Zu Besuch bei Scholz und Steinmeier: Wie wird Deutschland Erdogan begegnen?

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Zu Besuch bei Scholz und Steinmeier: Wie wird Deutschland Erdogan begegnen?

© dpa/Turkish Presidency

Zu Besuch bei Scholz und Steinmeier: Wie wird Deutschland Erdogan begegnen?

Der türkische Präsident Erdogan kommt Freitag nach Berlin. Nicht nur wegen seiner verbalen Attacken auf Israel steht der Gast in der Kritik. Drei Experten geben ihre Einschätzung zu dem Besuch.

Kurz vor seiner Deutschlandreise hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Israel erneut scharf verbal angegriffen: „Israel verfolgt eine Strategie zur gesamten Vernichtung von einer Stadt und ihren Menschen, indem es absichtlich auf Schulen, Moscheen, Kirchen, Krankenhäuser, Märkte, Gebäude und Straßen zielt“, sagte er am Mittwoch in Ankara. Nicht nur diese politische Haltung zum Gaza-Krieg hat im Vorfeld von Erdogans Besuch zu heftiger Kritik in Deutschland geführt und zu Forderungen, Erdogan auszuladen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte Erdogan bereits im Mai eingeladen, nach dessen Wiederwahl als Präsident. Der türkische Staatschef trifft neben Scholz auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Was ist von Erdogans Besuch zu erwarten? Welche Rolle sollte Deutschland angesichts der Differenzen mit Erdogan einnehmen? Drei Expert:innen schätzen die Lage ein. Alle Teile des Formats „3auf1“ finden Sie hier.

Auch mit unbequemen Partnern austauschen

Ich hoffe in aller Klarheit. Die Äußerungen von Erdogan zum Krieg in Israel sind für uns völlig inakzeptabel, das müssen wir ihm deutlich machen. Allein als Nato-Mitglied ist die Türkei eine enge Verbündete des Westens, von der wir dann auch klar erwarten, die Hetze gegen die eigenen Verbündeten einzustellen.

Die Alternative für die Türkei wäre, aus diesem Bündnis auszusteigen, da beides auf einmal (Mitgliedschaft und Hetze) nicht geht und eine Doppelmoral offenbart.

Es ist aber auch wichtig, dass wir die Türkei zurück ins rechtsstaatliche Boot holen. Die Türkei – auch unter Erdogan – war in Sachen Demokratie schon mal weiter. Sie muss da wieder hin, gerne auch mit unserer Unterstützung.

Die Türkei ist geostrategisch ein wichtiger Akteur, der uns nicht egal sein kann. Auch nicht wegen der rund drei Millionen Menschen in Deutschland, die ihre Wurzeln in diesem Land haben. Deshalb muss auch für diesen Besuch gelten: Klartext reden und mit den Möglichkeiten und dem Einfluss, den wir haben, versuchen, die Türkei auf unsere Seite zu ziehen.

Auch wenn ich den Impuls einiger Politiker-Kollegen verstehen kann, Erdogan jetzt lieber auszuladen: Zur Realpolitik gehört eben auch, dass wir uns unsere Partner nicht immer aussuchen können. Das heißt: sich auch in unbequemen Zeiten mit unbequemen Gesprächspartnern auszutauschen.

Dialog mit Haltung ist angesagt

Die Aufregung anlässlich des Besuchs von Präsident Erdogan ist nachvollziehbar. Der Präsident nennt die Vergewaltiger und Mörder von Hamas „Befreiungskämpfer“, der Chef seiner Religionsbehörde schimpft über das Judentum, absurde Boykotte westlicher Waren machen sich breit.

Weil diese Kampagne Wellen schlägt und die Communitys in Deutschland, auch über den türkischen Islamverband DITIB, aufstachelt, gefährdet sie unsere Sicherheitsinteressen und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Hinzu kommen der jahrzehntelange Demokratieabbau in der Türkei, von der Medienunterdrückung bis zu den politischen Gefangenen. Hier bringen Ausladungen wenig. Wir brauchen Dialog mit Haltung. Unsere Partnerschaft ist und bleibt ein Fakt. Geografisch wie gesellschaftlich sind wir miteinander fest verbunden.

Aber Verwobenheit bedeutet keine Blindheit und keine Servilität. Es ist keine Kardinalsbeleidigung, wenn wir mit dem türkischen Präsidenten reinen Tisch machen. Die Türkei schimpft immer wieder über Deutschland und Europa, häufig ohne Grund. Wir haben genug Gründe, über die jetzige Regierung in Ankara zu schimpfen.

Scholz muss klar die roten Linien aufzeigen, auch bezüglich der Aktivitäten in Deutschland, insbesondere denen der DITIB-Gemeinden.

Die EU ist auf die Türkei angewiesen

Kanzler Scholz wird es schwer haben: Seit dem letzten Berlin-Besuch von Präsident Erdogan vor fünf Jahren hat sich das Verhältnis zur Türkei deutlich verschlechtert. Die Ampel kritisiert Erdogans autoritären Kurs, es kriselt bei der Nato-Zusammenarbeit – und nun macht der Nahostkonflikt alles noch schwerer. Denn Erdogans Verharmlosung der Terrortaten der Hamas und Vorwürfe an Israel zwingen Scholz, den seit Mai geplanten Besuch für ein klärendes Gespräch zu nutzen. 

Ob das Thema Migration dabei untergeht, ist unklar. Fakt ist, dass die EU auf die Türkei angewiesen ist. Für Deutschland ist die Türkei das wichtigste Herkunfts- und Transitland, denn von dort reisen die drei Hauptgruppen von Asylsuchenden an – Syrer, Afghanen und Türken.

Auf dem Spiel steht die Zukunft des EU-Türkei-Deals. Deutschland hofft auf Fortschritte durch eine Wiederbelebung oder Neuauflage. Die Regierung verspricht dieser Tage eine Senkung der Ankunftszahlen mit allen Möglichkeiten. Ohne die Türkei geht das kaum.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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