„Too big to fail“: Wie sich Rot-Rot-Grün den „Diese eG“-Skandal schönredet
© imago images / Christian Ditsch „Too big to fail“: Wie sich Rot-Rot-Grün den „Diese eG“-Skandal schönredet
Der Untersuchungsausschuss zu Vorkaufsdeals der „Diese eG“ legt den Abschlussbericht vor. Verstöße? Ja, aber Rot-Rot-Grün zeigt Milde. Eine Analyse.
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Der Untersuchungsausschuss zur Genossenschaft „Diese eG“ und den umstrittenen Vorkaufsgeschäften des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg hat seinen Abschlussbericht vorlegt. Am Donnerstagvormittag stellen der Vorsitzende Frank Zimmermann (SPD) und die Obleute der Fraktionen ihn vor. Die Bewertung der Vorgänge durch die rot-rot-grüne Koalition und Opposition gehen in dem 350 Seiten starken Bericht nebst Sondervoten und Anlagen dabei weit auseinander.
Für Rot-Rot-Grün ist die Sache klar: Es sei kein großer Schaden entstanden, strafrechtlich Relevantes wurde nicht gefunden, aber in Zukunft müsste es bei Vorkaufsgeschäften besser laufen. Die Feststellungen sind bemerkenswert. Zur Erinnerung: Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg übte von Mai bis August 2019 für sechs Miethäuser das Vorkaufsrecht aus und Tempelhof-Schöneberg für ein Haus – für die damals gerade erst gegründete Diese eG.
Doch der Baustadtrat Friedrichshain-Kreuzbergs Florian Schmidt (Grüne) – als Wahlbeamter besonders an Recht gebunden – prüfte nicht, ob die Diese eG das überhaupt finanziell stemmen kann.
Der Rechnungshof attestierte dem Baustadtrat pflichtwidriges Verhalten. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Genossenschaft und die Finanzierung seien nicht ausreichend geprüft, rechtliche Vorgaben missachtet worden. Dadurch seien dem Land Berlin zeitweise Haftungsrisiken in Höhe von 27 Millionen entstanden.
Die Genossenschaft ging fast pleite, Senat und Abgeordnetenhaus zimmerten ein Gesetz, um das Vorkaufsgeschäft zu retten – die „Lex Diese eG“. Weil die Diese eG in ihrer Finanzierung bereits Landeszuschüsse eingeplant hatte, für die es noch gar keine gesetzliche Grundlage gab.
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Besonders Bausenator Sebastian Scheel (Linke), damals noch als Staatssekretär, aber auch Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) halfen mit, die Berechnungen zur Wirtschaftlichkeit der Genossenschaft zurechtzuschrauben, damit die Kalkulation für knapp 25 Millionen Euro an Zuschüssen und Förderkrediten passt, Ausnahmen vom Mietendeckel inklusive. Hinzu kamen heikle Finanzierungskonstruktionen mit Hilfe von Investoren und personelle Verbandelungen.
© Christoph Soeder/dpa
Obwohl das alles bekannt ist, bleibt die Ausschussmehrheit von Rot-Rot-Grün im Abschlussbericht zurückhaltend bei der Bewertung. „Es wäre deshalb von Vorteil gewesen, die ausstehenden Fragen zur Finanzierung abschließend zu klären, bevor weitere Vorkäufe zugunsten der Diese eG ausgeübt wurden“, heißt es im Bericht. Oder: „Der Ausschuss konnte keine Rechtsverstöße feststellen.“
Es wurden für die Darlehensgewährung „verschiedene Parameter angeglichen“. Und das vom Rechnungshof genannte Haftungsrisiko von 27 Millionen Euro müsse mit dem Wert der Häuser gegengerechnet werden. Es bleibe ein Schaden von maximal 270.000 Euro für den Bezirk.
