Amanal Petros läuft deutschen Rekord: Die Vier nach der Null steht
© REUTERS/LISI NIESNER Amanal Petros läuft deutschen Rekord: Die Vier nach der Null steht
Amanal Petros läuft beim Berlin-Marathon deutschen Rekord. Nun will er erst richtig angreifen. Seine Willensstärke könnte in neue Top-Zeiten münden.
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Der Schmerz war ihm zweifellos anzusehen. Die Freude aber auch. Kurz vor dem Ziel bekreuzigte sich Amanal Petros, ehe er die Arme nach außen streckte und schrie. Auf der Anzeigetafel stand: 2:04:58 Stunden. Die Vier nach der Null war ihm wichtig gewesen. Mindestens genauso wichtig wie der neue deutsche Rekord im Marathon, zumal er ihn höchstselbst in einer Zeit von 2:06:27 Stunden innehielt.
Petros war auch ein bisschen unter Zugzwang. In den Tagen vor dem Berlin-Marathon am Sonntag hatte er ausgesprochen selbstbewusst große Taten angekündigt. „Ich will auf jeden Fall Bestzeit laufen“, sagte er. Er habe so lange wie noch nie, vier Monate, in Kenia trainiert. Auf einer Höhe von 2400 Metern lebte er in einer Trainingsgruppe mit 35 Athleten. „Ich habe auf so vieles verzichtet, ich bin froh, dass ich das Trainingslager geschafft habe“, sagte er. Anschließend machte er Werbung. Er zeigte seine Laufschuhe und behauptete, dass dies die schnellsten Schuhe der Welt seien. Den Sponsor wird es gefreut haben.
Die Frage schien also nur zu sein, um wie viele Minuten er den deutschen Rekord unterbieten würde. Zumal auch Renndirektor Mark Milde von nahezu perfekten Bedingungen sprach. Ein deutscher Rekord würde beim Berlin-Marathon noch fehlen, bemerkte Milde. „Aber ich will jetzt keinen Druck aufbauen.“ Das brauchte er gar nicht, weil das Petros schon von sich aus schon getan hatte. Die Erwartungen waren also groß – und Petros erfüllte sie.
Wer den Karriereverlauf von Amanal Petros in den vergangenen Jahren verfolgt hat, der konnte durchaus seine Zweifel an den Ankündigungen haben. Schon manches Mal hatte Petros sehr ambitionierte Ziele ausgegeben, die er nicht ganz erfüllen konnte. Die Konstanz ist ein Thema bei dem besten Marathonläufer, der bislang für Deutschland gelaufen ist.
Am Sonntag aber lief der 28-Jährige konstant schnelle Kilometerzeiten. Nach ungefähr der Hälfte der Distanz teilte sein Trainer Tono Kirschbaum dem Sender „Eurosport“ schon mit, dass alles, „sehr, sehr gut aussehe“. Vermutlich wusste Kirschbaum da schon, dass Petros locker seine eigene Bestzeit unterbieten würde. Lediglich auf den letzten Kilometern wich die Leichtigkeit aus seinem Körper; Petros musste kämpfen und verlor Sekunden, aber am Ende, da blieb die Uhr bei der Vier nach der Null stehen.
Nun mag Petros Probleme mit der Konstanz haben, die Tendenz zeigt bei ihm aber in die richtige Richtung. Vor ambitionierten Zielen schreckt er weiterhin nicht zurück. Eine Medaille bei den Olympischen Spielen in Paris? Für Petros selbst durchaus im Bereich des Möglichen.
Und warum auch nicht? Petros ist ein willensstarker Mensch. Vermutlich lässt sich diese Charakterstärke mit seiner finsteren Biografie erklären. Petros wuchs im Südosten Eritreas auf und war gerade mal zwei Jahre alt, als sein Vater starb. Seine Mutter flüchtete mit ihm und seiner Schwester nach Äthiopien. Sie landeten im nächsten Krisengebiet, im Grenzgebiet Tigray, wo die Lage seit November 2020 eskaliert.
Petros flüchtete Ende 2011 als Sechzehnjähriger nach Deutschland. Seiner Mutter sagte er nichts. „Sie hätte mich nicht fortgelassen“, sagte er dem Tagesspiegel. „Ich bin einfach verschwunden.“ Petros verschwand, um in einem neuen Leben aufzutauchen. In Deutschland ergriff er seine Chance; strebsam meisterte er seine Aufgaben, schaffte den Einbürgerungstest locker, lernte die Sprache schnell und absolvierte – nur wenige Jahre im Land – den Realschulabschluss.
Vor allem aber lief er seinen Gegnern davon. Seine ersten Wettkämpfe, Volksläufe rund um Bielefeld, gewann er allesamt. Bei seiner ersten deutschen Jugendmeisterschaft 2013, also nur wenige Monate, nachdem er sich zum ersten Mal als Läufer versucht hatte, wurde er Vizemeister über 5000 Meter. Allen Beobachtern der deutschen Leichtathletik war nach diesem Lauf klar, dass Petros das Potenzial für die ganz großen Zeiten hat.
Die großen Zeiten sind gekommen, Petros hält den deutschen Rekord im Halbmarathon (60:09 Minuten) und seit Sonntag im Marathon mit einer Vier nach der Null. Vieles spricht dafür, dass er die Drei nach der Null sehr bald schon angreifen wird.
- Berlin-Marathon
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de