Verein unterstützt krebskranke Kinder: Sterbenskranker “hilft denen, denen es noch schlechter geht”

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Verein unterstützt krebskranke Kinder: Sterbenskranker "hilft denen, denen es noch schlechter geht" - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© Agnieszka Budek Verein unterstützt krebskranke Kinder: Sterbenskranker "hilft denen, denen es noch schlechter geht"

Der Berliner Engelbert Diegmann hilft seit Jahren Kindern in Not. Jetzt ist er unheilbar erkrankt. Und will noch mehr helfen.

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Engelbert Diegmann liegt in seinem Bett, den Oberkörper aufgerichtet, und redet übers Sterben. Sein Sterben.

„Am 16. Januar 2019 habe ich mein Todesurteil bekommen.“

„Für mich gibt es keine Hoffnung. Es gibt zwar ein Medikament, aber es verlängert meine Lebenserwartung um drei Monate. Ich nehme es.“

„Im Schnitt sterben Menschen mit meiner Diagnose innerhalb von drei Jahren nach Auftreten der ersten Probleme.“

Diegmann ist 48, im Moment sieht es nicht so aus, als würde er diese Zeit noch bekommen.

„Man kann meinen Verlauf der Krankheit so beschreiben: Ein normaler Kranker fährt mit 100 Stundenkilometern auf der Autobahn seinem Ende entgegen. Ich bin im Moment mit 267 Stundenkilometern unterwegs. Wenn ich nicht aufpasse, ist das ein kurzes Vergnügen.“

Aber er passt auf.

Engelbert Diegmann hat noch eine Mission

Denn Engelbert Diegmann hat noch eine Mission. In seinem Bett, die Beine schon schwach, sagt er: „Ich werde jetzt die unterstützen, denen es noch schlechter geht.“ Noch schlechter? Geht das? Geht dieser verstörende Satz, wenn man ALS hat? Diese heimtückische Krankheit, bei der sich in kurzer Zeit die Muskeln abbauen, bis man nicht mal mehr die Kraft zum Atmen hat. Diegmann meint das ernst. Er lächelt.

Die Geschichte des Fotografen Engelbert Diegmann ist die Geschichte eines Mannes, für den Hilfe für Schwerkranke seit Langem Lebensinhalt ist, und der jetzt aus dieser Arbeit die Kraft zieht, um gegen die Krankheit so lange wie möglich anzukämpfen. Er wird diesen Kampf verlieren, in ein paar Jahren, aber die kurzfristigen Erfolge, die feiert er. „Ich habe eine extrem positive Grundstimmung“, sagt Diegmann.

Sein Verein hilft krebskranken Kindern

Die Menschen, die es noch schwerer haben als er, das sind herz- und krebskranke Kinder in Berliner Kliniken. Diegmann ist der Mann, der ihnen Kickertische in die Krankenstationen gestellt hat, damit diese Kinder Abwechslung in ihrem tristen Alltag haben. Mit Spendengeldern hat sein Verein „So viel Freude“ die Kicker finanziert. Einen Teil des Geldes hat er von Tagesspiegel-Lesern erhalten, sein Projekt ist bei der Tagesspiegel-Spendenaktion „Menschen helfen!“ 2017/18 vorgestellt worden. In Berlin stehen inzwischen 30 große Spieltische. „Die Stangen glühen jeden Tag“, sagt Diegmann.

Ein Haus in Zehlendorf, gleich neben dem S-Bahnhof, Seitenstraße, Garten, Vogelgezwitscher. In einem der Zimmer liegt Diegmann. Er blickt zum Fenster, auf dem Schreibtisch stehen neben einem Computer persönliche Fotos. Es wäre eine behagliche Atmosphäre, wenn es die Symbole des Leidens nicht gäbe. Die Maschinen, die nötig sind, damit Diegmann am Leben bleibt. Ein Absaugegerät zum Beispiel. Er braucht es, „weil ich nicht mal mehr selber husten kann, ich habe keinen Würgereiz mehr“. In seinen Hals haben Ärzte ein kleines Loch geschnitten, damit er über einen schmalen Schlauch Luft bekommen kann.

Im September 2018 war er noch gesund und hatte Kickertische aufgestellt

Das Haus im Grünen ist eine Pflegestation für schwerstkranke Menschen. Im September 2018 hatte der damalige Vereinsvorsitzende noch Kickertische aufgebaut, jemand hat ihn dabei fotografiert. Der Mann, der mit herzlichem Lachen zur Kamera blickt, ist breitschultrig, seine Oberschenkel sind beachtlich. Aber im Oktober brachen ihm die Knie weg, im Januar hörte die Todesdiagnose. An diesem Tag begann auch das neue Leben des Engelbert Diegmann.