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Das alles ist eine milde Umschreibung für die bekannten Vorgänge, erst recht nach Lektüre der internen Vermerke und Emails von Senatsverwaltungen und Förderbank IBB. Selbst Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte als Zeuge im Ausschuss gesagt: „Ich habe formuliert, dass es nicht rechtskonform war – ja. Man kann auch rechtswidrig sagen an einigen Punkten – ja.“
Die Angst, dass die Diese eG Senat und IBB um die Ohren fliegt
Auch Mitarbeiter der Senatsverwaltungen und der IBB hatten enormen Bedenken – über Monate. Sie warnten davor, dass die Diese eG keine vollständige Finanzierung vorweisen kann. Um sich abzusichern, sahen sich Mitarbeiter gezwungen, auf mögliche Straftaten wie Beihilfe zur Insolvenzverschleppung und Subventionsbetrug hinzuweisen. Auch wenn die Staatsanwaltschaft das später verneinte, die Ermittlungen eingestellt hat – die Angst in den Verwaltungen, dass die Deals dem Senat und der IBB um die Ohren fliegen, war offenkundig groß.
Exemplarisch ist ein Vermerk eines Mitarbeiters der Senatsbauverwaltung bereits nach dem ersten Vorkauf vom Juli 2019: „Es liegt nahe, dass ein Ausübungsbescheid rechtswidrig ist, wenn ein Bezirk das Vorkaufsrecht ausübt, ohne sich zuvor von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Dritten ein ausreichendes Bild zu machen oder sogar positiv weiß, dass eine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht gegeben bzw. die Finanzierung des Kaufpreises nicht gesichert ist.“
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Auch Finanzsenator Matthias Kollatz bestätigte ein „besonderes Entgegenkommen“ für die Diese eG, er hält auch das Ergebnis des Rechnungshofs – im Gegensatz zu den rot-rot-grünen Koalitionären im Abgeordnetenhaues – für richtig. Es sei unzulässig, dass Bezirke das Vorkaufsrecht ausüben, wenn die Finanzierung nicht klar ist.
CDU-Obmann Stefan Evers beklagt in seinem Sondervotum, die „Art und Weise, in der sich die politisch Verantwortlichen über alle Warnungen und geltenden Regeln hinweggesetzt haben“. Die „Diese eG“ sei offenbar „too big to fail“ gewesen – „nur so ist zu erklären, dass trotz der eklatanten Missachtung geltenden Rechts und größter Bedenken aus den Fachverwaltungen die politischen Spitzen aller drei Koalitionsparteien ihre schützende Hand über Florian Schmidt hielten und bis heute halten.“ Die entscheidende Frage sei noch nicht beantwortet: „Warum ist Florian Schmidt noch im Amt?“
© Christoph Soeder/dpa
Für Evers geht es um „grüne Günstlingswirtschaft und einen Förderskandal, der bis in die höchsten Kreise des Senats reicht“. Senat und Schmidt hätten die rechtlichen Vorgaben und Sicherungsmechanismen gegen den Missbrauch von Fördergeldern und Zuschüssen bewusst umgangen und missachtet. Es seien rechtliche und finanzielle Risiken in Millionenhöhe eingegangen worden, geltende Bestimmungen missachtet, getrickst und manipuliert worden, „um der grünen Lieblingsgenossenschaft einen überteuerten Häuserkauf mit leeren Taschen zu ermöglichen.“
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FDP-Obmann Bernd Schlömer hofft, „dass sich Senatsverwaltungen in Zukunft nicht mehr dafür hergeben, Projekte eigenmächtig und aktionistisch handelnder Personen mit Steuergeldern zu retten“. Die Koalition sehe nur kleinere Missgeschicke. „Offenbar gehen die Wahrnehmungen von Koalition und Opposition derart auseinander, dass man meinen könnte, die Fraktionen hätten nicht dieselben Zeugen gehört und Akten gelesen. Das Fazit, der Ausschuss habe keine Rechtsverstöße feststellen können, ist letztlich schlichtweg falsch.“
„Basisregeln wurden nicht eingehalten"
Im Fall Diese eG seien „naive Entscheidungen eines kommunalen Stadtrats im grünen Wunderland Friedrichshain-Kreuzberg auf mangelhaftes Regierungshandeln des Senats“ getroffen. Der Fall sei ein idealtypisches Zeugnis von Fehlverhalten der Regierung: „schlecht gemachte Weisungslagen, bewusstes Ausklammern von juristischer Expertise und ein regelfernes Tuning bei den Förderzusagen“.
