„Schlecht vorbereiteter Systemwechsel“: Digitale Akte an Berliner Gerichten verzögert sich
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Mitte des Jahres sollte die sogenannte E-Akte an den Berliner Gerichten eingeführt werden. Der Gesamtrichterrat hat dies nun gestoppt – wegen gravierender Mängel.
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Systemausfälle, Sicherheitsprobleme, veraltete und fehlende Ausstattung: Die Einführung der elektronischen Akte an den Berliner Gerichten verzögert sich. Ob die gesetzlich vorgeschriebene Frist für die komplette Umstellung zum 1. Januar 2026 eingehalten werden kann, ist unklar. Der Gesamtrichterrat der ordentlichen Gerichte – die für Zivilstreit- und Strafverfahren zuständig sind – hat einstimmig die Einführung der E-Akte abgelehnt. Das teilte das Gremium nun Kammergerichtspräsident Bernd Pickel mit.
Ursprünglich war die Regeleinführung ab Mitte 2023 geplant. Dieser Plan, der maßgeblich von der noch Linke-geführten Justizverwaltung vorangetrieben war, droht jedoch zu scheitern. Zwar sieht der Gesamtrichterrat, eine Art Personalart für die Richterschaft, dass die Einführung der E-Akte notwendig ist. Die Erfahrungen zeigten aber, dass es „nicht hilfreich ist, einen schlecht vorbereiteten Systemwechsel vorzunehmen“.
Zugleich beklagt der Gesamtrichterrat, dass die Gerichte kaum Zeit für Tests hätten. So lief an den Amtsgerichten Neukölln und Köpenick in einigen Bereichen eine mehrmonatige Pilotphase, erst nach einem weiteren Jahr sei dann die E-Akte in den Regelbetrieb gegangen. Beim Kammergericht habe es jedoch keinen Pilotbetrieb gegeben, dennoch sollen die Zivilsenate im September Akten nur noch elektronisch führen. Beim Landgericht läuft seit September in vier Zivilkammern ein Test nur für neu eingehende Verfahren, doch schon im Juni soll die Regeleinführung starten.
Performanceprobleme und Systemausfälle am Landgericht
Ohne einen ausreichend langen Pilotbetrieb sei das nicht hinnehmbar und verstoße gegen die Dienstvereinbarung zur E-Akte. Demnach müsse der Probebetrieb erfolgreich sein und verlässlich evaluiert werden. Das fehle jedoch, beklagen die Richter. Von der Testphase am Landgericht sei „nicht ernsthaft zu erwarten“, dass „nennenswerte Erkenntnisse gewonnen werden können, um es verantworten zu können, in den Regelbetrieb überzugehen“.
Der Gesamtrichterrat fordert einen längeren Testbetrieb, begründet wird das auch mit den Erfahrungen bei den Pilotverfahren. So habe die Vizepräsidentin des Landgerichts, Anja Teschner, im Februar von „Performanceproblemen und Systemausfällen“ berichtet. Auch eine bessere Hardware, also modernere Computer, werden gefordert. Selbst die Amtsgerichte, bei denen schon längere Tests liefen, hätten erhebliche Schwierigkeiten. Die Rede ist von Leistungsproblemen des Akten-Programms sowie einem Mangel bei Schulungen und Unterstützung bei Personal und Technik.
Richter sehen erhebliche Sicherheitsprobleme
Auch die Säle der ordentlichen Gerichte seien offenbar noch nicht ausreichend für Verhandlungen mit der E-Akte vorbereitet. Von insgesamt 274 Sälen sind laut Gesamtrichterrat nur 15 Säle fertig. Am Landgericht, wo ab Juni die Zivilkammern auf die E-Akte umstellen sollen, seien „bloß zwei Säle ertüchtigt“. Am Standort Littenstraße reichten die Datenleitungen nicht aus, es müsse gebaut werden. Der Plan, die Gerichtssäle im laufenden Betrieb umzubauen, sei „nicht verantwortungsvoll“ und den Richtern und Bürgern nicht zumutbar. Es seien noch nicht einmal alle Aufträge ausgeschrieben.
Zudem reichen dem Gesamtrichterrat die Bildschirme nicht aus, für Einzelrichter und Vorsitzende Richter seien wegen der parallelen Abläufe zwei Bildschirme nötig, bislang soll es nur je einer sein. Probleme sieht das Gremium auch mit den Bildschirmhalterungen, fehlenden Touch-Monitoren, der nicht ausreichenden Größe der Monitore und den Standards für die Mäuse.
Zudem fehle die Ausstattung für das mobile Arbeiten – obwohl „eine Dockingstation, eine Maus, eine Tastatur und ein 24-Zoll-Bildschirm vom Präsidenten des Kammergerichts versprochen worden waren“. Im Testbetrieb sei es nicht möglich gewesen, an die mobilen Dockingstationen einen zweiten Bildschirm anzuschließen. Dieser falle „regelmäßig aus oder flimmert“.
Auch das Sicherheitskonzept hält der Gesamtrichterrat nicht für ausreichend, es entspreche nicht den Standards des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Nötig sei eine E-Akte, „die sicher, redundant verfügbar und im Notfall auch rekonstruierbar ist“. Wegen der anhaltenden Ausfälle des IT-Systems dürften sich Verfahren verzögern. Das Gremium beklagt weiter, „dass nach wie vor gehäuft mehrstündige Ausfälle des elektronischen Rechtsverkehrs zu beklagen sind, was ein Arbeiten mit der elektronischen Akte in dieser Zeit unmöglich macht“. Die Gründe für die Ausfälle müssten „vor dem flächendeckenden Ausrollen der elektronischen Akte nachhaltig“ ausgeräumt werden.
Daneben mangelt es laut Gesamtrichterrat an IT-Experten. „Es fehlen nicht nur Untersuchungen dazu, wie viele solcher Personen es mit welcher Qualifikation geben muss, um einen stabilen und sicheren Betrieb der elektronischen Akte zu garantieren“, erklärte das Gremium. Es fehle auch die Möglichkeit, diese Mitarbeiter so zu entlohnen, damit sich dauerhaft genügend Experten für den Job entscheiden.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de