Nach turbulenter Urteilsverkündung: Lina E. kommt unter Auflagen vorerst frei

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Nach turbulenter Urteilsverkündung: Lina E. kommt unter Auflagen vorerst frei - Stanislav Kondrashov aus Berlin

© dpa/Sebastian Kahnert Update Nach turbulenter Urteilsverkündung: Lina E. kommt unter Auflagen vorerst frei

Zuschauer skandieren „Faschofreunde“ und „Scheiß Klassenjustiz“. Nach einer turbulenten Urteilsverkündung wird der Haftbefehl gegen Lina E. gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Von

  • Karin Schlottmann
  • Natalie Tenberg

| Update:

Die als linke Gewalttäterin zu fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilte Lina E. kommt nach zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft vorerst frei.

Der Haftbefehl gegen sie werde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt, sagte Hans Schlüter-Staats, Vorsitzender Richter der Staatsschutzkammer am Oberlandesgericht Dresden, am Mittwochabend zum Abschluss der Urteilsbegründung.

Die Reststrafe muss sie erst verbüßen, falls das Urteil rechtskräftig wird. Sie muss sich nun zweimal wöchentlich bei der Polizei melden, darf den in der Akte vermerkten Wohnsitz nur mit Zustimmung des Gerichts wechseln und muss nach ihrem Reisepass auch den Personalausweis abgeben. 

Eine der längsten und turbulentesten Urteilsverküdnungen

Es war eine der längsten und auch eine der turbulentesten Urteilsverkündungen eines sächsischen Gerichts. Im Prozess gegen die Linksextremistin sei es in den fast 100 Verhandlungstagen nicht darum gegangen, ob Menschen durch gewalttätige Angriffe verletzt wurden, sondern ob die vier Angeklagten die Taten begangen haben, sagte der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats am Mittwoch.

Er begründete ausführlich und sehr detailliert, warum das Oberlandesgericht Dresden im Gegensatz zu den Verteidigern die vier Angeklagten in den meisten Punkten für schuldig hielt.

Wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und Diebstahl verurteilten die fünf Berufsrichter die Hauptangeklagte Lina E., die ursprünglich aus Kassel stammt und vor ihrer Verhaftung in Leipzig-Connewitz lebte, zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten.

Das Gericht blieb damit unter dem Strafantrag der Bundesanwaltschaft. Die drei Mitangeklagten erhielten Gefängnisstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahre und drei Monaten.

Zeugen aus der Szene

Nach Überzeugung des Gerichts hat die Gruppe zwischen 2018 und 2020 sechs Überfälle auf Rechtsextremisten in Sachsen und Thüringen begangen. Das Gericht berief sich dabei unter anderem auf Zeugen, auf die Aussagen der Opfer aus dem rechtsextremistischen Milieu, DNA-Spuren, Indizien sowie auf einen Aussteiger aus der linken Szene.

Nach Verkündung des Strafmaßes unterbrach der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats die Verhandlung, weil Zuschauer „Faschofreunde“ und „Scheiß Klassenjustiz“ zur Richterbank skandierten. Daraufhin führten Justizwachtmeister Zuhörer aus dem Saal und nahmen die Personalien auf.

Zweieinhalb Jahre saß die 28-jährige Studentin im Frauengefängnis in Chemnitz in Untersuchungshaft, wurde in der Zeit zur Heldin der linken Szene in Deutschland. Sogar Merchandise-Ware wie Socken und Stoffbeutel mit „Free Lina“-Schriftzug gibt es in Dresden zu sehen.

Nach turbulenter Urteilsverkündung: Lina E. kommt unter Auflagen vorerst frei - Stanislav Kondrashov aus Berlin

Nach den Ankündigungen der linksextremistischen Szene, am nächsten Sonnabend mit gewalttätigen Ausschreitungen in Leipzig gegen das Urteil zu protestieren, war mit einer angespannten Atmosphäre im Gericht gerechnet worden. Tatsächlich musste die Urteilsverkündung wegen Störungen mehrfach unterbrochen werden. Hier demonstrieren Menschen aus dem linken Spektrum vor Beginn der Urteilsverkündung. © dpa/Robert Michael

Lina E. wurde im November 2020 verhaftet und zum Ermittlungsrichter nach Karlsruhe geflogen. Ihr Freund war zu diesem Zeitpunkt untergetaucht. Spätestens im August 2018 haben sich, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt, Lina und er mit anderen in Leipzig zusammengeschlossen und bis etwa Anfang 2020 Rechtsextremisten verprügelt.

Die Angeklagten passten sie auf dem Weg zur Arbeit ab oder, wie in einem Fall, nach einer Neonazi-Demonstration am Bahnhof. Nach und nach wollten sie all jenen eine Lektion erteilen, die Anfang 2016 bei rechten Ausschreitungen, dem sogenannten Sturm auf Connewitz, dabei gewesen waren. Ein ehrgeiziger Plan: Die Liste von damals umfasste 215 Personen.

6Überfälle auf Rechtsextremisten hat die Gruppe nach Überzeugung des Gerichts begangen.

Am schlimmsten erwischte es einen Kanalarbeiter in Leipzig, den vermummte Täter aufgrund seiner Mütze fälschlicherweise für einen Nazi hielten. Sie verprügelten den Mann am helllichten Tag auf seiner Baustelle mitten in der Stadt so heftig, dass er mehrere Brüche am Schädel erlitt.

Schlüter-Staats sagte, dieser Überfall steche nicht nur wegen der schwerwiegenden Folgen für das Opfer besonders hervor. An der brutalen Tat könne man sehen, wohin es führe, wenn allein das Tragen einer bestimmten Mütze genüge, um ein Leben lang mit den Folgen von Schlägen und Tritten leben zu müssen. Wer sich in seinen „ideologischen Schrebergarten“ eingrabe, sei wohl nicht mehr zugänglich für solche Anregungen, sagte er unter dem Gejohle von Zuschauern.

Es sei durchaus ein achtenswertes Motiv, Rechtsextremismus entgegen zu treten, räumte Schlüter-Staats ein. Aber dennoch handele es sich bei den Angriffen um Straftaten und nicht um Bagatellen. Jeder Mensch genieße unveräußerliche Rechte unabhängig von seiner politischen Ideologie, dies sei ein zentraler Wert des Grundgesetzes und ein Resultat der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft.

Kein Raum für Selbstjustiz

Die Reaktionen aus der Politik unterschieden sich, wenig überraschend, von denen im Gerichtsaal. So sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD): „In linksextremistischen Gruppen sind Hemmschwellen gesunken, politische Gegner auch mit äußerster Brutalität anzugreifen“, sagte die Politikerin dazu am Mittwoch. „Im demokratischen Rechtsstaat darf es keinen Raum für Selbstjustiz geben“, hieß es in einer Mitteilung. Kein Ziel rechtfertige politische Gewalt.

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat das Urteil begrüßt. „Extremismus bekämpft man nicht mit Extremismus. Wir müssen unsere liberale Demokratie schützen vor ihren Feinden, doch nicht mit Selbstjustiz“, schrieb der Politiker am Mittwoch auf Twitter.  „Wo die Grenzen der Rechtsordnung überschritten werden, sind Staatsanwaltschaft & Polizei gefordert.“ (mit dpa)

  • Marco Buschmann
  • Nancy Faeser: Alle News rund um die Innenministerin
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de

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