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Frankreich macht bei der Initiative vom Kanzler für einen europäischen Raketenabwehrschirm nicht mit. Bei einer Konferenz am Montag in Paris soll es auch um Alternativen gehen.
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Finden Deutschland und Frankreich doch noch zusammen, wenn es um eine gemeinsame strategische Antwort auf den russischen Angriffskrieg geht? Diesem Ziel dient jedenfalls eine internationale Konferenz zur europäischen Luftverteidigung, zu der Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für diesen Montag nach Paris eingeladen hat. Neben Frankreich und Deutschland wird ein Großteil der Nato-Staaten bei dem Treffen vertreten sein.
Dass Deutschland und Frankreich in der Frage der europäischen Luftverteidigung nicht auf einer Linie sind, zeigt sich schon daran, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei der Konferenz in Paris nicht dabei sein wird. Stattdessen lässt sich Pistorius durch einen Staatssekretär vertreten.
Für viele Beobachter war es überraschend, als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Rede an der Karls-Universität in Prag im August des vergangenen Jahres die europäische „Sky Shield“-Initiative ankündigte. Im Falle eines russischen Angriffs auf europäisches Territoriums soll der „Sky Shield“ in der Lage sein, ballistische Raketen abzufangen.
17 weitere europäische Staaten haben sich inzwischen der Initiative für den Raketenabwehrschirm angeschlossen. Zudem gab der Haushaltsausschuss des Bundestages in der vergangenen Woche die ersten Gelder zum Kauf des weitreichenden israelischen Luftabwehrsystems Arrow 3 frei, das zu einem wesentlichen Bestandteil des „Sky Shield“-Plans werden soll.
Scholz‘ „Sky Shield“-Vorstoß
Was sich zunächst nach einer Erfolgsmeldung anhört, wirft allerdings bei genauerem Hinsehen einige Fragen auf. Frankreich ist als wichtiger Nato-Staat nicht bei Scholz‘ „Sky Shield“-Vorstoß dabei. Der geplante Raketenabwehrschirm habe „gewisse Grenzen“, heißt es aus dem Verteidigungsministerium in Paris zur Begründung. Die Beschlüsse eines EU-Gipfels auf Schloss Versailles vor einem Jahr seien so aktuell wie nie zuvor, heißt es weiter.
17europäische Staaten haben sich Scholz’ „Sky Shield“-Initiative inzwischen angeschlossen.
Der Gipfel hatte sich damals für die Stärkung „europäischer Kapazitäten“ im Verteidigungsbereich ausgesprochen. Doch dazu passt das israelische Arrow 3-System nicht so recht.
Außerdem ist auch keineswegs sicher, dass sich das Arrow-3-System tatsächlich in die Nato-Luftverteidigung integrieren lässt. Experten sehen die Gefahr einer Insel-Lösung, die dem westlichen Verteidigungsbündnis am Ende nicht weiterhilft.
Während das Kanzleramt in Berlin Scholz‘ „Sky Shield“-Pläne vorantreibt, hat Macron andere Vorstellungen. Die strategischen Einwände aus Paris fasst Lydia Wachs von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin folgendermaßen zusammen: Nach der Ansicht der französischen Regierung könne die Beschaffung des Arrow-Waffensystems das Signal an Russland senden, „dass Deutschland nicht auf die Abschreckung der Nato vertraut“. „Dies könnte aus französischer Perspektive Moskau dazu provozieren, die Entschlossenheit und Verteidigungsfähigkeit der Nato auszutesten“, so Wachs.
Nicht nur Schilde, sondern auch Schwerter – so lautet die Formel in Paris
Zudem macht Macron geltend, dass für Europa im Fall eines russischen Angriffskrieges ein bloßer Raketenschutzschirm nicht ausreichend sein könnte. Europa müsse nicht nur Schilde, sondern auch Schwerter zur Verfügung haben, lautet die eingängige Formel in Paris. Frankreichs „Force de Frappe“, die Atomstreitmacht der französischen Streitkräfte, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Aber auch die gemeinsame Entwicklung europäischer Angriffswaffen könnte bei dem internationalen Treffen an diesem Montag in Paris erörtert werden.
Die Nationale Sicherheitsstrategie, die Bundeskanzler Olaf Scholz vorstellte, sieht auch die verstärkte Entwicklung von abstandsfähigen Präzisionswaffen vor. © IMAGO/Jürgen Heinrich/IMAGO/Jürgen Heinrich
Auch wenn die Bundeswehr über Angriffswaffen wie den Marschflugkörper vom Typ „Taurus“ verfügt, so war die großflächige Entwicklung von Angriffswaffen für Deutschland lange Zeit ein Tabu. Das könnte sich nun aber mit der Nationalen Sicherheitsstrategie ändern, welche die Bundesregierung in der vergangenen Woche verabschiedete.
Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen Paris und Berlin bei der Konferenz gelöst werden.
Lydia Wachs von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin
Laut der Nationalen Sicherheitsstrategie geht die „größte Bedrohung“ auf absehbare Zeit von Russland aus. Darüber hinaus wird in der Strategie auch festgehalten: „Die Bundesregierung wird die Entwicklung und Einführung von Zukunftsfähigkeiten wie abstandsfähige Präzisionswaffen befördern.“
Frankreichs Beitritt wäre „ein wichtiger Beitrag“
Nach der Ansicht des Grünen-Bundestagsabgeordneten Philip Krämer wäre bei Abstandswaffen wie dem „Taurus“-System ein europäisches Pooling – also eine Zusammenlegung der Ressourcen – begrüßenswert. Allerdings sei aufgrund des russischen Terrors gegen zivile Ziele der Ausbau der Luftverteidigung eher zu befürworten, sagte Krämer dem Tagesspiegel weiter.
Scholz‘ „Sky Shield“-Initiative habe den Vorteil, dass sie kleineren Nationen Beschaffungen ermögliche und die Kosten reduziere. Frankreichs Beitritt zum geplanten Raketenabwehrschirm „wäre ein wichtiger Beitrag zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik, der allen Staaten mehr Sicherheit bringt“, so Krämer.
Deutschland hat der Ukraine das Flugabwehrsystem Iris-T SLM übergeben. © Foto: dpa/Wolfgang Kumm
Ähnlich sieht das auch der verteidigungspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Florian Hahn. Deutschland sei „mit Führungsanspruch und der richtigen Initiative“ zum „Sky Shield“-System vorangegangen, sagte er. Dies gelte auch für den Beschaffungs-Beschluss für das israelische System Arrow 3 sowie das deutsche Flugabwehrsystem Iris-T SLM, das im Nahbereich wirkt.
Nach den Worten von Hahn müsse Scholz nun dafür sorgen, dass es bei den 17 europäischen Partnerländern, die sich dem Raketenabwehrschirm anschließen wollen, „nicht bei Lippenbekenntnissen bleibt“. Eine europäische Luftverteidigung sei nur gemeinsam zu bewältigen und müsse auf mehrere Schultern verteilt werden, sagte er. Außerdem erwarte er von Scholz, dass er Frankreich zu überzeugen versucht, seiner Initiative ebenfalls beizutreten, sagte der CSU-Politiker weiter.
Experten sind allerdings skeptisch, ob die deutsch-französischen Differenzen über die richtige strategische Antwort angesichts der Bedrohung aus Russland ausgeräumt werden können. „Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen Paris und Berlin bei der Konferenz gelöst werden“, sagt die SWP-Expertin Wachs mit Blick auf das aktuelle Treffen in der französischen Hauptstadt.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de