Radkolumne „Abgefahren“: Sündhaft teure Radmode – die alljährliche Versuchung
© Privat Radkolumne „Abgefahren“: Sündhaft teure Radmode – die alljährliche Versuchung
Unser Kolumnist überlegt wie jedes Jahr, ob er seine Radsport-Garderobe vergrößern soll. Doch der neueste Herbst-Look ist alles andere als billig.
Eine Kolumne von Michael Wiedersich
Der Oktober macht es einem alljährlich schwer, ihn zu mögen. Es ist nicht mehr richtig warm, aber der nahende Winter kann sich auch noch nicht entscheiden, ob er nun schon früher kommen soll oder nicht. Als sportlicher Radfahrer denkt man deshalb wieder viel über die richtige Kleidung nach. Das scheinen auch die Hersteller zu wissen. Die Anzahl elektronischer Neuigkeitenbriefe zum Thema atmungsaktive Winterjacken und regenabweisende Radhosen in meinem Mailfach hat zuletzt stark zugenommen.
Bei der Kleiderwahl kann man im Sommer nicht viel falsch machen: kurze Hose, Trikot, Socken, Abfahrt. Aber im Herbst und Winter? Wenn man sich zu kalt anzieht, riskiert man Erkältungen, kalte Füße und vor allem starke Einbußen beim Spaß am Radfahren. Zieht man sich zu warm an, schwitzt man deutlich mehr als sonst – auch kein schönes Gefühl.
Ich habe jedenfalls nichts gegen die zahlreichen Newsletter. Das kann zu dieser Jahreszeit sehr inspirierend sein, auch die Radsport-Garderobe will möglichst immer auf dem neuesten Stand gehalten werden. Das ruft allerdings die Kulturbeauftragte und Behüterin der familieneigenen Finanzen auf den Plan. Denn die Kleidungsstücke, die ich gut finde, sind nicht gerade billig. Und der Schrank ist voll mit den jeweiligen Vorjahresmodellen.
Zwei wasserabweisende Hosen im Warenkorb
Als neulich der Newsletter eines bekannten italienischen Edelschneiders den Weg zu mir gefunden hatte, geriet ich wieder einmal in Versuchung. Dabei war auch ein Gutschein über sage und schreibe 30 Prozent Nachlass. Schnell lagen zwei wasserabweisende Premium-Radhosen im elektronischen Warenkorb. Bei meinen alten Hosen lösten sich gerade wieder einmal die Nähte auf. Ich hätte nur noch auf „Bezahlen“ drücken müssen. Stattdessen erinnerte ich mich an das Thema Nachhaltigkeit und dass man die defekten Nähte auch reparieren könnte.
Doch diesmal sollte es nicht zum Schneider des Vertrauens gehen. In einem Anfall grenzenloser Selbstüberschätzung reaktivierte ich die alte Nähmaschine aus dem Keller. Im Internet wurden noch schnell ein paar Tipps recherchiert, zum Beispiel, dass eine Nadel mit Kugelspitze ganz wichtig wäre.
Um keine Zeit zu verlieren, versuchte ich mein Glück gleich bei einer sündhaft teuren Radhose. Es war ja schließlich nur eine einfache Naht und im Youtube-Video sah es wirklich wie ein Kinderspiel aus. Leider reagierte der sensible Poly-Zwirn der Hose mit dem Schaumstoffeinsatz nicht wie gewünscht. Er warf Falten, das ist im Sitzbereich einer Radhose tödlich. Ich trennte alles wieder auf und versuchte es noch einmal, wieder erfolglos. Nach dem fünften Versuch gab ich endgültig auf.
Die beiden Radhosen aus dem Newsletter warteten, den Cookies sei Dank, glücklicherweise noch immer im elektronischen Warenkorb auf den Geschäftsabschluss. Und bei 30 Prozent Rabatt spart man sich ja auch quasi reich. Ich drückte auf „Bezahlen“.
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de