Was geschah mit Rebecca Reusch?: Wie die Berliner Ermittler den Vermisstenfall nach vier Jahren noch lösen könnten

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Was geschah mit Rebecca Reusch?: Wie die Berliner Ermittler den Vermisstenfall nach vier Jahren noch lösen könnten - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Polizei Berlin | Bearbeitung: Tagesspiegel Was geschah mit Rebecca Reusch?: Wie die Berliner Ermittler den Vermisstenfall nach vier Jahren noch lösen könnten

Am 18. Februar 2019 verschwand die 15-jährige Schülerin aus Neukölln spurlos. Ist Rebecca Opfer eines perfekten Mordes geworden? Sechs Punkte, auf die es jetzt ankommt.

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Der Fall Rebecca Reusch gilt als einer der mysteriösesten Vermisstenfälle des Landes: Am 18. Februar 2019 verschwand die 15-jährige Berlinerin spurlos. Sie hatte im Neuköllner Ortsteil Britz bei ihrer älteren Schwester übernachtet, um am nächsten Morgen zur Schule zu gehen. Aber da kam sie nie an und niemand hat sie das Haus verlassen sehen.

Vier Jahre ist das jetzt her. Und zu jedem Jahrestag erklärt die Berliner Staatsanwaltschaft, was sie auch schon im Jahr zuvor verkündet hat: Die Ermittler gehen davon aus, dass Rebecca im Haus ihrer Schwester getötet wurde. Ihr Schwager Florian R. gilt als Hauptverdächtiger – aber genügend Beweise für seine Schuld gibt es nicht.

Ist Rebecca also das Opfer eines perfekten Mordes geworden? Gibt es nach so langer Zeit eine Chance, den Täter oder die Täterin zu überführen? Sechs Gründe, die erklären, warum dieser scheinbar hoffnungslose Fall nicht erledigt ist.  

1 Die Mordkommission

Was geschah mit Rebecca Reusch?: Wie die Berliner Ermittler den Vermisstenfall nach vier Jahren noch lösen könnten - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Maidje Meergans für den Tagesspiegel

Zum vierten Jahrestag hat die Polizei eine knappe Pressemitteilung herausgegeben. Fazit: „Bis heute gibt es keinerlei Lebenszeichen der Jugendlichen.“

Neuigkeiten gibt es dafür in der zuständigen dritten Mordkommission: Im vergangenen Herbst hat Katharina Tomalla, 55, dort die Führung übernommen. Sie hat 2009 im LKA 11 als Spezialistin für den Tatort angefangen und ist nun zur einzigen Chefin im Morddezernat ernannt worden.

„Die Dritte lässt nicht locker“, sagt Katharina Tomalla, als sie Ende Januar bei der Buchvorstellung von „Tatort Berlin – Aus dem Innersten der Mordkommission“ im Tagesspiegel auf dem Podium sitzt. „Das ist für uns kein Cold Case. Wir geben nicht auf.“

Zum Team der Dritten gehören neben Tomalla noch acht Mordermittler, die bereits etliche spektakuläre Fälle gelöst haben. Die Dritte überführte unter anderen die beiden Brüder der 34-jährigen Afghanin Maryam H., die am Freitag vorm Berliner Landgericht wegen Mordes zu Lebenslang verurteilt wurden.

Tomalla leugnet nicht, dass der Fall die Ermittler auch in Phasen der Unsicherheit und Selbstzweifel stürzt, in denen sie sich fragen: Haben wir wirklich alles getan? Fehlt vielleicht nur der eine kluge Gedanke?

Manche Ermittlungen sind ein Ultramarathon.

Katharina Tomalla, Chefin der dritten Mordkommission

Aber sie seien Profis, die wüssten, dass man manchmal sehr geduldig sein muss. „Manche Ermittlungen sind kein Sprint, sondern ein Ultramarathon.“

Die dritte Mordkommission geht davon aus, dass Rebecca im Haus ihrer Schwester getötet wurde. Ausgeschlossen werden könne auch eine Entführung aus dem Haus oder auf dem Weg zur Schule.

Ihr Schwager Florian R. wird zwei Mal festgenommen, aber jedes Mal wieder freigelassen. Weder im Haus noch in seinem Auto findet die Polizei eindeutige Spuren eines Verbrechens. Tomalla sagt: „Wir sind sicher, dass Rebecca das Haus ihrer Schwester nicht lebend verlassen hat.“

2 Die Zeugen

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© Christoph Soeder/dpa

Die Ermittler und Ermittlerinnen haben ein ausgeprägtes Gespür dafür, ob ein Zeuge lügt, die Wahrheit oder nur die Hälfte davon sagt, was er weiß.