Jetzt wollte er noch mehr Kickertische organisieren, jetzt wollte er noch mehr Kindern helfen, jetzt konzentriert er seine ganze Kraft in sein soziales Werk. Es ist der Rettungsstab, an dem er sich aufrichtet. „Entweder du lässt das ALS dein Leben bestimmen und wirst dann relativ schnell traurig oder du gestaltest dein Leben. Ich will gestalten. Das hat sofort ein anderes Lebensgefühl gegeben.“

Den Vereinsvorsitz musste er abgeben

Den Vereinsvorsitz hat er abgegeben, die Organisation der Arbeit nicht. Doch jetzt hat alles viel größere Dimensionen als früher. Neun Tische hier, sechs da, über diese Dimensionen ist er weg. In China hat Diegmann 1000 Mini-Kicker bestellt. „Die Kinder können die Tische selber bauen“, sagt Diegmann. „Dann können sie mit Ärzten, Pflegern und der Familie spielen.“ 800 Kinder liegen jährlich in den Kinderkrebsstationen in Berliner Krankenhäusern, jäh herausgerissen aus einem behüteten Leben, stundenlang allein in ihren Zimmern. Sie kommen aus ganz Deutschland, weil in Berlin die Versorgung so gut ist. Aber die medizinische Hilfe ersetzt nicht die seelische Betreuung. „Oft weinen die Kinder, wenn sie etwas geschenkt bekommen“, sagt Diegmann, „sie weinen, weil sie so viel verloren haben.“ Ihre Umgebung, ihre Freunde, ihre Spielsachen, ihr Gefühl von Geborgenheit. Die Minitische lagerten in Hamburg, Diegmann organisierte den Transport nach Berlin.

Er sorgt auch dafür, dass am 7. Oktober zwölf Kickertische nach Bremen, Bremerhaven, Wilhelmshaven und Oldenburg kommen, in Einrichtungen der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Und selbstverständlich betrachtet er es als seinen Job, „dass vor Ort alles klargeht“. Auf seinen Knien liegt ein Computer, das ist für ihn der Kontakt zur Welt seines Vereins.

Diegmann pumpt die letzte Kraft aus seinem ausgelaugten Körper. Es geht ja nicht bloß um Hilfe für die Kinder, es geht auch um sein eigenes Leben. Je mehr er abarbeitet, umso mehr stärkt er auch jenes positive Denken, das Kranken den Heilungsprozess erleichtert.

Bei ihm geht es darum, den körperlichen Verfall hinauszuzögern

Bei ihm freilich geht es nur noch darum, den körperlichen Verfall hinauszuzögern. Deshalb hat er auch 15 000 Malbücher produziert, am Tablet, mit einem Designer. Die Kinder können Motive ausmalen, die Meerjungfrau Arielle etwa oder Piraten bei „Fluch der Karibik“. Finanziert wird alles mit Spenden. Die Kosten für die gedruckten Malbücher und 3000 Packungen Buntstifte dagegen hat er getragen.

[Kontakt: www.sovielfreude.de, Spenden: Kontoinhaber: „So viel Freude e.V.“, IBAN: DE02 1005 0000 0190 6842 67, BIC: BELADEBEXXX, Berliner Sparkasse]

Auch ganz andere spielen an den Tischkickern, die der Verein gespendet hat. In Mali, an den Bundeswehrstandorten der Auslandsmission, fechten Soldaten seit Langem sportlich verbissen Duelle aus. Vor wenigen Wochen wurde wieder ein Kickertisch nach Mali transportiert. Ein Hubschrauber hatte zwischenzeitlich das Sportgerät auf die Fregatte „Lübeck“ abgelassen. Am Mali-Einsatz ist Diegmann organisatorisch beteiligt, natürlich.

Im Klinikum Buch haben die Kinder Kickertische erhalten

In der Kinderkrebsstation Buch haben Kinder vor Kurzem 250 Mini-Kicker erhalten, umwickelt von Geschenkpapier. Paco hat sie übergeben. Paco gehört zum Verein, ein Theaterpädagoge, der sich in die Seele der Kinder spielen kann. Als er mit den Kickern auftauchte, sagte eine Schwester gerührt: „Da werden die Kinder weinen, wenn sie das sehen.“ Es sind Tränen, die auch direkt ins Herz von Engelbert Diegmann fließen. Das sind die Momente, in denen er die Belohnung für sein Engagement am stärksten spürt.

Er tippt auf ein paar Tasten, dann erscheinen Fotos von Paco im Krankenhaus. Paco lacht, auf seinem T-Shirt ist der Struwwelpeter. Dann bricht Diegmann ab, ein paar Minuten Reden hat ihn an die Grenze seiner Kraft geführt. Diese Kraft reichte vor Kurzem noch, dass er sich mit den Händen an der Wand abstützen und dreimal am Tag Kaffee holen konnte. Inzwischen ist dieser Weg für seinen ausgelaugten Körper zu viel.

Minuten später, Diegmann hat sich wieder erholt, er konzentriert sich auf die nächsten Sätze. „Die Chance, dass ich in den nächsten 24 Monaten sterbe, ist groß“, presst er hervor. Der Oberkörper bebt vor Anstrengung. Aber Diegmann ist noch nicht fertig. Sein letzter Satz lautet: „Ich gebe nicht auf.“

Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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