Debatte um Sachleistungen für Asylbewerber: Baden-Württemberg fordert bundesweit einheitliche Lösung

© dpa/Henning Kaiser Update Debatte um Sachleistungen für Asylbewerber: Baden-Württemberg fordert bundesweit einheitliche Lösung

Das baden-württembergische Justizministerium schlägt ein Modell zur Reduzierung von Geldleistungen für Asylbewerber vor. Ziel sei es, Anreize zur illegalen Migration zu verringern.

| Update:

In der Debatte um Sachleistungen statt Bargeld für Asylbewerber fordert das baden-württembergische Justizministerium ein bundesweites Modell zum Beispiel mit Guthaben- oder Chipkarten.

„Wir stehen im Austausch mit anderen Bundesländern über Möglichkeiten zur Reduzierung von Geldleistungen, etwa durch eine Chipkarte“, sagte Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU) am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Es sei wichtig, Fehlanreize für eine illegale Migration nach Deutschland abzubauen. „Das bedeutet unter anderem auch, Leistungen einzuschränken.“

Baden-Württemberg werde sich „an einem funktionierenden Modell“ beteiligen, sagte Lorek. „Hier darf es aber keinen Flickenteppich geben. Ein solches Kartenmodell sollte daher bundesweit zum Einsatz kommen.“

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr hatte die Debatte angestoßen und die Länder aufgefordert, bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz am 6. November den Weg für Prepaid-Bezahlkarten für Asylbewerber freizumachen.

„Die irreguläre Migration muss runter – dafür müssen Bargeldauszahlungen zügig gestoppt werden“, hatte Dürr der „Bild“-Zeitung gesagt. Wenn sich bis zum 6. November nichts tue, „müssen wir über Steuergelder vom Bund gar nicht erst sprechen“.

Berlins Regierender hält Sachleistungen für denkbar

Loreks Parteifreund, der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, fordert zudem, Ausreisepflichtigen frühestens nach drei Jahren einen Anspruch auf erweiterte Leistungen bei der Gesundheitsversorgung zu geben – bisher bekommen sie ihn nach eineinhalb Jahren. „Wir dürfen keine Anreize zur Bleibe geben, wenn kein Bleiberecht in Deutschland besteht“, sagte Merz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland zu seinem Vorstoß.

Auch der Staatssekretär zeigte sich überzeugt davon, dass solche sogenannten Analogleistungen nicht bereits nach achtzehn Monaten, sondern erst nach einem deutlich längeren Aufenthalt eingeräumt werden dürften. „Das muss auf Bundesebene neu geregelt werden“, sagte Lorek der dpa.

Angesichts des starken Zuzugs geflüchteter Menschen hält auch Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) eine Umstellung auf Sachleistungen bei deren Versorgung für denkbar – zumindest bei bestimmten Gruppen ohne Bleibeperspektive. Integrationssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) sieht das anders und plant auch keine Umstellung auf Bezahlkarten.

Städtetag warnt vor „hohem Verwaltungsaufwand“

Zuvor hatte der Städtetag vor hohem Aufwand für die Kommunen gewarnt. „Schon heute ist es rechtlich möglich, Sach- statt Geldleistungen an Asylbewerberinnen und Asylbewerber auszugeben. Dass das kaum eine Kommune so praktiziert, hängt mit dem hohen Verwaltungsaufwand zusammen“, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Verbands, Verena Göppert, den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Freitag.

Göppert sagte weiter, es wäre eine „riesige logistische Herausforderung für die Städte“, viele dezentrale Einrichtungen regelmäßig mit Lebensmitteln, Kleidung und anderen Artikeln des täglichen Bedarfs zu versorgen.

„Zwar ist eine Geldkarte oder Guthabenkarte, die aktuell in der Diskussion ist, im Vergleich zu den Sachleistungen einfacher zu handhaben, aber auch eine Kartenlösung wäre nicht ohne zusätzlichen Aufwand für die Städte machbar“, erläuterte Göppert.

Es werde immer wieder einzelne Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz geben, die nicht über solche Karten abgewickelt werden könnten. „Dafür müssten dann doch wieder jeweils Einzelfallbewilligung mit Geldleistungen organisiert werden“, sagte Göppert.

Habeck will Kommunen unterstützen

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte dem „Spiegel“, die Bundesregierung müsse der Realität angemessen auf das Thema Migration reagieren. „Wenn jetzt immer von Belastungsgrenze gesprochen wird, muss man entlasten. Die Kommunen unterstützen. Sicher finanziell, aber nicht nur.“ Bürgermeister erzählten ihm, dass sie kaum noch wüssten, wie sie Flüchtlinge unterbringen sollten.

„Um die Ausländerbehörden zu entlasten, werden wir deshalb zum Beispiel die Aufenthaltserlaubnisse für Ukrainer pauschal verlängern, sobald das EU-rechtlich geht. Und die Flüchtlinge, die jetzt schon hier sind, sollten schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden“, sagte der Grünen-Politiker.

Auch die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, mahnte einen beschleunigten Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete an.

Wir sollten allen Geflüchteten niedrigschwellig und unkompliziert Integration ermögliche.

Reem Alabali-Radovan, Migrationsbeauftragte der Bundesregierung

„Wir sollten allen Geflüchteten niedrigschwellig und unkompliziert Integration ermöglichen“, sagte die SPD-Politikerin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Dazu gehört die Abschaffung von Arbeitsverboten und der schnelle Zugang zum Integrationskurs.“

Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts kritisiert geltendes Asylrecht

Nach Einschätzung des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, wird das geltende Asylrecht den aktuellen Herausforderungen nicht gerecht.

Papier forderte ebenfalls in den Funke-Zeitungen mit Blick auf die geplante europäische Asylreform, dass das Recht, einen Asylantrag stellen zu dürfen, „nicht länger zweckentfremdet werden kann als Türöffner und Rechtfertigung einer an sich illegalen Einwanderung“.

Die Durchführung der aufwendigen Asylverfahren auch für die vielen Menschen, die offenkundig kein Recht auf Asyl und internationalen Schutz hätten, „war und ist dysfunktional und objektiv Rechtsmissbrauch“, sagte er.

Ob ein Schutzanspruch überhaupt in Betracht kommen kann, sollte nach Meinung Papiers bereits vor der Einreise in die EU und vor dem Grenzübertritt entschieden werden. (dpa)

  • Flüchtlinge
  • Migration

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de