Vor allem von den fragwürdigen Zeugen vergessen die Kriminalbeamten keinen, wohlwissend, dass Ehen zerbrechen können, Freundschaften abkühlen, dass aus Liebe manchmal Hass wird und aus Loyalität dann schnell Verrat.

Für die Mordkommissare gehört es deshalb zur Routine, bei den wichtigsten Zeugen ihrer ungelösten Fälle immer mal wieder nachzuhaken.

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© imago images/Olaf Wagner

Im Fall von Rebecca haben sich die ältere Schwester und die Eltern an die Seite des verdächtigen Schwagers gestellt. Der 27-Jährige ist, als sich Rebecca abends im Wohnzimmer schlafen legt, bei einer Feier und kommt erst am frühen Morgen zurück. Die Schwester geht sehr früh zur Arbeit.

Die Mutter ruft Rebecca morgens an, um sie zu wecken, aber ihre Tochter nimmt nicht ab. Dann ruft die Mutter ihren Schwiegersohn an, der Anruf wird aber weggedrückt. Kurz darauf ruft Florian R. zurück, geht ins Wohnzimmer und sagt, Rebecca sei bereits weg.

Als sie bis zum Nachmittag ausbleibt, meldet die Familie sie bei der Polizei als vermisst.

Die Polizei veröffentlicht erst nach einigen Tagen eine Suchmeldung und ein Foto des Mädchens. Einsatzkräfte und Helfer der Familie suchen die Umgebung des Wohnhauses der Schwester ab, finden aber nichts.

Florian R. bestreitet, etwas mit dem Verschwinden zu tun zu haben. Er habe geschlafen, als Rebecca das Haus verließ. Rebeccas Familie wirft der Polizei vor, erst zu spät und dann einseitig ermittelt zu haben. Sie klammert sich an die Hoffnung, dass die junge Frau lebend wieder auftaucht.

Dass der himbeerrote Renault Twingo der Familie am 18. und 19. Februar auf der Autobahn zwischen Berlin und Polen erfasst wird, verstärkt den Verdacht, der auf dem Schwager lastet. Er hatte als einziger zu diesen Zeitpunkten Zugang zu dem Wagen, kann aber nicht erklären, warum er dort unterwegs war.

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© Bernd von Jutrczenka/dpa

Im Kofferraum des Autos findet die Polizei Haare und Fasern einer verschwundenen lilafarbenen Decke. Nach einem DNA-Test stellte sich heraus, dass das Haar nicht von Rebecca stammt.

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© Polizei

Die Ermittler hören sich auch bei den Nachbarn, Freunden und Bekannten von Florian R. um. Zwei seiner Ex-Freundinnen berichten, der junge Mann habe sie damals oft geschlagen, brutal verprügelt und auch eingesperrt, wenn es Streit gab.

Trotz dieser Widersprüche stellt sich Rebeccas Familie öffentlich an die Seite von Florian R. Die Eltern und Schwestern erklären, dass sie den jungen Mann für unschuldig halten.

Auch auf kritische Nachfragen, ob ihr nie Zweifel gekommen sind, spricht die Familie in einer Fernseh-Doku von einem großen Vertrauen zwischen der Familie und ihm.

3 Die Einsamkeit der Tat

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© imago images/Olaf Wagner

Egal, wie abgebrüht der Täter ist: Einen anderen Menschen zu töten, stürzt jeden in einem Zustand höchster Erregung. In den ersten Tagen ist deshalb die Chance am größten, dass ein Mörder Fehler begeht, sich verplappert oder verrät, wenn er versucht, sich ein Alibi zu verschaffen und Spuren zu verwischen.

Sind sie erst einmal ungeschoren davongekommen, schaffen es viele, sich in ihrem Lügengebäude zwischen Schuld und Selbstbetrug einzurichten.

Aber ein Leben lang zu schweigen? Das gelingt auch nicht allen. Die einen plaudern im Suff, die anderen prahlen im Knast.

Im Fall der 2006 in Moabit verschwundenen Georgine Krüger setzte die Mordkommission mehr als zehn Jahre später zwei verdeckte Ermittler auf den mutmaßlichen Mörder der 14-Jährigen an. Einem von ihnen erzählte der Nachbar Ali K. von seinem Mord. Er wurde 2020 zu lebenslanger Haft verurteilt.

4 Die Spurensicherung

Auf Tomallas Schreibtisch steht ein in die Jahre gekommenes Telefon, mit Hörer, Tasten, Schnur. Es klingelt, wenn ein Bürger einen Hinweis zu einer Ermittlung loswerden will. In den nächsten Tagen wird es wieder öfter klingeln, nachdem die Medien über den vierten Jahrestag berichtet haben.

