Nach Streikaufruf: Geschäfte in Berlin-Neukölln blieben geschlossen – nicht alle aus freien Stücken
© IMAGO/Jürgen Held Update Nach Streikaufruf: Geschäfte in Berlin-Neukölln blieben geschlossen – nicht alle aus freien Stücken
Der Freitagabend blieb nach den Protesten in Berlin-Neukölln ruhig. Auf der Sonnenallee waren nicht alle Inhaber einem Streikaufruf freiwillig gefolgt. Angeblich gab es auch Drohungen.
Von
- Marius Gerards
- Claudia Liebram
| Update:
Nach mehreren Abenden mit pro-palästinensischen Ansammlungen und Gewaltausbrüchen ist es am Freitagabend in Berlin-Neukölln zunächst ruhig geblieben. In der Sonnenallee hatten mehr als 126 Geschäfte, Bäckereien und Lokale geschlossen.
An einigen Scheiben hingen Zettel mit der Überschrift „Generalstreik“ in deutscher, englischer und arabischer Sprache. Darin wurde dazu aufgerufen, als Zeichen der Solidarität mit Palästina Geschäfte geschlossen zu halten, nicht zur Arbeit oder Schule zu gehen.
Wie der „rbb“ berichtet, haben Unbekannte vor mehreren Lokalen in der Reuterstraße und Weichselstraße eine stinkende Flüssigkeit ausgeschüttet. Nach Beobachtungen eines Reporters des Mediums sind die betroffenen Geschäfte dem Streikaufruf nicht gefolgt.
Einige Läden haben nach einem Bericht der „B.Z.“ nur auf Druck der Community an der Sonnenallee geschlossen. Einzelne Ladenbesitzer hätten vor fanatischen Anwohnern im Kiez Angst, hieß es. Ein Ladenbesitzer wurde mit den Worten zitiert: „Sie denken noch, man ist Jude“.
Die Aktion war eine Initiative von Geschäftsleuten, ihre Läden sollten „aus Solidarität und Anteilnahme an dem Leid unserer Bekannten, Freunde, Familienangehörigen und den unschuldigen Menschen im Gazastreifen geschlossen bleiben“, hieß es in einer Erklärung, die dem Tagesspiegel vorliegt. „Wir fühlen uns als kleine Minderheit von der Politik nicht gehört.“
Allerdings würden die Geschäftsleute „die Gewalt auf den Straßen keineswegs gutheißen, jegliche Diskriminierung ablehnen und keine Ausschreitungen in unserer Stadt verursachen wollen“. Deshalb habe man sich für diesen friedvollen Protest entschieden. „Die finanziellen Einbußen nehmen wir in Kauf, da die Option, unseren Emotionen im Rahmen des Erlaubten Ausdruck zu verleihen, den tief sitzenden Schmerz zumindest in Ansätzen lindert.“
Unter den streikenden Geschäftsleuten war auch Ahmed, Ende 30, der im Kiez um die Sonnenallee einen kleinen Imbiss hat. „Ich habe gestern von dem Aufruf gehört und spontan zugesagt“, erzählt er. „Wir dürfen unsere Meinung nicht auf Demonstrationen äußern, also wollten wir friedlich ein Zeichen setzen.“ Er wisse auch von Geschäften in Wedding, Spandau, auf der Karl-Marx-Straße und der Hermannstraße, die sich dem stillen Protest am Freitag angeschlossen hätten. Er vermisse, dass beide Seiten zu Wort kommen – die israelische und die palästinensische. „Ich will jedenfalls einen Schritt nach vorn machen“, betont Ahmed. „Aber ich will auch meine Meinung äußern dürfen.“
Verschiedene pro-palästinensische Organisationen hatten in den vergangenen Tagen den Aufruf in sozialen Medien geteilt, in dem in einer englischen Version sogar weltweit zu einem „Generalstreik“ aufgerufen wurde. Damit sollte auch der Unmut darüber verdeutlicht werden, dass „die palästinensische Solidaritätsbewegung“ von der Polizei und staatlichen Behörden „systematisch mit allen Mitteln schikaniert und kriminalisiert“ werde.
Die Polizei war auf den Straßen präsent. Bei kühlem Regenwetter waren wenige Menschen unterwegs.
© privat
Dennoch wurde am Freitagmittag das Parteibüro der SPD Neukölln beschmiert. Eine Sprecherin der Polizei bestätigte dem Tagesspiegel, dass die Beamten gegen 13 Uhr die Schmiererei entdeckten. Wie der Tagesspiegel erfuhr, sprühten Unbekannte „4 GAZA“ in roter Farbe auf die Scheiben des Parteibüros.
Am Freitagabend hatten sich in Berlin-Mitte Unter den Linden laut Polizei in der Spitze bis zu 120 Menschen versammelt. Nach Schilderungen eines dpa-Reporters skandierten Teilnehmer „Free Free Palestine“ und es gab anti-israelische Ausrufe. Die Polizei war mit mehreren Mannschaftswagen vor Ort und sprach von einer „ruhigen Lage“. Weitere pro-palästinensische Kundgebungen am Adenauerplatz mit 50 Teilnehmern und am Pariser Platz mit einer laut Polizei „hohen zweistelligen“ Zahl an Teilnehmern verliefen friedlich.
Einsatzkräfte seien stadtweit unterwegs, um genehmigte Kundgebungen zu schützen und erlassene Versammlungsverbote durchzusetzen, teilte die Polizei auf der Plattform X mit. Unterstützt werde die Berliner Polizei dabei von der Bundespolizei sowie Einsatzkräften aus Brandenburg und Sachsen.
Polizei verbietet erneut Demonstrationen
Die Berliner Behörde setzt ihre Strategie der Verbote von einzelnen pro-palästinensischen Demonstrationen fort. Zwei für Sonnabend angemeldete Versammlungen in Berlin-Mitte wurden untersagt, wie die Polizei am Freitag mitteilte. Auch jede Ersatzveranstaltung dafür ist bis zum 30. Oktober verboten. Betroffen ist eine Demonstration vor dem Brandenburger Tor und eine auf dem Alexanderplatz.
Vergleichbare Versammlungen palästinensischer Gruppen hatte die Polizei seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der islamistischen Hamas auf Israel, bereits mehrfach untersagt. Insbesondere bei Palästinensern stößt dies auf Kritik. Sie sehen sich in ihrem Meinungsrecht beschnitten. Die Polizei verweist bei ihren Verboten jedoch darauf, es bestehe aufgrund ihrer Erfahrungen die Gefahr, dass es zu volksverhetzenden, antisemitischen Ausrufen sowie Gewaltverherrlichungen oder Gewalttätigkeiten komme.
Innensenatorin Iris Spranger (SPD) hatte in der rbb-Abendschau am Donnerstagabend erklärt: „Demonstrationen dürfen stattfinden, aber nur, wenn sie friedlich verlaufen. Wenn sie gekapert werden, gehen wir konsequent dagegen vor.“
Neuköllns Bürgermeister Martin Hikel (SPD) sagte mit Blick auf die Verbote: „Die Demonstrationen, die sich zunächst pro-palästinensisch ausgegeben haben, sind in der Regel in Hetze gegen Israel ausgeartet.“ Hikel rechnet mit weiteren Ausschreitungen im Bezirk. „Ich mache mir große Sorgen. Wenn sich der Konflikt in Nahost weiter verschärft, zum Beispiel durch eine israelische Bodenoffensive, sehe ich schon die Gefahr, dass Leute das hier ausnutzen und den Hass weiter auf die Straße tragen“, sagte er. (mit dpa)
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de