch in einen Kabinettsentwurf münden soll, dürfte kaum nach dem Geschmack des Staatssekretärs gewesen sein.

Der wohl mächtigste Beamte innerhalb der Bundesregierung musste zuschauen, wie die Koalitionäre das wichtigste Gesetzgebungsverfahren zeitweise chaotisierten. Dabei versteht er es als seine große Leistung, diesem Verfahren in den 18 Jahren im Amt mehr Ordnung, mehr Solidität und mehr Berechenbarkeit gegeben zu haben.

Jovial mit nötiger Härte

Genau das schätzten auch seine Minister. Gatzer, ein nach außen jovialer Rheinländer mit trockenem Humor, ausgeprägtem Selbstbewusstsein und der nötigen Härte, wenn es sein muss, ist mit allen Ressortchefs gut ausgekommen. Weil er ihnen das Gefühl gab, in seinen Händen sei der Etat gut aufgehoben.

Ins Amt als Haushaltsstaatssekretär hievte ihn im Dezember 2005 Peer Steinbrück. Der (eher konservative) Sozialdemokrat Gatzer war zuvor Leiter des Planungsstabes im BMF unter Hans Eichel gewesen. Wolfgang Schäuble übernahm ihn 2009 als Haushaltsstaatssekretär, wohl auch, weil Gatzer einer der Konstrukteure der gerade erst eingeführten Schuldenbremse war.

Gatzer hält sie bis heute für gut und richtig, manche spötteln, sie sei sein „Baby“. Er war dann auch der Mann hinter Schäubles Trademark „Schwarze Null“. Was ihn nicht daran hindert, mit der Schuldenbremse pragmatisch umzugehen. Manche unken, der Miterfinder Gatzer wisse selbst am besten, wie man sie umgehen oder jedenfalls kreativ anwenden könne.

Konservative Haushälter

Als Olaf Scholz 2017 ins Finanzministerium kam, wurde Gatzer – niemanden wunderte es – ebenfalls weiterbeschäftigt. Der heutige Kanzler gilt ebenfalls als eher konservativer Haushälter. Dessen langjähriger Vertrauter Wolfgang Schmidt (mittlerweile Kanzleramtsminister) öffnete das „BMF“ allerdings für etwas progressivere Menschen und Ideen, etwa die Ökonomen Jakob von Weizsäcker als Abteilungsleiter für Grundsatzfragen oder Tom Krebs als „Gastprofessor“. Gatzer passte sich an, ohne sich zu verbiegen.

Nach dem Einzug von Lindner ins Ministerbüro zogen die progressiven Leute und ihre Ansichten wieder aus. Gatzer blieb, was Ende 2021 dann doch eine kleine Überraschung war. Denn der FDP-Chef hatte ein etwas anderes Amtsverständnis offenbart – keine verlängerte Werkbank des Kanzleramtes solle das Finanzministerium sein.

Bundesfinanzminister Christian Lindner und sein mächtiger Haushalts-Staatssekretär Werner Gatzer. © Kay Nietfeld/dpa

Warum aber übernimmt er dann ausgerechnet einen Sozialdemokraten auf dem wichtigsten Staatssekretärsposten? Zu hören war damals, dass dem unerfahrenen Lindner unter anderen von Scholz und Schäuble dazu geraten worden war.

Gatzers Erfahrung beim Aufstellen des wichtigsten Zahlenwerks der Nation ist immens. Sein Erfindungsreichtum (oder jedenfalls seine Bereitschaft, sich auf neue Wege einzulassen) ist es auch. Er ist derjenige, der einige umstrittene Haushaltsmanöver der Ampel entweder ersonnen oder gemanagt hat.

Das Übertragen von 60 Milliarden Euro an nicht genutzten Kreditermächtigungen in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) etwa, über einen schnell gestrickten Nachtragsetat für 2021, hat Gatzer vorige Woche bei der Verhandlung vor dem Verfassungsgericht selbst verteidigt. Die Union hatte Klage gegen diese Verschuldung auf Vorrat eingereicht, die von der Ampel mit der Begründung gerechtfertigt wurde, der Staat müsse über den KTF private Investitionen ersetzen, die in der Pandemie unterblieben seien.

