Proteste gegen LNG-Terminal vor Rügen: „Scholz und Habeck haben mich nicht überzeugt“
© dpa/Jens Büttner Proteste gegen LNG-Terminal vor Rügen: „Scholz und Habeck haben mich nicht überzeugt“
Vor Rügen will die Bundesregierung ein Mega-LNG-Terminal bauen. Auf der Insel ist die Wut auch nach dem Besuch des Kanzlers groß, sagt der Bürgermeister von Binz.
Herr Schneider, Sie hatten gestern Besuch vom Bundeskanzler und dem Wirtschaftsminister. War es ein Gespräch auf Augenhöhe, wie es Olaf Scholz und Robert Habeck danach gesagt haben?
Ja, das schon. Sie haben sich mehr Zeit genommen als geplant war. Aber was bringt es, sich auf Augenhöhe zu begegnen, wenn scheinbar schon alles feststeht? Das ist sehr schade und verärgert die Bevölkerung. Die Meldung, dass die Bundesregierung bereits die Rohre für den Bau des Terminals gekauft hat, zeigt die Voreingenommenheit. Ich kann verstehen, wenn Teile der Menschen auf der Insel den Glauben an die Demokratie verlieren.
Wie bewerten Sie die Kommunikation der Ampel-Regierung insgesamt?
Die Kommunikation lässt schon sehr zu wünschen übrig. Wir haben über Monate versucht Kontakt aufzunehmen, meine Briefe wurden nicht beantwortet. Erst am Dienstag haben wir vom Besuch des Kanzlers und des Wirtschaftsministers erfahren. Das ist schon erstaunlich gewesen.
Immerhin ist der Standort Sellin nicht mehr im Gespräch. Das LNG-Terminal soll nun im Hafen von Mukran entstehen. Ist das kein Erfolg?
Ich glaube, Sellin war immer eine Nebelkerze. Der Bundeskanzler hat gestern eingeräumt, dass man schon seit mehr als einem Jahr über Mukran als Standort nachdenkt. Das hätte aber verheerende Auswirkungen für die ganze Insel.
Welche denn?
Wir haben naturschutzrechtliche Bedenken. Der Heering laicht in der Bucht vor Rügen, Schweinswale wären bedroht, Zugvögel gestört. Zudem würde mit einer Anlange in Mukran das Wasser in der Ostsee im großen Stil abgekühlt. Vor allem fürchten wir aber um den Tourismus. Wir haben pro Jahr fast sieben Millionen Übernachtungen auf der Insel. Wir leben vom Tourismus. Aber wer will noch nach Rügen, wenn es hier nachts brummt und tagsüber LNG-Frachter vor der Küste kreuzen?
Gibt es schon erste Absagen von Gästen?
Allein heute Vormittag habe ich sieben oder acht Mails bekommen von Menschen, die sagen, dass wir weiterkämpfen sollen. Wir würden kritische Infrastruktur bekommen. Können wir uns sicher sein, dass es nicht auch hier zu Sabotageakten und Bombenangriffen kommt?
In der Kritik: Habeck und Scholz in Binz. © dpa/Jens Büttner
Kann ein LNG-Terminal nicht auch Arbeitsplätze schaffen und Geld in die Kommune spülen?
Ein LNG-Terminal schafft etwa 80 Arbeitsplätze, würde aber tausende Jobs im Tourismus bedrohen. Es gibt Schätzungen, dass wir 20 Prozent Einbuße machen, wenn die Terminals hier gebaut werden. Selbst wenn wir Gewerbesteuern einnehmen, sind die es doch nicht wert, wenn wir dafür die Natur irreparabel zerstören.
Der Kanzler argumentiert mit der Versorgungssicherheit in Ostdeutschland und Europa. Haben Sie dafür kein Verständnis?
Wenn die Bundesregierung transparent und nachweislich eine Lücke in der Energieversorgung nachweisen könnte, hätte ich Verständnis. Da haben mich Scholz und Habeck gestern aber nicht überzeugt. Wir werden in Zukunft weniger Gas benötigen, deswegen brauchen wir jetzt auch nicht so große Puffer einplanen. Wenn die Bundesregierung so viele Terminals will, muss sie einen Ort finden, der Natur, Menschen und Tourismus weniger bedroht.
Haben Sie einen Vorschlag?
Wieso sprechen wir nicht mit Swinemünde? Dort gibt es bereits ein LNG-Terminal und die Akzeptanz ist größer. Die Bundesregierung will offenbar nicht wieder auf ausländische Partner vertrauen, aber Polen ist doch in der EU und in der Nato.
Welche Möglichkeiten haben Sie als Bürgermeister noch, wenn die Regierung an Mukran festhalten will?
Das LNG-Beschleunigungsgesetz, in dem Rügen noch nicht drin ist, muss durch den Bundestag. Wir werden jeden einzelnen Abgeordneten anschreiben und informieren. Zudem wird das Verfahren noch vom Bergbauamt geprüft, wer weiß, was da noch passiert. Ansonsten ziehen wir juristische Schritte in Betracht. Unsere Anwälte sind davon überzeugt, dass wir den Bau verhindern oder zumindest verzögern können. Vielleicht verschafft uns das genug Zeit.
Eine Quelle: www.tagesspiegel.de