Steinmeier mahnt am 30. Jahrestag des Anschlags: „Es gab rechten Terror vor Solingen und es gibt ihn nach Solingen“

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Steinmeier mahnt am 30. Jahrestag des Anschlags: „Es gab rechten Terror vor Solingen und es gibt ihn nach Solingen“ - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© dpa/Patrick Pleul Steinmeier mahnt am 30. Jahrestag des Anschlags: „Es gab rechten Terror vor Solingen und es gibt ihn nach Solingen“

Bei einer Gedenkveranstaltung hat der Bundespräsident der fünf Opfer von Solingen 1993 gedacht. Steinmeier fordert von den Menschen im Land Zivilcourage und Mut gegen Hetze und Übergriffe.

30 Jahre nach dem fremdenfeindlich motivierten Brandanschlag von Solingen hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen wehrhaften und wachsamen Staat gefordert. „Jeder Mensch muss in unserem gemeinsamen Land in Sicherheit und Frieden leben können, und der Staat muss besonders diejenigen schützen, die ein höheres Risiko haben, Opfer von Gewalt zu werden“, sagte er bei einer Gedenkveranstaltung in der Stadt in Nordrhein-Westfalen.

„Ich bin heute hier, um der fünf Toten, der jungen Frauen und Mädchen, zu gedenken, die am 29. Mai 1993 ermordet wurden. Heute halten wir miteinander inne und trauern um Gürsün Ince, um Hatice Genc, um Gülüstan Öztürk, um Hülya Genc, um Saime Genc. Und natürlich um Mevlüde Genc, die uns im vergangenen Herbst verlassen hat“, sagte das Staatsoberhaupt am Montag .

Vier Männer hatten 1993 aus Fremdenhass in der Nacht Feuer gelegt. Die beiden jungen Frauen und drei Mädchen starben in den Flammen oder bei dem Versuch, sich davor zu retten. Zum Gesicht der Familie wurde Mevlüde Genc, die bei dem Brandanschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor. Genc, die sich dennoch jahrelang für Verständigung, Versöhnung und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzte, war im Oktober im Alter von 79 Jahren gestorben.

Viel zu lange saß unser Land der durch nichts gestützten, aber ständig wiederholten Behauptung auf, es seien verblendete Einzeltäter, die ihr Unwesen treiben.

Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

Steinmeier erinnerte an andere Taten Rechtsextremer, die sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben hätten, aber auch an solche, über die nicht mehr viel gesprochen werde. „Viel zu lange saß unser Land der durch nichts gestützten, aber ständig wiederholten Behauptung auf, es seien verblendete Einzeltäter, die ihr Unwesen treiben.“ Die Strukturen dahinter und die Ideologie von Täterinnen und Tätern seien lange übersehen, ignoriert und teils auch verdrängt worden.

Rechtsextreme und Rassisten entmenschlichten den Einzelnen, um ihn zu hassen, sagte der Bundespräsident. Sie verbreiteten damit Angst und Schrecken unter potenziellen Opfern. „Ich nenne das: Terror. Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten hier in Solingen. Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen. Es gibt eine Kontinuität von rechtsextremer und rassistischer Gewalt in unserem Land.“

Damit Deutschland weiter zusammenwachsen könne, brauche es „einen wehrhaften, einen wachsamen, einen aufrichtigen Staat“.

Steinmeier rief zudem jede Bürgerin und jeden Bürger dazu auf, Verantwortung zu übernehmen, bei Übergriffen einzugreifen oder Lügen, Hass und Hetze zu widersprechen. „Schweigen oder Gleichgültigkeit werden viel zu oft als stumme Zustimmung gedeutet. Was wir stattdessen brauchen, sind Zivilcourage und Mut.“

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erinnerte an die Toten des rassistischen Anschlags. „Der rechtsextreme Mord an fünf Menschen mit türkischen Wurzeln mahnt uns, alle zu schützen, die hier leben, die Verbrechen zu ahnden und Opfern zu helfen“, schrieb er am Montagmorgen auf Twitter.

„Mit Respekt für unsere vielfältige Gesellschaft können wir viel erreichen.“ Scholz postete ein Foto des damals ausgebrannten Hauses in Solingen und stellte die Namen der Toten dazu.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hat den rassistischen Brandanschlag von Solingen mit fünf Toten vor 30 Jahren als Zeitenwende im negativen Sinne bezeichnet.

„Tatsächlich nahm daraufhin der antimuslimische Rassismus mit Vorfällen wie dem NSU, dem Attentat in München, dem Mord an Marwa El-Sherbini, und den Anschlägen in Halle und Hanau, um nur einige zu nennen, zu“, sagte Mazyek der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Zentralrat der Muslime spricht von Zeitenwende im negativen Sinne

Hassverbrechen und antimuslimische Straftaten, die erst seit 2017 in der Kriminalitätsstatistik erfasst werden, seien sprunghaft angestiegen und erreichten bis heute ein sehr hohes Niveau.

Mazyek berichtete gegenüber der Zeitung von seinen eigenen Erfahrungen. „Viele Menschen, einschließlich einiger Betroffener, stuften Solingen damals als Einzelfall im Kontext der aufgeheizten Asylpolitik ein“, sagte er.

Dies sei aber eine Fehleinschätzung gewesen. Er selbst sei damals 23 Jahre alt und als Vorstandsreferent seiner Heimatgemeinde in Aachen tätig gewesen: „Ich bat den Imam, in seiner Freitagspredigt für die Opfer zu beten und das Thema anzusprechen, was er auch tat.“

Zwar habe sich seitdem viel in der Gesellschaft verbessert. Allerdings gebe es immer noch eine „latente Unterschätzung dieser menschen- und demokratiefeindlichen Haltung und den Vorwurf an die Betroffenen, dass sie das Thema Rassismus überstrapazieren und es als politischen Hebel nutzen“.

Mazyek sagte: „Beides sind fatal falsche Annahmen.“ Der Verbandsvorsitzende forderte, „auch den strukturellen Rassismus beim Namen zu nennen, im Namen der freiheitlichen und rechtsstaatlichen Demokratie.“

Mazyek gehört zu den bundesweit bekanntesten Vertretern der Islam-Organisationen. Er hat wiederholt vor anti-muslimischen Tönen und Vorurteilen in der Bevölkerung gewarnt und Angriffe gegen Muslime und Moscheen beklagt. (KNA, epd)

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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