Sieben simple Schritte gegen den Tod: Wie weltweit mehr Mütter und Kinder überleben könnten

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Sieben simple Schritte gegen den Tod: Wie weltweit mehr Mütter und Kinder überleben könnten

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Sieben simple Schritte gegen den Tod: Wie weltweit mehr Mütter und Kinder überleben könnten

Alle zwei Minuten stirbt eine Frau während der Schwangerschaft oder der Geburt ihres Kindes. Es brauche dringend wirksame Gegenmaßnahmen, sagt Mark Suzman, Chef der Gates-Stiftung.

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Es wäre durch wenige, einfache Maßnahmen zu verhindern, aber dennoch: Jeden Tag sterben weltweit 800 Frauen während der Schwangerschaft oder während der Geburt, ein verlorenes Menschenleben alle zwei Minuten. Überlebt das Neugeborene, liegt seine Chance, seinen ersten Geburtstag feiern zu können, bei nur 37 Prozent.

Um diese alltägliche, aber stille Katastrophe zu stoppen, einigte sich die Staatengemeinschaft im Jahr 2000 auf die „Millennium Development Goals“ und beschloss Gegenmaßnahmen, etwa Impfungen. Tatsächlich gingen die Zahlen zurück.

Doch seit 2016 stagniert der Rückgang nicht nur, die Mütter- und Kindersterblichkeit stieg sogar wieder an, warnt der am Dienstagmorgen veröffentlichte „Goalkeepers-Report“, der Gatesstiftung, der jährlich über die Fort- oder Rückschritte auf dem Weg zu den bis 2030 zu erreichenden Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen informiert.

Entscheidende Studien, die niemand macht

Trotz aller bisherigen Maßnahmen werden jährlich zwei Millionen Kinder totgeboren, fünf Millionen erreichen das sechste Lebensjahr nicht. Und während die Müttersterblichkeit zwischen 2000 und 2015 um jährlich drei Prozent sank, geht sie seitdem nur noch um 0,5 Prozent zurück.

Das betreffe nicht nur die Mütter- und Kindersterblichkeit, sagt Mark Suzman, Chef der Gates-Stiftung, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Auch die Zahl der Malaria-Fälle sei erstmals seit fast zwei Jahrzehnten wieder angestiegen, ebenso die HIV- und Tuberkulose-Fälle. Das sei „symptomatisch für eine ganze Reihe von Herausforderungen im Gesundheitsbereich in Ländern mit niedrigem Einkommen“, sagt Suzman.

Wir brauchen andere Maßnahmen, um den Fortschritt aufrechtzuerhalten.

Mark Suzman, CEO der Bill and Melinda Gates-Stiftung

Zum einen investierten über 50 Länder des globalen Südens eher in die Tilgung ihrer Schulden, als dass sie in die Gesundheit ihrer Bürger investieren. Zum anderen stagnierten seit 2016 aber auch die internationalen Finanzhilfen. Als in den USA Donald Trump an die Macht kam, war Schluss mit den zuvor jährlichen Steigerungen der Hilfszahlungen.

Doch es gebe noch einen dritten Grund: „Wir brauchen andere Maßnahmen, um den Fortschritt aufrechtzuerhalten“, sagt Suzman. „Wir haben die vermeidbare Kindersterblichkeit von über zehn Millionen Todesfällen pro Jahr auf heute unter fünf Millionen Todesfälle pro Jahr gesenkt, indem wir den weltweiten Impfschutz verbessert haben.“ Das sei nach wie vor von entscheidender Bedeutung. „Aber von den verbleibenden Todesfällen ereignen sich über 50 Prozent im ersten Lebensmonat und die Hälfte davon am ersten Tag.“

Es geht also nicht nur ums Impfen, sondern darum, ob rund um Schwangerschaft und Geburt richtig behandelt werden könne. Das sei mit wenigen, kostengünstigen Maßnahmen möglich. „Das ist keine Raketenwissenschaft, aber wenn man sie zusammennimmt, könnte man bis 2030 täglich 1000 zusätzliche Leben von Frauen und Kindern retten“, sagt Suzman.