3000Hinweise hat die Polizei überprüft

Mehr als 3000 Hinweisen ist die Polizei nachgegangen. „Wir sind immer auf dem neuesten Stand der forensischen Auswertung“, sagt Katharina Tomalla.

Nach dem Verschwinden sucht die Polizei wochenlang in Wäldern und an Seen im dünn besiedelten Brandenburg 50 Kilometer südöstlich von Berlin nach der Leiche von Rebecca. Hunderte Polizisten, Leichenspürhunde, Taucher sind im Einsatz – und finden nichts.

Zum vierten Jahrestag listet die Polizei noch einmal alle vermissten Gegenstände auf: Verschwunden bleiben neben der lilafarbenen Decke auch der weiße Kapuzenpullover mit der Aufschrift „Rap Monster“, den Rebecca an diesem Tag trug, dazu eine rosafarbene Plüschjacke, ein roter Rucksack und eine blaue Jeans mit zerrissenen Knien.

Was geschah mit Rebecca Reusch?: Wie die Berliner Ermittler den Vermisstenfall nach vier Jahren noch lösen könnten - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Polizei Berlin

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© Polizei Berlin

Außerdem hatte sie eine große beige-rosafarbene Handtasche dabei und trug schwarze Sportschuhe der Marke Vans. 

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© Polizei Berlin

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© Polizei Berlin

Es gibt Menschen, die lässt der Fall bis heute nicht los. „Einige von ihnen begeben sich auch eigenständig auf die Suche nach Rebecca und geben Hinweise auf Spuren, beispielsweise das Auffinden von Decken im Wald“, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei.

Die vermisste Kleidung könnte wertvolle Spuren liefern. Wo einst Blut und Sperma zum genetischen Fingerabdruck eines Täters führten, reichen heute dank der neuesten Untersuchungsmethoden der Forensischen Molekulargenetik schon eine Haarwurzel, eine Hautschuppe oder ein Schweißabdruck.

Die Kriminaltechnik gelingt es, aus immer weniger immer mehr rauszuholen. Auch kleinste Spuren an der Kleidung könnten auf DNA ausgewertet werden.

Sollten eines Tages Rebeccas sterbliche Überreste gefunden werden, könnten die Ermittlungen ganz neue Fahrt aufnehmen. Stehen Fundort und/oder Todesursache fest, könnte es eng für den Täter werden. Es wäre nicht der erste Fall, in dem das Opfer seinen Mörder nach dem Tod überführt.

5 Die Digitalisierung

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© Viva Capulet/Facebook

Verschwunden bleibt auch Rebeccas Handy, das sich zuletzt um 7.46 Uhr in das WLAN ihrer Schwester eingeloggt hat. Nach einigen letzten Nachrichten an Schulfreunde wurde ihr Handy noch im Haus der Schwester abgeschaltet.

WhatsApp, Insta, Snapchat, Facebook – die zunehmende Digitalisierung hat den Mordermittlern ganz neue Ermittlungsmöglichkeiten gegeben. Allein im Fall von Rebecca gilt es mehrere Millionen Verbindungsdaten auszuwerten.  

Was geschah mit Rebecca Reusch?: Wie die Berliner Ermittler den Vermisstenfall nach vier Jahren noch lösen könnten - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Polizei Berlin | Montage: Tagesspiegel

Kriminalhauptkommissarin Tomalla lässt ihr Team gerade „jeden Stein nochmal drei bis zehn Mal“ umdrehen und sie hofft dabei: Dass die Ermittler bislang noch unentdeckte Daten finden, beispielsweise aus einem Handyspeicher, die sie auf die richtige Spur bringen.

6 Die Statistik

Die Chancen, mit einem Mord davonzukommen, stehen statistisch schlecht. Der Berliner Mordkommission gelingt es, deutlich über 90 Prozent der Taten bereits im ersten Jahr zu klären.

Knapp 300 Mordfälle gelten in Berlin seit den 70er Jahren als ungeklärt. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil dieser gesuchten Täter nicht mehr lebt.

Was geschah mit Rebecca Reusch?: Wie die Berliner Ermittler den Vermisstenfall nach vier Jahren noch lösen könnten - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Olaf Selchow/imago images

In den vergangenen Jahren konnten die Ermittler und Ermittlerinnen in der Keithstraße in Tiergarten rund 20 ihrer ganz alten Fälle lösen. Weil Mord nicht verjährt, werden die Akten nie geschlossen. Die Täter können sich also selbst nach 20 oder 30 Jahren nicht in Sicherheit wiegen.

Den perfekten Mord? Den gebe es nicht, sagt die Chefin der Dritten. „Wir kriegen sie fast alle“, so Tomalla. Es sei nur eine Frage der Zeit.

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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