„Abenteuerliche“ Aktion

Auch das Sondervermögen Bundeswehr – 100 Milliarden Euro in einem extra im Grundgesetz verankerten Nebenhaushalt – dürfte nicht ohne Gatzers Zutun entstanden sein, wobei Lindner hier die Rolle des Ideengebers reklamierte.

Die Befüllung des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) zur Finanzierung der Energiehilfen des Bundes über eine virtuelle Riesenanleihe von 146 Milliarden Euro im Eigenbestand des Bundes, quasi eine Verschuldung bei sich selbst, gehört im vorigen Herbst ebenfalls in den Verantwortungsbereich Gatzers. Der Verfassungsrechtler Hanno Kube nannte die Konstruktion im Tagesspiegel „abenteuerlich“.

Lindner wollte verhindern, dass die hohe Schuldenaufnahme im Etat 2023 landet – obwohl sie erst dann für die Zahlung der Hilfen gebraucht wird. Er wollte unbedingt die Schuldenbremse wieder einhalten. Die virtuelle Anleihe aber konnte dem Haushaltsjahr 2022 zugeschrieben werden.

Das turbulente Frühjahr

Dann kam das turbulente Frühjahr, das Gatzer keine Freude gemacht haben kann. Die Aufstellung des Etats für 2024 lief früh aus dem Ruder. Ob das nun daran lag, dass Lindner bestimmte FDP-Vorhaben vorab festklopfen wollte, oder daran, dass die Grünen im Februar in einem öffentlich gewordenen Brief von Vizekanzler Robert Habeck an Lindner verlangten, der FDP-Chef möge keine weiteren einseitigen Vorfestlegungen treffen – danach lief alles anders, als Gatzer es gewohnt war.

Ein Bild aus frühen Zeiten: Gatzer hinter dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble © dpa

Der Staatssekretär war immer stolz darauf, ein Aufstellungsverfahren eingeführt zu haben, in dem den Ressorts vorab das Volumen zugeteilt wurde, um nicht permanent über Details in den Einzeletats streiten zu müssen, sondern nur über die großen Summen. „Top-down-Verfahren“ hatte Gatzer das genannt, und er war es auch, der das Aufstellen von „Eckwerten“ im März damit verband. Damit ist der Etatrahmen gesetzt.

Wochenlange Desorientierung

FDP und Grüne wollten sich aber in diesem Frühjahr nicht mehr daran halten. Wochenlang herrschte Desorientierung. Erst als sich Kanzler Olaf Scholz im Mai einschaltete und faktisch das Eckwerteverfahren wieder etabliert wurde, ging es weiter. Ob Gatzer sich das noch einmal antun will? Immerhin hat dieses Frühjahr gezeigt, wie schnell selbst der mächtigste Spitzenbeamte an seine Grenzen gelangt, wenn die Politik unrund läuft.

Gatzers Ansatz war es immer, das Finanzministerium in der Rolle des Ressorts zu platzieren, das den anderen Ministerien Deckel auferlegt. Das war vor allem in den Überschussjahren nötig, als viel Geld in die Kassen des Bundes floss und der Ausgabehunger gedämpft werden musste – angesichts der Fülle aber auch konnte. In der „Groko“ war das Gatzer-Verfahren somit erfolgreich, das Einhalten der Schuldenbremse war unproblematisch, es konnte eine Rücklage gebildet werden, in der sich zuletzt fast 50 Milliarden Euro angesammelt hatten.

Die war Gatzer immer wichtig, denn jeder konservative Haushälter hat gern etwas in petto für schlechtere Zeiten. Doch die Rücklage ist schon wieder weg, die Ampel hat die Mittel großenteils zur Deckung des Etats 2023 verwendet, der Rest muss 2024 eingeplant werden. Gatzers Vorhaben, die Milliarden zeitlich länger nutzen zu können, ist geplatzt.

Der Ausgleich des Haushalts wird in den kommenden Jahren schwieriger werden. Und das in einer Koalition, die haushaltspolitisch uneinig ist. Die FDP will weder Steuern erhöhen noch mehr neue Schulden machen. Die Grünen wollen genau das Gegenteil. Die SPD steht irgendwo dazwischen. Ein guter Zeitpunkt, um als Etat-Sherpa aufzuhören?

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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