Das Ziel, alle vermeidbaren Todesfälle von Kindern bis 2030 verhindern und die Rate der Müttersterblichkeit auf weniger als 70 Fälle pro 100.000 Schwangerschaften zu reduzieren, könnte also noch erreicht werden: Mit sieben Maßnahmen könnten bis zum Ende des Jahrzehnts zwei Millionen Menschenleben retten, würden sie in Ländern mit mittlerem und geringem Pro-Kopf-Einkommen rasch umgesetzt, so die Gates-Stiftung.

  1. Tragbare KI-Ultraschallgeräte, über das Smartphone mit Künstliche-Intelligenz-Algorithmen verbunden, könnten Diagnosen in Regionen mit wenigen Ärzten unterstützen. Das könnte 390.000 Totgeburten verhindern helfen, so die Schätzung des von der Gatesstiftung beauftragten Burnet Instituts.
  2. Paket einfacher Interventionen gegen nachgeburtlichen Blutverlust, die häufigste Ursache für Müttersterblichkeit. Dazu gehören einfache Abdeckungen zum Stoppen von Blutungen und eine 15-minütige, einmalige Eiseninfusion gegen Blutarmut, an der 4 von 10 Frauen leiden.  
  3. Eine Dosis Azithromycin während der Geburt. Einer Studie zufolge, wird dadurch das Risiko von Infektionen und tödlichen Blutvergiftungen um ein Drittel gesenkt. Zwei Millionen Fälle mütterlicher Sepsis könnten so verhindert werden.
  4. Einmalige Gabe von Corticosteroiden vor einer drohenden Frühgeburt beschleunigt das Lungenwachstum und kann schätzungsweise 140.000 Totgeburten verhindern.
  5. Probiotika (Bifidobakterien). Der Milch beigemischt helfen die Bakterien vor allem fehl- oder unterernährten Kindern, Gewicht zuzulegen und ein gesundes Mikrobiom zu entwickeln. 300.000 Totgeburten könnten so verhindert werden.  
  6. „Multiple Micronutrient Supplements“ (MMS) für Schwangere. Der Mix an Nahrungsergänzungsmitteln unterstützt die Gesundheit der Mutter und versorgt auch das Ungeboren mit Schlüsselsubstanzen.
  7. Kontinuierliche Erhebung von Daten zur Kindersterblichkeit (Child Health and Mortality Prevention Surveillance, CHAMPS) und mehr und gut ausgebildete Hebammen, von denen weltweit mehr als eine Million fehlen, könnten zwei Drittel aller Fälle von Mütter- und Neugeborenensterblichkeit verhindern.

Einige der Maßnahmen, etwa der KI-basierte Ultraschall, seien neu. Azithromycin hingegen sei ein altbekanntes, bewährtes Medikament, so Suzman. „Aber niemand hatte eine Studie durchgeführt, um zu sehen, ob es in der Schwangerschaft wirksam ist, ob es tatsächlich Infektionen und Sepsis verhindern kann“.

Die Gatesstiftung initiierte und finanzierte diese Studie, die die Wirksamkeit zeigte, ebenso wie die Untersuchung, ob Kortikosteroide, die in wohlhabenden Ländern routinemäßig eingesetzt, auch für Frauen mit HIV von Vorteil sind. „Es zeigte sich, dass die Steroide erhebliche Vorteile für die Säuglinge haben und die Mütter keinem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.“

Das sei eines der Paradoxa in der globalen Gesundheitspolitik, sagt Suzman: „Viele einfache, günstige Maßnahmen könnten einen Unterschied machen, aber es gibt nicht viel Forschung, um herauszufinden, wann sie wie am besten eingesetzt werden könnten“. Dass Pharma-Unternehmen, die mit diesen Maßnahmen nicht genug Geld verdienen können, eine Studie nicht finanzieren wollen, kann Suzman nachvollziehen. Warum aber die öffentliche Hand im Globalen Norden das nicht tut, „diese Frage stellen wir immer wieder.“

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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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