„Mit dem Ziel, den Staat zu beseitigen“: Thüringer Verfassungsschutzchef Kramer warnt vor Kooperationen von AfD und NPD
© Imago/Karina Hessland „Mit dem Ziel, den Staat zu beseitigen“: Thüringer Verfassungsschutzchef Kramer warnt vor Kooperationen von AfD und NPD
Im Freistaat könnte es zur Zusammenarbeit der Rechten kommen, sagt Kramer. Gewalt drohe aber auch vom linken Rand. Täter preisten selbst den Tod politischer Gegner ein.
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In Thüringen, Brandenburg und Sachsen wird im nächsten Jahr gewählt. Zuletzt lag die AfD in Thüringen und Sachsen, teilweise auch in Brandenburg, in Umfragen vorn. Der Präsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz, Stephan J. Kramer, warnt nun vor Kooperationen zwischen den rechtsextremen Parteien AfD und NPD.
„Man hat sich nicht lieb, aber man arbeitet beim gemeinsamen Ziel zusammen, den Staat zu beseitigen und eine neue Herrschaftsform aufzubauen“, sagte Kramer der „Welt“.
Diese Zusammenarbeit beobachte man vor allem in Eisenach. „Es gab in Eisenach vor einigen Jahren erste Aufrufe aus NPD-Kreisen, Stimmen bei der Landtagswahl besser der AfD zu geben.“ Das sei noch keine erwiesene Zusammenarbeit.
Die Angriffe werden brutaler, Hemmungen fallen, Gewalt einzusetzen. Aus den Gedanken werden Worte, aus den Worten werden Taten.
Stephan J. Kramer, Präsident des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz
„Aber wenn man sich genauer anschaut, wer vor Ort bei welchen Aktionen gemeinsam unterwegs ist, dann ergeben sich zumindest Kennverhältnisse und Schnittmengen. Und die Neue Rechte hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass die NPD für sie etwas alterslahm geworden ist und man bei der AfD viel größere politische Einflussmöglichkeiten sieht.“
Wie groß das Problem mit Rechten speziell in Eisenach ist, hatte Mitte Mai auch eine Anklage der Bundesanwaltschaft gezeigt. Sie ging gegen vier mutmaßliche Angehörige der dortigen Neonazi-Kampfsportgruppe „Knockout 51“ unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen und terroristischen Vereinigung vor.
Ferner legte die oberste Anklagebehörde den Deutschen auch mehrfache gefährliche Körperverletzung, Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, Landfriedensbruch, versuchte Gefangenenbefreiung und Verstöße gegen das Waffenrecht zur Last. Der Staatsschutzsenat des Thüringer Oberlandesgerichts muss entscheiden, ob er die Anklage zulässt.
Verfassungschef Kramer attestierte der AfD in Thüringen „eine besondere Stellung“, die er auf „viel Wut und Enttäuschung über politische Prozesse, leere Versprechen und die oftmals fehlende Kommunikation bei den Menschen“ zurückführt.
„Da sind offene Wunden zu erkennen aufgrund einer verkorksten Einheit, wo Dinge versprochen wurden, die bis heute nicht umgesetzt wurden. Es fehlt auch an Anerkennung, Wertschätzung und Empathie für Lebensleistung, zerstörte Biografien und Existenzen.“
Viele in Thüringen fühlten sich über den Tisch gezogen, so Kramer
Weiter sagte Kramer: „Viele meinen jetzt bestimmt: ‚Immer diese Jammer-Ossis, reißt euch mal zusammen.‘ Die meisten Thüringerinnen und Thüringer haben sich zusammengerissen und sich neue Existenzen aufgebaut, aber das Gefühl, belogen und über den Tisch gezogen worden zu sein, das bleibt und wird sogar vererbt.“
Zudem stellte Kramer eine Eskalation der Gewalt sowohl durch Rechts- als auch Linksextremisten fest, nicht nur im Freistaat. „Die Angriffe werden brutaler, Hemmungen fallen, Gewalt einzusetzen. Aus den Gedanken werden Worte, aus den Worten werden Taten.“
Es habe zuletzt tatsächlich Fälle gegeben, wo Täter in Wohnungen eindrangen und die Fußgelenke von politischen Gegnern zertrümmert hätten. Das sind Angriffe mit Baseballschlägern, mit Hämmern und auf eine Art, bei der auch der mögliche Tod von Opfern zumindest in Kauf genommen wird.“
Kramer sieht nicht nur in Thüringen eine neue Qualität der Gewalt
Kramer sagte, dies gelte „für Links wie Rechts. Das unausgesprochene Agreement in der linken Szene – Gewalt gegen Sachen ja, Gewalt gegen Personen nein – gilt heute so nicht mehr. Interessant ist, dass bei manchen Attacken mutmaßlich auch Frauen extrem brutal vorgegangen sind. Das ist eine neue Qualität.“
Kramer sagte weiter, es habe über viele Jahre immer wieder Gewaltexzesse durch Rechtsextremisten gegeben, zum Beispiel Angriffe auf zwei Journalisten in Thüringen, die brutal mit Baseballschlägern angegriffen wurden. „Vor allem im linken politischen Lager ist der Eindruck entstanden, die staatlichen Stellen würden bei der Verfolgung von Rechtsextremismus nicht genug tun.“
Er spreche dieses Thema auch ganz offen an, sagte Kramer: „In Thüringen wurden rechtsextreme Strukturen zu lange eher verniedlicht und kleingeredet. Erst vor wenigen Jahren hat man dann angefangen, wirklich den Finger in die Wunde zu legen.“
Grundsätzlich, so Kramer, beobachte er in politischen Diskussionen hierzulande: „Es geht fast nur noch darum, den anderen zu diffamieren, zu beleidigen und möglichst emotional zu kränken. Das führt zu Eskalationsspiralen bis hin zu brutaler Gewalt.“ (lem)
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Eine Quelle: www.tagesspiegel.de