„Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“: Enteignungsdemo im Grunewald, Buhrufe für Wegner und eine Überraschung für die Berliner Polizei
© dpa/Lukas Dubro Update „Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“: Enteignungsdemo im Grunewald, Buhrufe für Wegner und eine Überraschung für die Berliner Polizei
Von den Gewerkschaften bis zu den Autonomen: Auch politisch ist der Tag der Arbeit in Berlin weit gefächert. Mit dabei: ein Pappmachébagger und klare Worte.
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Die Demonstrationen und Feierlichkeiten am 1. Mai sind nach Angaben der Polizei bis zum frühen Montagabend weitgehend friedlich verlaufen. Bei der queer-feministischen Demo in der Walpurgisnacht in Kreuzberg seien zuvor jedoch mehrere Polizisten und ein Journalist attackiert worden.
Festnahmen in der Walpurgisnacht
Nach Angaben der Polizei wurden Beamte mit Regenschirmen angegriffen, mit Flaschen beworfen und getreten. Mehrfach stoppte die Polizei die Demonstration auf dem Weg vom Mariannenplatz Richtung Schlesisches Tor und forderte zu Friedfertigkeit auf. Im Aufruf zu der Demonstration waren alle Teilnehmerinnen gebeten worden, Schirme mitzubringen. Polizisten nahmen ihnen die Schirme zum Teil ab, da sie sie als Sichtschutz verwendeten.
Wie die Polizei am Montagnachmittag mitteilte, wurden insgesamt neun Männer und vier Frauen in der Walpurgisnacht festgenommen. Elf Polizeikräfte seien verletzt worden, eine sei nach ambulanter Behandlung vom Dienst abgetreten.
20 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet, unter anderem wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte. 3300 Polizisten aus Berlin und anderen Bundesländern sowie von der Bundespolizei waren an dem Abend im Einsatz.
12.000 bei Autonomen-Demo, vorzeitiges Ende an der Kotti-Wache
Mit Spannung wurde die traditionelle 18-Uhr-Demonstration am 1. Mai erwartet. 12.000 Teilnehmende zogen von Neukölln nach Kreuzberg. Wenig später war dann schon Schluss: Nachdem die Spitze die symbolträchtige, erst im Februar eröffnete Kiezwache der Polizei, die Kotti-Wache, erreicht hatte, erklärten die Veranstalter die Demonstration vorzeitig für beendet – um 19.51 Uhr.
Das war natürlich überraschend auch für uns.
Ein Polizeisprecher zum vorzeitigen Ende der „Revolutionären 1.-Mai-Demo“
Das hatte auch die Polizei nicht erwartet. „Das war natürlich überraschend auch für uns“, sagte ein Polizeisprecher dem Tagesspiegel. Ursprünglich sei an dieser Stelle lediglich eine Zwischenkundgebung auf dem Weg zum Oranienplatz vorgesehen gewesen. Doch nun würden die tausenden Teilnehmenden mit Lautsprecherdurchsagen in mehrere Richtungen abgeleitet.
Vor allem zwischen U-Bahnhof Kottbusser Tor und der Kotti-Wache im Neuen Kottbusser Zentrum kam es zu hektischen Szenen. Zum einen ging es nicht weiter, während aus Richtung des Kottbusser Damms noch viele Menschen nachdrückten. Zum anderen lösten Böllerwürfe vereinzelt Panik aus. In der Enge kam es offenbar auch zu Verletzten, ein Rettungswagen war im Einsatz. Es gab vereinzelte Festnahmen. Nach einer Weile beruhigte sich die Lage jedoch.
© dpa/Kay Nietfeld
Der Polizeisprecher bezeichnete die Stimmung unter den “ehemaligen Teilnehmenden” als “deutlich friedlich” bis “entspannt”. Im Verlauf der Demonstration seien zwar vereinzelt Pyrotechnik gezündet und sogar eine Stinkbombe geworfen worden. Größere Übergriffe habe es jedoch nicht gegeben. Die Polizei sei jedoch auch auf die Nacht vorbereitet. “Wir rechnen damit, dass kleinere Gruppen die Dunkelheit nutzen könnten, um Straftaten zu begehen”, sagte der Sprecher.
Feuerwehr unter Polizeischutz
Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatten kurz vor Beginn der Demonstration Feuerwehr und Polizei einen friedlichen Einsatz gewünscht. „Wir wünschen unseren Einsatzkräften alles Gute für die Nacht und wir hoffen auf einen friedlichen 1. Mai“, sagte Wegner bei einem gemeinsamen Besuch mit Spranger bei der Feuerwehr in Neukölln.
„Zur Zeit ist alles ruhig“, sagte Spranger. „Und wir hoffen sehr, dass wir das heute Abend dann auch noch berichten können.“ Laut Spranger wird die Feuerwehr, die in der Berliner Silvesternacht bei Ausschreitungen attackiert worden war, bei Einsätzen rund um die Demonstration von der Polizei geschützt.