© Kay Nietfeld/dpa
Auch Schlömer vermutet, dass die Diese eG wegen der Haftungsrisiken mit allen Mitteln am Leben erhalten werden sollte. Die Senatsverwaltungen hätten nicht davor zurückgeschreckt, statt tatsächlichen Eigenkapitals lediglich auf Unterschriften zu vertrauen. Die Verwaltungen seien sogar gezwungen worden, die Wirtschaftlichkeit mit selbst erstellten Annahmen und Zahlen schön zu rechnen. „Basisregeln wurden weder eingehalten, noch wurde korrigierend eingegriffen. Man ließ es einfach laufen in der Hoffnung auf einen guten Ausgang, den es bis zum heutigen Tag nicht wirklich gibt“, sagte Schlömer.
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Ein Blick in die Zusammenfassung des Abschlussberichts zeigt, wie vorsichtig Rot-Rot-Grün in den Formulierungen bleibt. Das Resümee beginnt mit einem Loblied auf das Vorkaufsrecht im Kampf gegen Verdrängung durch Kapitalanleger und hohe Mieten. Dabei ging es im Fall Florian Schmidt vielmehr darum, ob er sich an geltendes Recht und geltenden Verfahrensregeln gehalten hat.
Rot-Rot-Grün meint: „Es wurden neue Wege beschritten“
Zumindest wird festgestellt, dass für eingeplante staatliche Finanzierungsbausteine eine hinreichende Grundlage bestehen muss. „Politische Absichtserklärungen stellen dabei keine hinreichend verbindliche Zusage für die Ausreichung von Landesmitteln dar“, heißt es weiter. Die Diese eG habe zur Finanzierung Landeszuschüsse in Höhe von zehn Prozent der Vorkaufskosten eingeplant. „Tatsächlich lagen die Voraussetzungen für eine solche Bezuschussung nicht vor“ – sondern wurde erst später geschaffen. Es habe eine schlüssige Finanzplanung gefehlt.
Schließlich folgt eine beschönigende Umschreibung dafür, wie für die Diese eG Vorschriften und Vorgaben zurechtgeruckelt wurden. Der Aufwand war groß. Erst im Februar 2020 wurden Darlehen und Zuschüsse an die Diese eG gezahlt. Dass einiges nicht sauber lief im Fall der Diese eG zeigen dann die Empfehlungen des Ausschusses. Nötig seien verbindliche Regeln, Finanzen müssten geprüft werden, Bezirksbeschlüsse seien nötig. Aber immerhin seien neue Wege beschritten worden und die Bezirke hätten bereits reagiert.
Es komme dann darauf an, die richtigen Lehren daraus zu ziehen, heißt es von der SPD-Fraktion. Nötig seien verbindliche Regeln für alle Bezirke, so dass nicht der eine Bezirk es anders regele als der andere. Und über Baustadtrat Schmidt heißt es von der SPD: „Es sollte nicht so sein, dass ein einzelner Baustadtrat, der meint, er müsse durch die Gegend ziehen und überall Vorkaufsrechte ausüben, das machen darf.“
Gerettet wurde Schmidt von der Rot-Rot-Grün trotzdem. Erledigt ist der Fall noch nicht. Mit Blick auf das Agieren der Koalition etwa beim Mietendeckel, dessen Scheitern absehbar war, oder bei Überlegungen für eine Enteignung großer Immobilienkonzerne, erscheinen die Vorgänge um die Diese eG in einem noch ganz anderen Licht.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de