Rund 6000 Teilnehmer bei DGB-Kundgebung
Der 1. Mai startete am Montagvormittag traditionell mit der Demo des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), die in diesem Jahr unter dem Motto „Ungebrochen solidarisch“ stand. Vom Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain zogen mehr als 6000 Demonstrant:innen zur Kundgebung vor dem Roten Rathaus.
Das Wetter spielte mit: 16 Grad Celsius, sonnig. Ein Trompeter spielte die linke Hymne „Bella Ciao“. Mehrere umstehende Demonstranten sangen und summten mit. Der DGB macht sich in diesem Jahr für eine höhere Tarifbindung stark. Mindestens 80 Prozent der Beschäftigten sollten unter Tarifbedingungen arbeiten, lautet die Forderung. Nur so werde Arbeit attraktiv, nur so würden Arbeitende vor Armut geschützt. Derzeit seien weniger als die Hälfte der Beschäftigten von Tarifverträgen erfasst.
Für uns Sozialarbeiter ist der neue Koalitionsvertrag ein Schlag ins Gesicht.
Clemens, Solidaritätstreff Soziale Arbeit
Von einem Lautsprecherwagen rief Clemens vom Solitreff Soziale Arbeit in einem Redebeitrag in die Menge: „Für uns Sozialarbeiter ist der neue Koalitionsvertrag ein Schlag ins Gesicht.“ Und zwar: „Es ist uns egal, welches Arschloch gerade im Berliner Senat sitzt.“ Was gebraucht werde, seien „einen Inflationsausgleich, Lohnerhöhungen und eine langfristige Finanzierung sozialer Projekte“, forderte er.
Satiredemo trifft auf gemischte Gefühle
Gegen Mittag begann im Villenviertel in Grunewald die linke Demonstration „MyGruni“. Unter dem Motto „Reichtum wird enteignet (RWE)“ inszenierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ironische Rollenspiele zwischen angeblichen Villenbesitzern, deren Haus für Kohle abgebaggert werden sollte, und angeblichen RWE-Bauarbeitern. „Wo eine Villa ist, ist auch ein Weg“, hieß es. Die Veranstalter, das selbsterklärte Quartiersmanagement Grunewald, sprachen am Nachmittag von 7000 Menschen. Die Polizei nannte kurz vor Demo-Ende 3700 Protestierende als offizielle Zahl.
© Getty Images/Omer Messinger
Der satirische Protest rief bei Anwohner:innen gemischte Reaktionen hervor. In zahlreichen Häusern entlang der Demo-Route waren Fenster und Türen verrammelt. Manche Passant:innen filmten, offensichtlich belustigt, während der Zug, versammelt hinter einem großen Pappmachébagger, mit lauter Musik durch die Bismarckallee zog.
Dazu erklärten die Veranstalter: „Höchste Zeit, Kohleabbau ganz neu zu denken! Unter dem Villenviertel Grunewald lagert ein gigantischer Kohleflöz: Fossiles Kapital, das dringend abgetragen werden muss! Für das Klima, für eine gerechte Gesellschaft!“ Auf Twitter teilte die Polizei mit, die Route sei auf Wunsch des Versammlungsleiters etwas geändert worden, führe aber weiter zum Endpunkt Johannaplatz.
Buhrufe für Kai Wegner
Auf der DGB-Demo nahe dem Alexanderplatz verteidigte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann vehement die Rechte der Gewerkschaften zum Arbeitskampf. „Wir werden keine Einschränkung des Streikrechts dulden – Punkt, aus, Ende“, ruft er – und wies Kritik an den Folgen für Bürger und Verbraucher, etwa bei Flughafenstreiks, zurück. Es sei Sinn von Streiks, „ökonomisch und politisch Druck zu machen“.
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Die Gewerkschaften kämen mit kräftigem Schwung aus den Jahren der Corona-Zeit, sagt Hofmann. Die Beteiligung an Warnstreiks sei hoch, in den laufenden Tarifrunden seien deshalb gute Ergebnisse erzielt worden. Zehntausende neue Mitglieder seien hinzugekommen. „Die Gewerkschaftsbewegung in Deutschland wird stärker“, sagte er und wiederholte seinen Vorstoß für eine Vier-Tage-Woche. Er sei der festen Überzeugung, dass ein voller Lohnausgleich tragbar sei, betonte der IG-Metall-Chef.
Als die Moderatorin neben Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und der Berliner Senatorin für Soziales, Cansel Kiziltepe (SPD), auch Kai Wegner (CDU) begrüßte, hagelte es Buhrufe. Noch ein Fehlstart für Berlins neuen Regierenden Bürgermeister.
Auch auf der sogenannten Spaßdemo in Grunewald gab es Kritik an der neuen Berliner Landesregierung. „Alles Gute wird in Zukunft von unten kommen“, rief darauf Klimaaktivist Tadzio Müller. „Wir müssen Berlin für uns halten, für die gute Sache, für den Regenbogenkommunismus“, sagte er unter Applaus der Teilnehmenden. Wenn der Aktivist zu einer breiten Protestbewegung aufruft, klingt es nicht nur nach Satire. (mit dpa)
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de